Völker, hört das Banale!

Die Erklärung des UN-Weltgipfels ist ein Kompromiss zwischen nationalstaatlichen Interessen. Einen Beitrag zur Armutsbekämpfung leistet sie nicht. von jörn schulz

Es kann keine Sicherheit geben, wenn man wegsieht oder ein ruhiges Leben sucht und die Not und Unterdrückung anderer ignoriert«, sagte nicht etwa ein Attac-Sprecher, sondern US-Präsident George W. Bush am Mittwoch der vergangenen Woche. Die Bekämpfung von Übeln wie Armut, Unterdrückung und Hoffnungslosigkeit, die dem Terrorismus Auftrieb geben, sei »eine moralische Pflicht«, und die USA seien »entschlossen, Nationen zu helfen, die mit der Armut kämpfen«.

Wenn Regierungschefs reden wie Kirchentagsteilnehmer, ist meistens ein internationales Gipfeltreffen daran schuld. Jeder weiß, dass er sich zu nichts verpflichten muss und dass keine verbindlichen Beschlüsse gefasst werden. Die Gelegenheit ist also günstig, sich mit einer humanitären Pose zu profilieren.

Die 35seitige Abschlusserklärung war bereits vor dem Beginn des UN-Weltgipfels in New York am Mittwoch voriger Woche abgesegnet worden. Die USA konnten unter anderem durchsetzen, dass Abrüstung und Waffenhandel unerwähnt bleiben. Gemeinsam mit den anderen westlichen Staaten sorgten sie dafür, dass hinsichtlich der Armutsbekämpfung keine konkreten Verpflichtungen genannt werden. Den Diktaturen der »Dritten Welt« wiederum gelang es, die Reform der Menschenrechtskommission zu verhindern und sich durch die Formel, es gebe »kein singuläres Modell der Demokratie«, gegen Reformdruck abzuschotten.

Mit diesem Ergebnis können alle zufrieden sein, gleichzeitig gibt es ihnen die Möglichkeit, sich über die mangelnde Reformbereitschaft der jeweils anderen zu beklagen. Kein Klub kann besser sein als seine Mitglieder, und die Uno gibt recht genau das globale Kräfteverhältnis wieder. Der Gegensatz zwischen kapitalistischen und stalinistischen Staaten wurde abgelöst durch die unübersichtlicheren Konfrontationslinien einer »multipolaren« Welt mit wechselnden Bündnissen.

Obwohl sie ansonsten immer seltener einer Meinung sind, wehrten China und die USA gemeinsam den Versuch Deutschlands, Japans, Indiens und Brasiliens ab, ständige Sitze im Sicherheitsrat zu ergattern. Der recht durchsichtige Versuch dieser »Viererbande«, ihren Machthunger als humanitäres Verantwortungsgefühl für die »Weltgemeinschaft« zu verkaufen, konnte die meisten Regierungen der »Dritten Welt« nicht überzeugen.

Das allerdings ist fast das einzige erfreuliche Ergebnis. Gegen eine globale Front der Reaktionäre hatten längst fällige Erweiterungen der Menschenrechtscharta, beipielsweise die Gleichberechtigung von Homosexuellen oder das Verbot der Todesstrafe, keine Chance. In sozialpolitischer Hinsicht ist die Gipfelerklärung ein Rückschritt. Noch in den achtziger Jahren propagierten UN-Behörden und selbst bürgerliche Politiker westlicher Staaten eine »neue Weltwirtschaftsordnung«, ein Konzept der globalen Intervention in die ökonomischen Verhältnisse, das zwar etatistisch und autoritär war, aber immerhin anerkannte, dass der »freie Markt« nicht das wichtigste Instrument der Armutsbekämpfung sein kann. Die UN-Gipfelerklärung dagegen betont die »vitale Rolle« des »privaten Sektors«, ansonsten erschöpft sie sich in unverbindlichen Hilfszusagen, technokratischen Vorgaben und der Beschwörung von »Good Governance«.

Die Verabschiedung dieses Programms beseitigt die letzten Zweifel daran, dass die Uno das Ziel nicht erreichen wird, die globale Armut bis 2015 auf die Hälfte zu reduzieren, obwohl theoretisch alle Voraussetzungen dafür vorhanden wären. Der Bericht der Nord-Süd-Kommission für die Uno resümiert: »Noch nie hat die Menschheit über so vielfältige technische und finanzielle Ressourcen verfügt, um mit Hunger und Armut fertig zu werden. Die gewaltige Aufgabe lässt sich meistern, wenn der notwendige gemeinsame Wille mobilisiert wird.« Vorgelegt wurde er im Februar 1980.