Einer flog auf Hitler

Welches Amerika porträtiert Philip Roth in seinem neuen Roman? von gerhard hanloser

Viel konnte man schon über Philip Roths »The Plot against America« hören. Mehr oder weniger Verstörendes: Roth schreibt einen fiktiven Historienroman? Es geht um Faschismus in den USA? Will der US-amerikanische Schriftsteller tatsächlich einen Roman abliefern, der wie eine Mischung aus Sinclair Lewis’ »It can’t happen here« und »Fatherland« von Robert Harris erscheint? Warum hat der als heißer Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelte Roth sich des außergewöhnlichen Themas angenommen?

Er schreibt über US-amerikanische Juden; seine Popularität könnte mit der Woody Allens verglichen werden. Geht es bei Allen um Neurosen, Beziehungen und die Suche nach Anerkennung, so verfolgt Roth in seinen Geschichten ähnliche Themen. Der Schriftsteller ist US-Amerikaner durch und durch, fast könnte man sagen, er ist ein Patriot. Seine Figuren finden ihre Identität selten bis nie, sie sind stets zerrissene und ambivalente Personen. Es gibt Leitthemen, die in seinen Romanen stets wiederkehren – Baseball, Kino, Mädchen und nochmals Mädchen. Seine männlichen Figuren werden vor allem von sexuellen Obsessionen angetrieben. Als seien sie der Phantasie des Antisemiten entsprungen, zeichnet Roth seine Figuren als sexbesessene, geile Juden. Gershom Scholem bezeichnete den 1969 veröffentlichten Roman »Portnoys Beschwerden« denn auch als ein literarisches Werk, das antisemitischen Hass entfachen könnte, weil es »die Niedertracht und Verdorbenheit der Juden enthüllen« würde – vor allem »auf sexuellem Gebiet«. Roth konnte über diesen Vorwurf höchstwahrscheinlich nur lachen.

In Israel landeten seine Bücher bisher nicht auf den Bestsellerlisten. Vielleicht spiegelt sich in diesem Desinteresse auch ganz einfach die Haltung von Roth, der nie verhehlt, dass er die Gleichsetzung von Jude und Israeli für Unsinn hält. »All dieses Gerede über ›Identität‹ – deine Identität ist da, wo du mit dem Denken aufhörst«, heißt es in seinem 1986 veröffentlichten Buch »Counterlife«. Das ambitionierteste Werk, das sich mit dem Schicksal Israels und seiner Bedeutung für US-amerikanische Juden auseinandersetzt, ist das 1993 in den USA veröffentlichte Buch »Operation Shylock«, das 1999 in Israel erschienen ist. Die Protagonisten in Roths Romanen verkörpern jüdisches Leben, und doch standen Antisemitismus, physische Gefahr und der Weg nach Jerusalem nie im Zentrum der Romane. In »Verschwörung gegen Amerika« rücken die physische Gefahr und der Antisemitismus nun ganz nah an die bereits aus früheren Büchern bekannte kleinbürgerlich-jüdische Familie heran.

Der Autor geht der Frage nach, was gewesen wäre, wenn 1940 Präsident Roosevelt nicht erneut im Amt bestätigt worden wäre und die USA auf einen isolationistischen und nazi-freundlichen Kurs eingeschwenkt wären. Die Möglichkeit einer solchen historischen Wendung hätte es gegeben, dies dokumentiert auch der 36 Seiten umfassende Anhang des Romans, der die Nahtstellen zwischen historischen Fakten und historisierender Phantasie sichtbar machen will. Der Automobilhersteller Henry Ford, der seine Schriftenreihe »Der internationale Jude: Das Problem der Welt« in seiner eigenen Zeitung veröffentlichte, wird im Roman zum Innenminister, und der »All American Hero« Charles A. Lindbergh, Antisemit und Anhänger Hitlers, der als erster Mensch den Atlantik überflogen hat, wird Präsident. Kurz, die Hinwendung der USA zum Faschismus wird beschrieben, der mit alltäglichen Demütigungen der jüdischen Familie beginnt und später in Deportationen und Pogromen gipfelt. Geschildert wird dieses Horrorszenario aus der Sicht des siebenjährigen Philip, der in naiver Sprache nicht nur die äußere Bedrohung schildert, sondern auch den drohenden Zerfall der eigenen Familie. Der jüdische Radioprediger Rabbi Bengelsdorf, der sich öffentlich an die Seite Lindberghs gestellt hat, wird zum Schwager des aufrechten antinazistischen Vaters Herman Roth, weil dieser Evelyn, die ehrgeizige Schwester seiner Frau Bess, heiratet. Auch ein Bruder von Philip hängt der Ideologie Lindberghs an. Die zeitweilige Begeisterung des künstlerisch begabten zwölfjährigen Sandy für Lindbergh und seinen rustikalen Faschismus wird durch eine Kinderlandverschickung nach Kentucky ausgelöst und sorgt für tiefe Risse innerhalb der Familie. Gottlob entdeckt Sandy alsbald etwas, dass ihn noch mehr interessiert als faschistische Politik – Mädchen.

Da Roth die Perspektive eines Kindes übernimmt, kann er in aller Naivität das Böse, das auf die Familie einwirkt, darstellen. Der kleine Philip identifiziert sich mit der Überzeugung des einsam warnenden Vaters, einem überzeugten Anhänger von Roosevelt. Der Junge präsentiert eine einfache Wahrheit: Der Sieg der isolationistischen nazi-freundlichen Appeasementpolitik bedeutet höchste Gefahr für die Familie; Roosevelt und die linken Juden und Demokraten sind die letzte Hoffnung der bedrängten und zerrissenen Familie. »Verschwörung gegen Amerika« ist eine Hommage an das linksdemokratische politische Spektrum um Präsident Franklin D. Roosevelt. Bereits in »Mein Mann, der Kommunist« von 1998 wurden wir mit Roths Affinität zu den linkskeynesianischen und fortschrittlichen Vertretern eines New Deal wie Henry Wallace und Henry Morgenthau bekannt gemacht.

Der Schriftsteller will sein Buch nicht als aktuellen Kommentar zum Weltgeschehen gedeutet wissen. In einer Autorezension in der New York Times, in der er sein Buch mit George Orwells »1984« vergleicht, hält Roth in aller Deutlichkeit fest, dass er nicht vorgibt, sich für die Jahre 1940 bis 1942 zu interessieren, um eine Art Parabel der heutigen Situation zu schaffen, sondern dass er sich wirklich für diese Zeit interessiert.

Linksliberale Rezensenten wollten dennoch den großen politischen Schlüsselroman in »Verschwörung gegen Amerika« ausgemacht haben, eine Parabel, ein Statement zur Zeit und zum aktuell regierenden Präsidenten George W. Bush. Paul Berman hingegen wollte in einem Artikel der New York Times Book Review etwas tiefer schürfen und verwarf die Vorstellung, mit Lindbergh sei George W. Bush porträtiert worden. Lindberghs Hauptagitation gegen Roosevelt bestand Berman zufolge darin, dem demokratischen Präsidenten vorzuwerfen, unter dem Einfluss seiner jüdischen Freunde zu stehen und die USA in einen »jüdischen Krieg« gegen Deutschland zu ziehen. Berman machte darauf aufmerksam, dass eine vergleichbare Wahrnehmung auch vor dem Krieg gegen den Irak geherrscht habe. Tatsächlich wurde Roosevelt auch ständig von der rechten Presse als »Kriegstreiber« bezeichnet. Ein Vorwurf, der Bush heutzutage allerdings aus einem ganz anderen politischen Milieu gemacht wird. Ist Bush, so legt Bermans Roth-Lektüre nahe, also ein neuer Roosevelt? Oder andersherum gefragt: Gesellt sich Philip Roth nun auch zu den konservativ gewendeten Juden, die angesichts des neuen Faschismus und Antisemitismus der »internationalistischen« Kriegspolitik von Bush in guter alter Reminiszenz an Roosevelts Kriegseintritt gegen die Deutschen etwas abgewinnen können?

Sehr vieles, wenn nicht alles spricht gegen diese Interpretation. Roth porträtiert ein radikal anderes, ein arbeitnehmerfreundliches, anti-antikommunistisches Amerika. In Interviews macht er unmissverständlich klar, dass er der Politik Bushs nichts abgewinnen kann, und auch der Anhang zu »Verschwörung gegen Amerika« liest sich wie eine Hommage an die linken Demokraten. Gerade die sentimentale Erinnerung an die New-Deal-bewegten vierziger Jahre zeigt, wie sehr sich die heutigen USA unter Bush von diesem Ideal entfernt haben.

Philip Roth: Verschwörung gegen Amerika. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser Verlag, München 2005, 432 S., 24,90 Euro