Jung und satt

In dem Hongkong-Film »Dumplings« geht es um ewige Schönheit und darum, was Menschen bereit sind, dafür zu tun. von andreas hartmann

In China essen sie Hunde – und menschliche Föten. In dem Hongkong-Film »Gaudzi«, der unter dem verunglückten, eher nach einer weiteren Fortsetzung von »9 1/2 Wochen« klingenden Titel »Dumplings – Delikate Versuchung« in die deutschen Kinos kommt, ausschließlich letzteres. Nicht weil frisch abgetriebene Föten eine chinesische Spezialität wären, sondern notgedrungen. Aus Verzweiflung. Zubereitet als ganz spezielle Dim Sum – gefüllte Teigtaschen –, wie sie von der geheimnisvollen Köchin Mei Eingeweihten angeboten werden, verspricht ihr Genuss ewige Jugend und ein Ende des menschlichen Alterungsprozesses. Und genau den sehnt Qing Li herbei. Sie war früher einmal ein Fernsehstar, jung, schön und berühmt.

Doch das ist längst vorbei. Jetzt fühlt sie sich alt und nutzlos. Vor allem deswegen, weil ihr Mann sie sich so fühlen lässt. Der wird zwar auch immer älter, doch als immer noch drahtiger und erfolgreicher Geschäftsmann bekommt er junge Mädchen ins Bett, wie und wann es ihm gefällt. Ganz offen betrügt er seine Frau, die darunter schrecklich leidet, und eine junge Masseurin mit Model-Maßen scheint er sich gar als neue Dauergeliebte auserkoren zu haben. So jung und schön wie diese Nebenbuhlerin möchte Qing Li auch wieder sein. Denn nur dann, so vermutet sie, werde sich ihr Ehemann ihr wieder zuwenden.

Der Regisseur Fruit Chan überzeichnet in seinem Film »Dumplings« sämtliche seiner Figuren. Sympathisch erscheint hier eigentlich niemand. Herr Li beispielsweise isst gerne angebrütete Eier, also halb entwickelte Küken, was ihn zumindest bei westlichen Kinobesuchern als besonders verkommen erscheinen lässt. Man nimmt gegenüber diesen seltsam zerrütteten Personen, die alle auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und wenig Skrupel kennen, automatisch eine gehörige Portion Distanz ein. Chan sagt selbst über seinen Film, er sei ein Kommentar zur Schönheitsindustrie, die sich in Hongkong wie in den meisten anderen Großstädten dieser Welt breit gemacht hat. Vor allem aber hat er einen Film gedreht, der mal satirisch, mal zynisch die Menschen als die Opfer genau dieser Schönheitsindustrie zeigt, als egoistische Geschöpfe, die in einer Welt leben, die andauernd über ihnen zusammenkracht, mit der sie immer weniger klar kommen und die ihnen zunehmend entgleitet.

Das alles wird freilich in einer – nicht immer hundertprozentig geglückten – Mischung aus Pulp, Trash, Horror und Satire dargereicht. Der Film ist ein seltsamer und schwer definierbarer Genre-Mix, was natürlich auch seinen Reiz ausmacht. Dazu kommt noch, dass Chan ausgerechnet Christopher Doyle als Kameramann verpflichten konnte, der sich vor allem mit seinen Arbeiten für Wong Kar-wai einen Ruf als Meister des ästhetisch wertvollen Cineastenkrams erarbeitet hat. Gleichzeitig konnte Chan für die Rolle der Köchin Mei jedoch auch noch die in der deutschen Presse inzwischen als eine Art Chinesenluder gehandelte Bai Ling gewinnen, die sich passend zum Filmstart für den aktuellen Playboy ausgezogen und sich in China längst den Ruf eines enfant terrible erworben hat.

Bei »Dumplings« kommt also auf und hinter der Leinwand so einiges zusammen. Gelegentlich wirkt der Film vielleicht etwas zu bemüht grotesk, aber wenigstens nie langweilig. Zwischendurch gibt es die eine oder andere Schockerszene, gerade wenn Mei wieder einmal eine illegale Abtreibung vornimmt, um an frische Füllung für ihre Teigtaschen heranzukommen. Dann fließt das Blut in Großaufnahme. Großartig und bizarr ist auch die Szene, in der Qing Lis Ehemann ebenfalls einmal bei der Köchin vorbeischaut – ein paar Falten weniger könnten ja nicht schaden – , was sofort in eine wilde Vögelei mit der Teigtaschen-Frau ausartet. Schließlich wirkt diese ungemein jung, frisch und knackig, und dagegen hat Herr Li bekanntlich nichts. Doch natürlich ernährt sich Mei selbst kräftig von ihren obskuren Delikatessen, so dass man ihr wahres Alter nicht mehr erraten kann. Während der Vögelei fällt Herrn Lis Blick jedoch zufällig auf ein vergilbtes Porträt von Mei samt Jahreszahl der Aufnahme, woraus hervorgeht, dass Mei die Großmutter Lis sein könnte, woraufhin sich dessen Libido schlagartig verflüchtigt.

»Dumplings« ist voll mit derartig ruppigen Szenen, wobei der Erzählrhythmus stets variiert wird. Zwischen Horror und Schock bleibt immer noch genügend Platz, in einem viel gemächlicheren Tempo von den Nöten der Figuren zu berichten. Es gibt außerdem immer wieder Rückblenden und gewagte Parallelmontagen, auch stilistisch schöpft Chan bei seinem Film aus dem Vollen.

Wahrscheinlich muss man betonen, dass »Dumplings« ein Hongkong-Film ist. Obwohl Hongkong längst zu China gehört, drücken Chinas Moral- und Sittenwächter bei derart heiklen Filmen aus der ehemaligen englischen Kolonie beide Augen zu, subversives Kino aus Hongkong wird immer noch eher geduldet als aus dem übrigen China. Doch gefallen dürfte »Dumplings« den chinesischen Zensurbehörden kaum. Unverhohlen greift der Film mit seinen drastischen Schilderungen illegaler Abtreibungen – meist das letzte Mittel armer Frauen, um einer ungewollten Schwangerschaft zu entkommen – die staatsoffiziellen Versuche an, Familienpolitik zu betreiben. Die Reichen ernähren sich sogar auf Kosten der Armen, besser gesagt: Sie ernähren sich von den Armen. Auch von solchen Thesen werden Chinas Politiker ganz bestimmt nichts hören wollen. Schließlich erscheint in »Dumplings« der Kannibalismus als eine Art Glücksversprechen. Eine Gesellschaft jedoch, die den Kannibalismus nicht mehr tabuisiert, zersetzt sich langsam, und vor nichts hat die mit so vielen Widersprüchen ringende Staatsmacht im heutigen China mehr Angst.

Man kann Chans Film vorwerfen, dass er seine Sujets völlig unsubtil und geradezu plump behandelt, doch immerhin redet er nicht lange um den heißen Brei herum, seine Metaphern kann selbst der Dümmste entschlüsseln. Die Schönheitsindustrie freilich wird sich von »Dumplings« kaum irritieren lassen. Ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich fragt sie sich gerade, ob an der Sache mit den menschlichen Föten vielleicht sogar wirklich etwas dran ist. Und wenn ja: wie lautet denn das genaue für diese Teigtaschen?

»Dumplings – Delikate Versuchung«, (Hongkong 2004). Regie: Fruit Chan. Start: 4. August