Achse des Öls

Der Konflikt um das iranische Atomprogramm von jörn schulz

Bei den Sitzungen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien geht es normalerweise zu wie früher bei den Parteitagen der KPdSU. Da alle fest an eine gemeinsame strahlende Zukunft glauben, gilt es als ungehörig, Meinungsverschiedenheiten offen auszutragen. Es war deshalb ein Zeichen für einen heftigen Streit, dass sich im Board of Governors der IAEA bei der Verabschiedung der Iran-Resolution am 24. September zwölf von 35 Mitgliedsstaaten der Stimme enthielten und einer sie sogar ablehnte.

Die Resolution stellt fest, dass der Iran Teile seines Atomprogramms verheimlicht und somit seine Verpflichtungen nach dem Atomwaffensperrvertrag nicht erfüllt hat. Umstritten blieb die Schlussfolgerung: »Das daraus resultierende Fehlen an Vertrauen, dass das iranische Nuklearprogramm allein friedlichen Zwecken dient, wirft Fragen auf, die in der Zuständigkeit des Sicherheitsrates liegen«.

Dies bedeutet noch nicht, dass sich der Sicherheitsrat umgehend mit dem iranischen Atomprogramm befassen wird. Bis zur nächsten Sitzung des Board of Governors im November soll das Vertrauen durch weitere Verhandlungen mit dem Iran wiederhergestellt werden. Dass dennoch so viele Staaten der Resolution nicht zustimmen mochten, war ein Erfolg für die iranische Diplomatie.

Enthalten haben sich neben Russland und China überwiegend Staaten der »Dritten Welt«, unter ihnen Verbündete der USA wie Tunesien und Sri Lanka. Die Gegenstimme kam von Venezuela, dessen Präsident Hugo Chávez ein politisches Bündnis mit dem Iran anstrebt. Die Atommacht Indien dagegen stimmte mit den westlichen Staaten, was von der rechten Oppositionspartei BJP ebenso kritisiert wurde wie von den linken Koalitionspartnern der Kongress-Partei. Die Entscheidung habe »Indiens Ansehen bei den Entwicklungsländern gemindert«, urteilte der KP-Generalsekretär Doraiswamy Raja.

Begründet wird die Unterstützung der iranischen Position meist mit dem Verweis auf die »nukleare Apartheid«. Der Atomwaffensperrvertrag verpflichtet die Nuklearmächte seit 1968 zu Abrüstungsverhandlungen »in redlicher Absicht«, und das Statut der IAEA sieht einen nichtkommerziellen Transfer ziviler Atomtechnologie an Staaten vor, die sich eigene Forschungen nicht leisten können. Die westlichen Staaten zeigten in den vergangenen Jahrzehnten keinen großen Eifer bei der Einhaltung dieser Zusagen.

Das gilt allerdings auch für Russland und China, denen diese Haltung jedoch offenbar weniger übel genommen wird. Der mangelnde Konsens in der IAEA dürfte daher eher ein weiteres Zeichen für die Machtverschiebungen in einer »multipolaren Welt« sein. Nicht nur China gewinnt an Macht, auch ölreiche Staaten wie Iran und Venezuela können die Weltpolitik beeinflussen. Die Steigerung des Ölpreises hat bereits mehrere asiatische Staaten an den Rand einer Wirtschaftskrise gebracht. Schon aus ökonomischen Gründen wollen die meisten Staaten der »Dritten Welt« Sanktionen gegen den Iran verhindern, die den Energiesektor treffen müssten, wenn sie wirksam sein sollen.

Da Russland und China im Sicherheitsrat wahrscheinlich ein Veto gegen Sanktionen einlegen würden und US-Präsident George W. Bush sich einen weiteren Krieg weder politisch noch finanziell leisten kann, hat das iranische Regime wenig zu fürchten, wenn es sein militärisches Atomprogramm weiter vorantreibt. Die Strategie der Ayatollahs, Drohungen und Vertragsbrüche mit taktischen Rückzugsmanövern zu kombinieren, hat sich in dem seit nunmehr fast drei Jahren andauernden diplomatischen Konflikt bewährt.