Europas Schäden

Flüchtlingsdrama vor Sizilien von federica matteoni

Kein Sommer vergeht, ohne dass an den sizilianischen Stränden Leichen angespült werden. Das jüngste Flüchtlingsdrama ereignete sich am Sonntag vorvergangener Woche, als mindestens elf Menschen starben, die nach einem Schiffsunglück verzweifelt versuchten, an Land zu schwimmen.

Das mit 160 bis 170 Menschen überfüllte Flüchtlingsboot war von der libyschen Küste gestartet. Die Schlepper sollen den Passagieren gedroht haben: »Springt ins Wasser, sonst bringen wir euch nach Libyen zurück«, berichteten die Überlebenden, die sich seit einer Woche im Aufenthaltszentrum von Caltanissetta befinden. Alle wollen Asylanträge stellen, die meisten von ihnen stammen aus ostafrikanischen Ländern wie Sudan, Äthiopien und Somalia. Am selben Tag waren vor der Küste Ostafrikas mindestens 61 Somalier gestorben. Menschenschmuggler hätten die Flüchtlinge in einem defekten Boot allein gelassen, hieß es.

Nach dem Flüchtlingsdrama vor Sizilien hat Italien die EU und die afrikanischen Länder zum Handeln aufgerufen: »Niemand, weder in Europa noch in Afrika, darf die Tragödie der illegalen Einwanderung passiv hinnehmen«, sagte Innenminister Giuseppe Pisanu. Als hätte das europäische Grenzregime nicht genug Schäden angerichtet. Insbesondere die Meerenge zwischen Afrika und Sizilien ist zu einem gewaltigen Friedhof geworden, wo jährlich mehrere hundert Menschen ertrinken. Es handelt sich dabei nicht um »tragische Zwischenfälle«, sondern um die Folgen einer Abschottungspolitik, deren Ziel es ist, für Migranten keinen legalen Weg nach Europa offen zu lassen.

Seit Jahren versucht die EU systematisch, die angrenzenden Staaten in ihre Asyl- und Migrationspolitik einzubinden. Die Errichtung eines »integrierten Grenzschutzsystems« in diesen Ländern, auch durch die Schaffung einer EU-Grenzschutzagentur und die Ausrufung von so genannten protection areas außerhalb Europas für Flüchtlinge, die den Kontinent nicht erreichen sollen, ist Bestandteil dieser Politik. Auch die Kollektivabschiebungen ohne Einzelfallprüfung sind ein wichtiger Aspekt der europäischen Strategie zur Flüchtlingsabwehr. Seit einem Jahr wendet die italienische Regierung regelmäßig diese illegale Praxis an und führt Kollektivabschiebungen nach Libyen durch (Jungle World, 43/04).

Libyen hat die Genfer Konvention nicht unterzeichnet, garantiert kein adäquates Asylverfahren und schiebt Migranten, die seit Jahren im Land arbeiten, in ihre Herkunftsländer ab. Die italienischen Kollektivabschiebungen sind ein eklatanter Bruch der Genfer Konvention. Diese enthält das so genannte »Non-Refoulement«-Verbot, das die Abschiebung in Länder untersagt, die keinen asylrechtlichen Schutz vor Folter und Verfolgung gewährleisten.

Inzwischen haben das Europaparlament, das UNHCR, Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen diese Abschiebungen nach Libyen verurteilt, doch zu einer formellen Sanktionierung dieses Verfahrens ist es noch nicht gekommen.

Erst vergangene Woche, als eine Delegation des italienischen Parlaments das Aufenthaltslager auf der sizilianischen Insel Lampedusa besuchte, machte das Innenministerium offizielle Angaben zu den meist geheim gehaltenen Abschiebeflügen nach Libyen.

Für die ersten Kollektivabschiebungen von Lampedusa im Oktober 2004 waren Militärflugzeuge genutzt worden. Von Januar bis zum 10. August starteten 61 Charter-Maschinen, mit denen insgesamt 4 137 Menschen abgeschoben wurden, hauptsächlich aus Rumänien und Ägypten.