Verwechslung wählen!

Auch bei den Präsidentschaftswahlen sind die Konservativen Favoriten. Das Hauptproblem Lech Kaczynskis ist sein Zwillingsbruder Jaroslaw. von oliver hinz

Einen so schlechten Ruf wie in Polen haben die Parteien fast nirgendwo in Europa. Viele Bürger haben sich hier längst von der Politik abgewendet. So will auch der 43jährige Familienvater Michal Nowak am kommenden Sonntag nicht zur Präsidentschaftswahl gehen: »Egal, wer an die Macht kommt – sie wollen zuerst ihre Taschen voll stopfen. Klar, ich würde es auch so machen.« Und so denken viele. Am vorletzten Sonntag boykottierten im pommerschen Ort Stary Dzierzgon, der 4 000 Einwohner hat, sogar vier von fünf Stimmberechtigten die Parlamentswahl. Nur 18,6 Prozent machten ihr Kreuz – die niedrigste Wahlbeteiligung in ganz Polen. Sie lag bei 40,6 Prozent.

Angesichts dieser Stimmung bezüglich Parteien hatte zunächst der 37jährige Fernsehjournalist Tomasz Lis sehr gute Aussichten, Staatschef zu werden. Anfang 2004 wünschten sich viele Polen den Nachrichtenmoderator des Privatsenders TVN als Präsidenten. Nur die ebenfalls politisch unerfahrene Jolanta Kwasniewska, die Frau des Amtsinhabers, schnitt in den Umfragen noch besser ab. Beide treten dennoch nicht an. Lis verlor seinen Job, weil er eine Kandidatur nicht ausschloss. Nun macht er beim Konkurrenzsender Polsat als Programmdirektor Karriere und mischt als Journalist im Wahlkampf mit. Vorige Woche moderierte er das Fernsehstreitgespräch der beiden Präsidentschaftskandidaten Donald Tusk und Lech Kaczynski, die große Chancen auf einen Sieg haben. Hinterher watschte Lis beide in seiner Internetkolumne ab: »Es ist zynisch, wie die Bildung einer neuen Regierung auf dem Altar der Präsidentschaftsambitionen geopfert wurde.«

Man fühlte sich an die Containersendung »Big Brother« erinnert, als Kaczynskis rechtspopulistische Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), die mit 27 Prozent der Stimmen die Parlamentswahl gewann, und Tusks konservative Bürgerplattform (PO), die 24,1 Prozent bekam, die Koalitionsverhandlungen begannen. Die fast zwei Stunden dauernden Auftaktgespräche übertrug das Fernsehen live. Beide Delegationen lieferten sich einen Schlagabtausch und sparten auch nicht mit Boshaftigkeiten. Es kam quasi einer Fortsetzung des Fernsehduells gleich, nur dass diesmal die Matadoren nicht selber antraten, sondern ihre Parteikollegen miteinander stritten. Nach vernichtenden Zeitungskommentaren über die »Telerepublik« und die »politische Reality-Show« mussten die Kameras wieder ausgeschaltet werden.

Lech Kaczynskis Bestrebungen, Präsident zu werden, werden von seinem Zwillingsbruder Jaroslaw auf recht selbstlose Weise unterstützt. Eigentlich hätte Jaroslaw Kaczynski als Spitzenkandidat der PiS bei der Parlamentswahl Premierminister werden müssen, doch er nominierte stattdessen überraschend Kazimierz Marcinkiewicz, um die Wahlchancen seines Zwillingsbruders zu wahren. Denn die Polen wollen nicht die beiden wichtigsten Staatsämter Zwillingen überlassen, die ständig miteinander verwechselt werden. Selbst auf Lechs Website ist zu lesen, dass seine zweijährige Enkelin Ewa manchmal Jaroslaw für ihren Opa hält.

Der designierte Regierungschef Marcinkiewicz leitete bisher die Schatzkommission des polnischen Parlaments, die sich mit Privatisierungen beschäftigt. Dem Mathematik- und Physiklehrer war bislang lediglich ein Amt als Finanz- oder Bildungsminister zugedacht. In seiner nahe der deutschen Grenze liegenden Herkunftsstadt Gorzow an der Warthe führte er die PiS auf 35 Prozent der Wählerstimmen. Nach der überraschenden Benennung von Marcinkiewicz gab PO-Präsidentschaftskandidat Tusk sogleich Contra: »Ich dachte, wir behandeln Regierungsangelegenheiten ernsthaft und nicht nur unter taktischen Gesichtspunkten.« Zugleich verlangte er eine Garantie, dass der Überraschungskandidat, den nicht nur die PO als Strohmann der Kaczynskis sieht, vier Jahre im Amt bleibt und nicht bereits in diesem Monat durch einen der Zwillinge ausgewechselt wird. Es ist schließlich möglich, dass Lech Kaczynski Premierminister wird, wenn er die Präsidentschaftswahl verliert.

Die Außenpolitik spielte im Wahlkampf keine entscheidende Rolle. Die einzige Ausnahme waren am vorigen Freitag die getrennten Gespräche von Tusk sowie Lech Kaczynski und Marcinkiewicz mit dem EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso. Alle drei gaben sich dabei als begeisterte Europäer aus.

Das gilt vor allem für Tusk. Seine erste Auslandsreise soll ihn, wie er sagt, nach Deutschland und Frankreich führen. Zur CDU-Chefin Angela Merkel und dem Chef der französischen Konservativen, Nicolas Sarkozy, pflegt er engen Kontakt. Beide besuchten Tusk im Wahlkampf, so dass er sich schon als Staatsmann präsentieren konnte. Kaczynski dagegen will als erstes in die USA reisen. Zur Begründung führt er an: »Das ist unser wichtigster strategischer Partner.«

Katholikenliebling Lech Kaczynski biederte sich mit einem Wahlkampfbrief an die Pfarrer dermaßen bei der Kirche an, dass ihm der angesehene Bischof Tadeusz Pieronek am Wochenende in der Zeitung Gazeta Wyborcza eine Abfuhr erteilte: »Es gibt nichts Scheußlicheres, als wenn sich Politiker auf die Autorität der Kirche stützen. Fotos mit dem Papst oder von der heiligen Kommunion in Wahlbroschüren – das ist eines echten Politikers unwürdig.« Um Unterstützung warb Kaczynski unter anderem mit seinem Kampf gegen die »Demoralisierung« durch eine Schwulenparade, die er als Warschauer Bürgermeister im vorigen und in diesem Jahr verboten hatte. Tusk biederte sich hingegen wenige Monate vor der Wahl dem Klerus an und heiratete seine Frau auch kirchlich.

Überraschend milde gingen Kaczynski und Tusk zuletzt mit Staatspräsident Aleksander Kwasniewski um, der nach zehn Jahren im Amt nicht wieder kandidieren darf. Viele rechte Abgeordnete wollen den ehemaligen Kommunisten wegen angeblicher Verfehlungen am liebsten vor Gericht stellen. Doch beide Präsidentschaftskandidaten versicherten während des Fersnsehstreitgesprächs, Kwasniewski bei einer möglichen Bewerbung um das Amt des Uno-Generalsekretärs zu unterstützen. Beide buhlen um linke Stimmen. Das ist auch deshalb leicht, weil der Kandidat der bisherigen sozialdemokratischen Regierungspartei SLD, der ehemalige Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz, nach einem Aktienskandal das Handtuch warf. Übrig geblieben ist auf der Linken nur der ehemalige Parlamentspräsident Marek Borowski, dessen SdPl bei der Parlamentswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Am Sonntag kann er auf zehn Prozent hoffen.

Laut einer vom Magazin Wprost veröffentlichten Umfrage führt Tusk mit 43 Prozent vor Kaczynski (32 Prozent), was auf eine Stichwahl zwischen beiden hinausläuft. Auf Platz drei liegt der radikale Bauernführer Andrzej Lepper mit 13 Prozent. Der berüchtigte Antisemit Leszek Bubel, vor dem auch die Kirche warnt, kann mit weniger als einem Prozent rechnen. Bei der Parlamentswahl bekam seine Polnische Nationalpartei 34 127 Stimmen. Das waren 0,29 Prozent.