Zur Hölle mit dem Paradies!

»Paradise Now« plädiert für das Mitgefühl mit Selbstmordattentätern und das Verständnis für die Bombe. von markus ströhlein

Der Regisseur von »Paradise Now«, Hany Abu-Assad, bekennt in einem Interview: »Ja, die Bombe ist ambivalent.« Mit seinem Statement hat der Mann, der vor dem Filmstart als antiisraelische Sprechpuppe Seite um Seite in deutschen Blättern füllen durfte, auf den Punkt gebracht, was es mit seinem Film auf sich hat: Selbstmordattentate sind diskursive Felder, die man mit der Lust an der Differenzierung durchpflügt. Für die einen sind sie Verzweiflungstaten, für die anderen Akte der Ausweglosigkeit, für dritte eine schlechte Wahl.

»Sie machen Fehler, aber es sind dennoch Freiheitskämpfer.« So denkt es in Abu-Assad. Der Attentäter will nur das Beste, entscheidet sich aber für die falschen Mittel. Dass das Suicide Bombing in Intention und Ergebnis nur eines zum Zweck hat, nämlich Juden zu töten, weil sie Juden sind, und dass der antisemitische Mord nur um seiner selbst willen verübt wird, negiert der Regisseur in »Paradise Now« durch die Differenzierung. Wo die eindeutige Tat, bei der es nur den Unterschied ums Ganze gibt, in Vieldeutigkeit aufgeht, ist der Täter längst aus dem Schneider.

»Ich bin gegen die Tötung von Menschen, und ich will das stoppen. Aber ich verurteile die Selbstmordattentäter nicht. Für mich ist das eine sehr menschliche Reaktion auf eine extreme Situation.« Abu-Assads Verständnis überrascht nicht. Wie er in einem Artikel in der Zeit selbst schreibt, bewarb er sich in den achtziger Jahren bei der PLO, um sich »im Libanon zum Kämpfer« ausbilden zu lassen. Er wurde jedoch abgelehnt. In der Filmindustrie ist es leichter mit der Karriere. Abu-Assad arbeitet handwerklich solide. Und er weiß, wie man Empathie weckt.

Khaled und Said, die Hauptfiguren des Films, besitzen genug Schlüsselreize, um bei den europäischen Zuschauern, die ohnehin wissen, dass die Palästinenser ein von einem übermächtigen Gegner existenziell bedrohtes Volk sind, das Mitgefühl zu wecken. Beide Figuren sind jung und lassen sich nicht alles gefallen. Sie rauchen Wasserpfeife und hören Musik. »Getrennt und auf sich allein gestellt müssen sie ihr Schicksal meistern und für ihre Überzeugungen einstehen.« So beschreibt es das Filmheft. Khaled kehrt im letzten Moment um. Said sprengt sich in einem Bus voller Soldaten und Zivilisten in die Luft. Die Kamera klebt bis zum Schluss am Mörder, ohne jemals mit ihm zu brechen. Er sitzt im Bus, umgeben von seinen Opfern, die aber von einer am Ende nur noch die Augen des Täters fokussierenden Kamerafahrt aus dem Bild verdrängt werden. Dann ist die Leinwand weiß und es ist still.

Dass der Film keinen Platz für die Opfer des antisemitischen Mordwahns hat, mussten selbst einige positiv gestimmte Rezensenten zähneknirschend zugeben. Die Opfer haben keine Worte und sie haben nur einen Ort: den ihrer Ermordung. Die Israelis, die vorher auftreten, sind Schablonen, die die Botschaft des Films bestätigen. Da sind die Soldaten, die wie Phantome im Hintergrund auftauchen, um die Besatzung als atmosphärische Last zu verdeutlichen. In dieser Darstellung wird Israel zur anonymen, abstrakten Übermacht, die jedes Übel zu verantworten hat. Da ist das kleine Mädchen in einem Bus, das Said durch seine Anwesenheit davon abbringt, einzusteigen und das Attentat zu verüben. Antisemiten haben ein Herz für Kinder. Und der nächste Bus kommt bestimmt. Der Kindermörder heißt, die Palästina-Solidarität weiß es, Israel.

Empirisch völlig absurd, ist die Gnade des Mörders für das Kind auch ein dramaturgisches Zugeständnis an das europäische Publikum. Die dritte Hauptfigur des Films, die Menschenrechtsaktivistin Suha, ist arg konstruiert, predigt aber so leidenschaftlich den Gewaltverzicht aus strategischen Gründen und den »moralischen Krieg« gegen Israel, dass der europäische Common Sense mehr als befriedigt wird.

Liefe die niederländisch-französisch-deutsche Produktion nur in Off-Kinos, sie wäre nicht der Rede wert. Doch dank Constantin-Film, dem Verleih Bernd Eichingers, gelangt nach der audiovisuellen Kuschelstunde mit dem Führer in »Der Untergang« der Selbstmordattentäter mit menschlichem Antlitz in viele Kinos. Findet der Film dort nicht sein Publikum, wird er es in den Schulen finden. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat bereits ein Unterrichtsheft zum Film herausgegeben. Lernziele: Hineinversetzen und Einfühlen. Die Verwendung seines Films im Unterricht kann man Abu-Assad nicht vorwerfen. Aber eine »Friedenserziehung«, die Frieden mit Selbstmordattentätern macht, dürfte ganz in seinem Sinn sein.