Beichte eines Toren

Noch ein Kritiker der Jelinek will sich öffentlich entkleiden.

Ein schwedischer Zausel nimmt eine Frau in den Schwitzkasten, und die deutschen Zausel, die sich so etwas eher selten trauen, schauen begeistert zu. Das ist seit August Strindberg nicht mehr neu. Auch nicht neu ist, was für ein Ton dabei angeschlagen wird. Über Elfriede Jelineks Literatur urteilt Knut Ahnlund, emeritierter Professor für Nordische Sprachen, in der kongenialen Übersetzung von Dr. Thomas Steinfeld: »Der parasitäre Charakter dieses Werks ist offenbar.« Fascists of all countries unite!

Der geistige Gehalt des Pamphlets, mit dem Ahnlund, Mitglied des Nobelpreis-Komitees, sich aus diesem zurückzieht, ist dementsprechend dürftig. Der Nobelpreis für Jelinek habe »den Wert dieser Auszeichnung auf absehbare Zeit zerstört«. Doch dieser Wert, sollte der Preis ihn je besessen haben, war zerstört, als Heinrich Böll Preisträger wurde, und unrettbar verloren, als auch noch Günter Grass ihm folgte. Ich frage mich, die Liste der Geehrten überfliegend, wie es möglich war, dass Dichter wie T.S. Eliot oder Octavio Paz, Prosaisten wie Ivo Andric oder William Faulkner und sogar Albert Camus ihn annehmen konnten, nachdem Thomas Mann bereits 1929 in die Hall of Fame eingezogen war, ein Romancier, dessen einziges Geschick darin besteht, seine Sätze mit ironischem Sirup zu übergießen, sodass nicht mehr sofort auffällt, wie schlecht sie sind. Vermutlich haben sie ihn einfach nicht gelesen.

Auch Jelinek hat keine gute Figur abgegeben, als sie den Preis zwar annehmen, aber nicht persönlich abholen wollte, als sie ihn zwar schmeichelhaft, aber auch ziemlich übertrieben fand, und als sie in ihrer Unzufriedenheit schließlich auch noch die Zufriedenheit der Spießer beneidet hat. Bescheidenheit, die sich aufspielt, wirkt kokett.

Doch darum geht es Ahnlund nicht, sondern um das immergrüne Ressentiment, die Moderne sei Schund. Selten hat einer diesen Vorwurf schlechter vorgetragen, selten hat ihn einer deutlicher decouvriert. Einerseits sieht Ahnlund Jelinek im »Hauptstrom der Unterhaltung«, andererseits beklagt er, wie wenig unterhaltsam sie sei. Einerseits will er alles, was sie geschrieben hat, einer »avancierten Pornographie« zuschlagen, andererseits »fürchtet« er, »dass auch die Leser, die sich vom Versprechen der Pornographie zum Kauf dieses Buches (›Lust‹; S.R.) haben verleiten lassen, es enttäuscht beiseite gelegt haben«. Unterhaltung, Pornographie, Satire, er probiert alles aus, nichts passt. Nur auf die Idee, an seinen Kategorien könnte etwas nicht stimmen, kommt er nicht.

Selbstverständlich darf auch der beliebteste Einwand gegen die Moderne nicht fehlen, sie hätte Konventionen missachtet, »die längst zum Überschreiten freigegeben« seien. Aber sollen Konventionen nur deshalb geachtet werden, weil sie nicht mehr geschützt sind? Die Unkonventionalität gesteht Ahnlund Jelinek zu, um sie gleich darauf als besonders konventionell hinzustellen: »Als Kitsch hat diese Geschichte ungefähr denselben Wert wie die ›Klavierspielerin‹ von 1983.« Ist jene Geschichte nun kitschig und deshalb wertlos wie diese, oder besitzt sie als Kitsch einen besonderen Wert, der dem der »Klavierspielerin« gleichkommt? Für diesen Galimathias hat der Mann ein ganzes Jahr gebraucht.

Das Lob, Jelinek schreibe musikalisch, will er so entkräften: »(Tatsächlich) besteht diese ›Musik‹ aus dem ewigen Krieg aller Menschen gegen alle, insbesondere der Männer gegen alle, insbesondere der Männer gegen die Frauen, in welchem Sex und Gewalt als die wichtigsten Waffen fungieren.« Ebenso könnte er Beethovens dritte Symphonie herunterreißen, weil sie möglicherweise von Napoleons Kriegen handelt. Musik besteht aus Klängen, nicht aus Reflexen. Ahnlund bestreitet der Akademie »ästhetische Gründe« und Jelineks Werk »einen Ansatz zu künstlerischer Struktur«, weicht aber vor einer Betrachtung von Ästhetik und Struktur in eine der Themen aus, welche er für die der Autorin hält.

Es sei zwar »ehrenwert«, aber wenig »originell«, dass sie die »Zerstörung der Natur in ihrer Heimat« dargestellt habe. Hat sie das? Die Zerstörung der »Natur«? In ihrer »Heimat«? Sicher ist nur, dass Jelinek nicht in Natur und Heimat von Steinfeld und Ahnlund haust. Von den »Auswüchsen der Frauenbewegung« sprechen sie wie ein Mann in Ausdrücken, die allzu tief blicken lassen: »Jelinek huldigt dem Krieg der Geschlechter, mitsamt seinem Zug zur aggressiven Einfalt, der unter den schwächeren Seelen reiche Beute verspricht.« Das häusliche Unglück, das sich hinter dieser stotternden Strindbergiade auftut, kann ich mir ausmalen – ich will es nicht.

Nach den Ergüssen in Spiegel und Bild im letzten Jahr und nach Ahnlunds in diesem muss auch derjenige, der Jelineks Bücher nicht mag, zugeben, dass sie die Macht besitzen, in Ehren ergraute Juroren und saturierte Feuilletonisten zu unverlangten Bekenntnissen zu treiben. Nirgendwo entblößt sich die Schriftstellerin so wie ihre Kritiker. Das hat mit Literatur nichts zu tun, ist aber merkwürdig genug.