Subversive Sendungen

Wer gut und wer böse ist, erklärt in Belarus seit kurzem die Deutsche Welle. Das Radioprogramm ist Bestandteil deutscher Umgestaltungspläne für das Land. von jörg kronauer

Kaum geht es los, da regt sich schon Protest. Seit dem 3. Oktober strahlt die Deutsche Welle, der staatsfinanzierte deutsche Auslandsrundfunk, dreimal täglich eine eigens produzierte Radiosendung in Belarus aus. Ebenfalls seit dem 3. Oktober kritisiert die russische Regierung das Kurzwellenprogramm aus Bonn. Es soll »frei und unabhängig Informationen verbreiten«, verkündet Cornelia Rabitz von der Deutschen Welle. Es gehöre »zu den Mitteln aus dem Arsenal des Kalten Krieges«, kritisiert Sergej Jastrschembski, der EU-Berater des russischen Präsidenten.

Brisant ist der politische Kontext, in dem das umstrittene Rundfunkprogramm der Deutschen Welle steht. Seit Jahren schon währt der Streit zwischen Deutschland und anderen westlichen Staaten auf der einen und Russland sowie der belarussischen Regierung auf der anderen Seite. Es geht darum, welche ausländische Macht in Belarus das Sagen hat. Noch dominiert die östliche Großmacht, doch Deutschland will stärkeren Einfluss. »Im Europa des 21. Jahrhunderts«, sagt Rainer Lindner, der Belarus-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, ist es »nur schwer vorstellbar und auch erträglich, dass es ein Land gibt, das sich jeglichen Integrationsprozessen entzieht«.

Der Streit ist nicht neu, aber seit dem vergangenen Herbst beginnt er zu eskalieren. Zu der Zeit gab es in Belarus Parlamentswahlen, bei denen die am Westen orientierte Opposition wieder einmal gegen die prorussische Regierung verlor. Das war wegen der notorischen Schwäche der prowestlichen Kräfte nicht weiter verwunderlich, rief aber in Deutschland großen Unmut hervor. Wie immer, wenn es um Belarus geht, tat sich dabei Hans-Georg Wieck besonders hervor. Er hat eine erfolgreiche politische Karriere hinter sich. Er war nicht nur Botschafter Deutschlands in mehreren Staaten, er leitete von 1985 bis 1990 auch den Bundesnachrichtendienst.

Wieck hat Erfahrung mit Strategien, die den russischen Einfluss in Ländern zurückdrängen sollen, die einst zur Sowjetunion gehörten. Von 1993 bis 1995 war er als von der deutschen Regierung entsandter Berater des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse tätig. Es ging darum, die Eigenständigkeit des noch jungen Staates gegenüber Russland zu stärken. Als 1997 klar wurde, dass der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko einen offenen Konflikt mit den Hegemonialvorstellungen der EU und den USA riskierte, wurde Wieck nach Minsk geschickt. Dort fungierte er als Leiter einer Berater- und Beobachtergruppe der OSZE und bemühte sich redlich, die zerstrittenen prowestlichen Kräfte zu koordinieren. Nach Protesten der belarussischen Regierung musste er sein Mandat im Jahr 2001 schließlich aufgeben.

Er trat auch nach den Wahlen vom Oktober 2004 auf den Plan. Die gerade bestätigte belarussische Regierung müsse ausgetauscht werden, da waren sich die deutschen Außenpolitiker einig: Es gelte »bereits jetzt zu erörtern, wie die Transformation Belarus’ jenseits der autokratischen Herrschaft von Präsident Lukaschenko zu gestalten ist«, verkündete etwa das Münchner Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP). Wieck nahm sich der Sache an. Im Januar 2005 verfertigte er ein »Demokratie-Programm für Belarus«. Es enthielt, so schrieb er, »Maßnahmen (…), die jetzt zur Vorbereitung der belarussischen Zivilgesellschaft unternommen werden müssen, um zu gegebener Zeit in Belarus handlungsfähige alternative politische Strukturen zu haben«.

Punkt eins des Wieckschen »Demokratie-Programms« behandelte die Massenmedien. Radiostationen nahe der belarussischen Grenze müssten zu »landesweit ausstrahlenden freien Belarus-Auslandssendern« hochgerüstet werden, erklärte der ehemalige deutsche Geheimdienstchef. Damit könne man erreichen, was die desolate Opposition einfach nicht schaffte: »die politisch aktiven Kräfte des Landes in unmittelbaren Radiokontakt mit den Bürgern aus allen Schichten und Kreisen des Landes bringen«. Nach weiteren Vorschlägen zur unmittelbaren Organisationshilfe für das zerstrittene am Westen orientierte Spektrum resümierte Wieck sauber und ordentlich die Kosten eines Minsker Regierungssturzes für die europäischen Staatshaushalte: »Die Gesamtkosten der unter 1. bis 3. vorgeschlagenen Maßnahmen belaufen sich auf jährlich etwa 14,2 Millionen Euro.«

Ein Umsturz für schlappe 14 Millionen im Jahr – billiger, so darf man wohl sagen, geht es kaum. Die Subversionsplanungen wurden weitergeführt auf einer Belarus-Tagung, die die deutsche Bertelsmann-Stiftung in Kooperation mit dem litauischen Außenministerium am 1. und 2. Februar in Vilnius veranstaltete. Dort verabschiedete man einen Katalog von »Maßnahmen«, die »unmittelbaren und direkten Einfluss auf die kommenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2006« haben sollen. Unter den Vorschlägen findet sich das Wiecksche Umsturzprogramm wieder, erweitert um klare Kampfansagen. So fordert das Bertelsmann-Strategiepapier ganz offen ausländische »Unterstützung für politische Parteien und Bewegungen in Wahlkampagnen«.

Der Kreis, den die Bertelsmann-Stiftung in Vilnius versammelt hatte, konnte sich sehen lassen: Er setzte sich, wie die Organisation später berichtete, »nicht nur aus wichtigen Vertretern externer NGO und Außenministerien, sondern auch aus Mitgliedern der weißrussischen Opposition und der Zivilgesellschaft im Land zusammen«. Das gemeinsam verabschiedete Bertelsmann-Strategiepapier nahm sich auch der Finanzierungsfrage an. Ganz selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass die EU die deutschen Umsturzpläne bezahlen müsse. Da das für Belarus ohnehin eingeplanten Geld von der EU nur mit Zustimmung der dortigen Regierung vergeben werden darf, erwies sich ein Bruch mit dem Brüsseler Regelwerk als unumgänglich: Die EU müsse einen »flexiblen Finanzmechanismus« schaffen, heißt es in dem Bertelsmann-Papier.

Die deutsche Forderung hat sich in den EU-Gremien trotz einigen Widerstands schließlich durchgesetzt. Die Europäische Kommission teilte am 24. August schließlich mit, sie stelle für die »Unterstützung der Zivilgesellschaft in Belarus (…) zusätzliche Mittel in Höhe von insgesamt 8,7 Millionen Euro zur Verfügung«. 138 000 Euro gehen »an Deutsche Welle Radio für die Übertragung von Sendungen per Rundfunk und Internet nach Belarus«. Der Bonner Sender ist offenbar gut auf seinen Auftrag vorbereitet gewesen: Er nahm die Sendetätigkeit nicht wie von der EU-Kommission angekündigt am 1. November, sondern bereits am 3. Oktober auf.

Dennoch gibt es am Belarus-Programm der Deutschen Welle auch in Deutschland Kritik. Denn die Sendungen werden nicht im belarussischen Idiom, sondern auf Russisch ausgestrahlt, in der »alten Besatzersprache«, schimpfte die taz. Der aus Minsk stammende Belarus-Redakteur der Deutschen Welle ärgerte sich über die Kritik der deutschen Zeitung. Schließlich sprächen ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung im Alltag Russisch, und nur sieben Prozent nutzten die belarussische Sprache. »Genau diese Dominanz ist aber auch eins der erklärten Ziele der Politik Lukaschenkos«, belehrte ihn die taz. Um den russischen Einfluss in Belarus zurückzudrängen, braucht’s eben ein bisschen Umerziehung.