Mississippi Drowning

Schwarze US-Amerikaner werfen der Regierung vor, die Hilfe für New Orleans bewusst vernachlässigt zu haben. Nun will Bush den Wiederaufbau zügig vorantreiben. von william hiscott

Ein großer Hurrikan könnte die Region vernichten, und selbst die von einem Sturm mittlerer Stärke verursachte Überflutung könnte Tausende töten. Es ist nur eine Frage der Zeit.« Mit diesen Sätzen begann die New Orleans Times-Picayune im Juni 2002 eine vierteilige Serie über die potenziellen Gefahren eines Hurrikans. Bis auf die offenbar zu hoch geschätze Zahl der Toten – die Behörden haben etwa 800 Leichen gefunden – hatte die Lokalzeitung unter Berufung auf wissenschaftliche Untersuchungen recht genau den Ablauf und die unmittelbaren Folgen des Hurrikans Katrina vorausgesagt.

Doch Präsident George W. Bush liest keine Zeitungen, er schätzt regierungskritische Journalisten ebenso wenig wie Naturwissenschaftler, die vor den Folgen der globalen Klimaveränderungen warnen. Die Meinungen solcher »Eierköpfe« werden von der Regierung ignoriert. Dennoch ist es erstaunlich, dass Bushs Stab den Präsidenten nicht daran hinderte, seine Unwissenheit so offen zu äußern.

»Niemand hätte die Deichbrüche vorausahnen können«, sagte er vier Tage nach dem Beginn der Katastrophe. Zu diesem Zeitpunkt hatten die US-amerikanischen Medien bereits ausführlich darüber berichtet, dass die Regierung trotz zahlreicher Warnungen mehrmals das Geld für eine von vielen Kongressabgeordneten und Behörden als notwendig eingestufte Instandsetzung der Deiche gestrichen hatte.

Doch Unwissenheit und eine daraus resultierende mangelhafte Vorbereitung auf den Ernstfall erklären noch nicht, warum die Regierung erst vier Tage nach dem Beginn der Katastrophe reagierte. Die Konzentration auf die Terrorismusbekämpfung hatte dazu geführt, dass die für nationale Katastrophen zuständige Behörde Fema vernachlässigt wurde. Zudem wurde der Bush treu ergebene, aber inkompetente Michael D. Brown zum Direktor der Fema ernannt.

Eine Rolle spielte sicherlich auch die Tatsache, dass ein hoher Prozentsatz der während des Sturms in New Orleans Verbliebenen Afroamerikaner waren. Eine große Mehrheit der schwarzen US-Amerikaner sieht das so, ebenso prominente schwarze Politiker wie der Bürgerrechtler Jesse Jackson und die Kongressabgeordnete Stephanie Tubbs Jones. Es scheint allerdings weniger die Hautfarbe an sich als die Kombination von schwarzer Haut und leerer Brieftasche gewesen zu sein, die das Engagement der Regierung bremste. Viele der in Notunterkünften untergebrachten Menschen »waren ohnehin unterprivilegiert, so dass es für sie sehr gut ausgehen könnte«, sagte Barbara Bush, die Mutter des Präsidenten.

Jackson und Jones sehen in erster Linie die unter den Schwarzen weit verbreitete Armut als Grund, warum viele von ihnen New Orleans nicht einfach vor dem Sturm per Auto oder Bus verlassen konnten, wie es die Stadtverwaltung empfohlen hatte. Vor dem Sturm stand 85 Prozent der weißen, aber nur 65 Prozent der schwarzen Bewohner von New Orleans ein Auto zur Verfügung. Wer kein Geld hatte, musste im Superdome Zuflucht suchen. »Momentan ist dies nicht eine Frage von race, sondern vielmehr eine Frage der Klasse«, sagte Jones dem Nachrichtensender CNN. Es müsse aber gefragt werden, warum prozentual gesehen viel mehr schwarze Amerikaner arm sind als weiße.

Insbesondere die tief gelegenen Stadtteile von New Orleans in der Nähe des Lake Ponchartrain waren schon immer ein schwarzes Armenhaus im tiefen Süden der USA, wo überall die Folgen der Sklaverei und der anschließenden Segregationspolitik noch deutlich sichtbar sind. Wegen seiner Armut wird Louisiana fast als »failed state« angesehen, obgleich der Tourismus, die Ölindustrie und der Hafen einem Teil der weißen und schwarzen Bevölkerung relativen Reichtum gebracht hat.

Reichtum aber wird in einer Klassengesellschaft nicht gleichmäßig verteilt. Die kapitalistischen Verhältnisse führten dazu, dass die Mittel- und Oberschicht in den höher gelegenen, noch intakten Stadtteilen wohnte, während die Unterschicht am See lebte, neben den Ölraffinerien, den Deichen und einer Müllkippe, die schon vor der Katastrophe für erhöhte Blei- und Dioxinwerte in diesen Stadtteilen verantwortlich gemacht wurde. Die Überflutung dieses Gebiets hat große Mengen Giftstoffe freigesetzt und eine Umweltkatastrophe verursacht.

Die Armut im tiefen Süden ist zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich schwarz. Entlang der zerstörten Küste des Bundesstaats Mississippi traf die Katastrophe auch die weiße Unterschicht. Zudem wurden die wichtigsten Einnahmequellen der Region, die vor der Küste liegenden Glücksspielschiffe, vom Sturm weggefegt. Presseberichten zufolge werden die Unternehmen einen weniger gefährlichen Standort suchen.

Dennoch hat der Rassismus im tiefen Süden immer einen besonderen Charakter gehabt. Nirgendwo sonst in den USA wird wie dort in den Kategorien »weiß« und »schwarz« gedacht und gehandelt. Offener und struktureller Rassismus, gekoppelt mit Armut und Arbeitslosigkeit, sorgen für Hoffnungslosigkeit unter der schwarzen Bevölkerung. Millionen von Afroamerikanern aus dem tiefen Süden sind in die Industriegebiete des Nordens oder nach Kalifornien ausgewandert. Oftmals endete diese Migration allerdings schlecht, die armen Innenstadtviertel dieser Landesteile sind bis heute ein klarer Beweis für die fehlende Integration.

Dennoch rechnen Experten damit, dass möglicherweise Hunderttausende von Evakuierten nicht nach New Orleans zurückkehren werden. Insbesondere in Texas, wo nach billigen Arbeitskräften händeringend gesucht wird, könnte sich vielen die Chance auf ein besseres Leben bieten. Den Rückkehrwilligen hat Bush in der vergangenen Woche großzügige Hilfe versprochen. »Alles wird wieder aufgebaut«, versprach der Präsident, »koste es, was es wolle.« In einem jüngst vom Weißen Haus vorgelegten Plan ist unter anderem die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone in der betroffenen Region vorgesehen, über 60 Milliarden Dollar sollen für Hilfe und Wiederaufbau ausgezahlt werden.

Experten schätzen jedoch, dass der Wiederaufbau 200 Milliarden Dollar kosten könnte. Das ohnehin gewaltige Haushaltsdefizit würde noch größer, doch wären hohe Ausgaben für die von der Katastrophe betroffene Region möglicherweise populär. Sie könnten Bush, der wegen seiner Irak-Politik und der steigenden Benzinpreise immer unbeliebter wird, ein anderes und besseres Image verschaffen. Allerdings müsste er nicht nur seine Behörden in den Griff bekommen, sondern auch den wirtschaftsliberalen Flügel der Republikaner, der eine vollständige staatliche Finanzierung des Wiederaufbaus ablehnt.

Es bleibt daher fraglich, ob die Notlage der Evakuierten schnell beendet wird. Nach ihrem anfänglichen kompletten Versagen sind die Behörden der USA drei Wochen nach dem Hurrikan zu einem unkoordinierten Katastrophenmanagement übergegangen. Zwar wurden Teile der Stadt wieder für Rückkehrer geöffnet und das Auspumpen des Wassers kommt zügig voran, aber viele Opfer des Hurrikans warten immer noch auf Unterstützung. Sie haben wenig Anlass für die Hoffnung, dass sie die Stadien und Turnhallen, in denen sie untergebracht sind, schnell verlassen können. Denn manche in den vergangenen Jahren nach Hurrikans Evakuierte leben immer noch in Notunterkünften.