Mord für die Familie

In Berlin hat der Prozess um die Ermordung von Hatun Sürücü begonnen. Einer ihrer Brüder gestand vor Gericht, sie getötet zu haben. von kerstin eschrich

Immer wieder ist in den Berichten türkischstämmiger Frauen von brutalen Mackern, den Brüdern, die Rede, die sich als Sittenwächter ihrer Schwestern aufspielten. Neben dem Vater gilt der älteste Bruder, der Abi, als Repräsentant der traditionellen, muslimischen Familie. Er soll dafür sorgen, dass die »Ehre« wiederhergestellt wird, wenn ein weibliches Familienmitglied diese »beschmutzt« hat.

Seit der vergangenen Woche stehen drei junge Männer in Berlin vor Gericht, weil sie ihre Schwester, Hatun Sürücü, am 7. Februar im Bezirk Tempelhof ermordet haben sollen. Der 19jährige Ayhan, ihr jüngster Bruder, hat am ersten Prozesstag die Tat gestanden. Er habe den Lebenswandel und die Moralvorstellungen seiner Schwester nicht akzeptiert, erklärte er. »Ich habe meine Schwester getötet«, sagte er und betonte ausdrücklich, alleine gehandelt zu haben. Mit seiner Argumentation könnte er darauf spekulieren, dass nur er nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wird.

Hatun Sürücü wurde getötet, weil sie ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen und nicht nach denen ihrer streng muslimischen Familie leben wollte. Als die Berlinerin 15 Jahre alt war, wurde sie in der Türkei mit ihrem Cousin verheiratet. Sie ging nach kurzer Zeit alleine nach Berlin und weigerte sich auch nach der Geburt ihres Sohnes, in die Türkei zurückzukehren. Sie lebte später getrennt von ihrer Familie.

»Damals hatte meine Schwester wie eine Fremde zu leben begonnen. Sie hatte sich einen neuen Freundeskreis aufgebaut. Sie sagte, sie wollte ihren Partner selbst aussuchen«, sagte einer ihrer Brüder der türkischen Zeitung Zaman. Wenn sie nicht mit drei Kopfschüssen getötet worden wäre, hätte die 23jährige kurze Zeit später ihre Lehre zur Elektroinstallateurin abschließen können.

Sie ist nicht die einzige Frau, die in den vergangenen Monaten von Verwandten getötet wurde, weil sie sich Regeln widersetzte, nach denen Frauen Rechte abgesprochen werden. Eine offizielle Statistik über so genannte Ehrenmorde gibt es nicht. Allein in Berlin wurden seit November des vorigen Jahres mindestens fünf Frauen aus Migrantenfamilien von Verwandten oder Lebensgefährten ermordet, weil sie sich dem traditionellen islamischen Lebensstil entzogen hatten. Für die Jahre 1996 bis 2004 dokumentiert die Berliner Kriseneinrichtung für junge Migantinnen, »Papatya«, 45 »Ehrenmorde« im gesamten Bundesgebiet.

Seit dem 7. September steht Cengiz U. in Berlin vor Gericht. Der frühere Mann von Semra U. hat die 21jährige am 25. November in Berlin-Reinickendorf erstochen. Mit 15 Jahren musste die Berlinerin ihren Cousin in der Türkei heiraten. Im Jahr 2002 ließ sie sich von ihm scheiden. Danach soll sie sowohl von ihm und seiner Familie wie auch von ihrer eigenen Familie bedroht worden sein. Cengiz U. ermordete sie schließlich in einer Telefonzelle vor den Augen ihrer gemeinsamen Tochter. Fatma U., eine Freundin der Toten, die während der Tat zugegen war, berichtete vor Gericht, dass der Mörder »Nutte« geschrieen habe, während er zustach.

Das »Vergehen« der 20jährigen Gönül Karabey hingegen bestand darin, dass sie einen deutschen Freund hatte, den sie zum Verdruss ihrer Familie auch heiraten wollte. Sie ist das letzte bekannte Opfer eines so genannten Ehrenmordes in Deutschland. Sie wurde am 13. Juni in Wiesbaden getötet. Nach Informationen der Staatsanwaltschaft Wiesbaden traf sie sich an diesem Tag mit ihrem Bruder Ali zu einer Aussprache. Er soll aber nichts weniger als ein Gespräch im Sinn gehabt und sie stattdessen erschossen haben.

Nach dem Mord an Karabey verfasste die türkischstämmige Autorin Serap Cileli, die selbst zwangsverheiratet worden war, eine wütende Anklagerede. Sie griff darin die »naiven« deutschen und türkischstämmigen Politikerinnen und Politiker an, die »unser Engagement gegen Zwangsheirat, Ehrenmorde, Kinderhochzeiten« aus Rücksicht auf die Integration der Migranten als zu pauschal kritisierten. Ehrenmorde zu ächten, habe nichts mit Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit zu tun, erklärte sie. »Kulturelle Toleranz endet da, wo Menschenrechte verletzt werden.«

Ähnlich argumentiert auch Necla Kelec in ihrem Buch »Die fremde Braut«. Sie kritisiert die »linken und liberalen ›Multikultis‹«, die mit »ihrer folkloristischen Sichtweise auf die Ausländer« die Integration verhindert hätten. »Eine Toleranz, die selbst noch die Intoleranz und alltäglichen Gewaltverhältnisse als Bestandteil eines ›anderen kulturellen Kontextes‹ hinzunehmen, ja zu respektieren bereit ist, entlarvt sich letzten Endes als wertlos.«

Hinzu kommt, dass die »Gastarbeiter« und ihre Familien bislang nur sehr bedingt als Teil der deutschen Gesellschaft betrachtet wurden und daher die Probleme der Frauen in ihren Familien nie in der Gesellschaft diskutiert wurden. Daher rührt es auch, dass bei »Ehrenmorden« oftmals der so genannte kulturelle Hintergrund als strafmildernd angeführt wurde. Auch die Zwangsehe war bisher kein eigener Straftatbestand, sondern galt nur als Nötigung.

Das aber soll sich ändern. Der Bundesrat hat eine Initiative für einen Gesetzentwurf ergriffen, der für denjenigen, der eine andere Person zur Heirat nötigt, mindestens drei Monate Haft vorsieht. Zudem soll es möglich sein, auch drei Jahre nach der erzwungenen Schließung der Ehe deren Aufhebung zu beantragen. Eine Statistik über erzwungene Eheschließungen in Deutschland gibt es bisher nicht.

Allein in Berlin wurden nach Umfragen im Jahr 2002 in migrantischen Einrichtungen 230 Zwangsheiraten dokumentiert. Aber das Problem betrifft nicht nur Berlin. Wie die Staatsanwaltschaft Saarbrücken am Mittwoch vergangener Woche mitteilte, wurden an dem Tag zwei Männer verhaftet, die verdächtigt werden, ihre Cousine, eine 19jährige Türkin aus Saarbrücken, entführt, eine Woche lang gefangen gehalten und vergewaltigt zu haben. Sie sollen sie drangsaliert haben, da sie sich standhaft geweigert hatte, einen der Männer zu heiraten.

Der türkische Bund Berlin spricht in einem offenen Brief zum Thema »Bekämpfung der Zwangsheirat« davon, dass diese »nach Meinung von Experten zu 90 Prozent in Kulturen mit fundamentalistisch-islamischem Hintergrund« vorkomme. Um gleich darauf zu betonen: »Dafür gibt es im Koran allerdings keine Grundlage.«

Die Autorin Serap Cileli führt dagegen einen »Hadith«, eine angebliche Aussage des Propheten Muhammad, an: »Eine Jungfrau soll ohne ihr Einverständnis nicht verheiratet werden. Und genügend als (Zeichen der) Zustimmung soll ihr Schweigen sein (wegen ihrer natürlichen Schüchternheit).« Dazu schreibt sie im Vorwort zu dem Buch »Mich hat keiner gefragt« der Autorin Ayse: »Aus meiner Sicht ist dieser Satz die Lizenz zur Zwangsheirat ›im Namen Allahs‹.«