Wer kämpft, kann verlieren

Der Kampf gegen die Privatisierung der staatlichen französischen Fährgesellschaft SNCM löste in Marseille soziale Unruhen aus. Vorige Woche wurde der Streik der Beschäftigten beendet. von bernhard schmid, paris

Mit einer Niederlage nach 23 Streiktagen endete am Donnerstag voriger Woche der spektakuläre Arbeitskampf gegen die drohende Privatisierung der Schifffahrtsgesellschaft SNCM.

Am 19. September hatte die Regierung von Dominique de Villepin den Privatisierungsplan für die SNCM bekannt gegeben. Demnach sollte der französisch-amerikanische Investmentfonds Butler Capital Partners 100 Prozent der Anteile an der bislang staatlichen Gesellschaft übernehmen. Wie es der Zufall so will, ist der Inhaber des Investmentfonds, Walter Butler, ein alter Studienfreund von Premierminister de Villepin. Seine Gesellschaft, die mit nur 15 Angestellten ein Kapital von gut 500 Millionen Euro verwaltet, hat keinerlei Kompetenz im Transportsektor vorzuweisen. Es war daher klar, dass es der Investmentgesellschaft darum ging, die SNCM »auszuschlachten« und die Reste weiterzuverkaufen.

Nach der ersten Phase des Ausstands der Beschäftigten (Jungle World, 40/05) musste die Regierung jedoch ihr Vorhaben vorerst zurücknehmen. Zehn Tage später legte sie einen überarbeiteten Plan vor, der vorsieht, der Staat solle vorübergehend 25 Prozent der Gesellschaftsanteile behalten. Weitere fünf Prozent der Aktien – dies wurde im Laufe der Verhandlungen auf neun Prozent hochgesetzt – sollen als Streubesitz unter die Beschäftigten ausgegeben werden. Damit behalten der Staat und die Mitarbeiter – für eine befristete Dauer – eine Sperrminorität gegen eine eventuelle Zerschlagung der Schifffahrtsgesellschaft.

Zwei Drittel der Kapitalanteile sollen jedoch nach wie vor für ein Butterbrot an private Übernehmer gehen, für einen Kaufpreis von 35 Millionen Euro, während die SNCM mindestens 450 Millionen wert ist und die öffentliche Hand zugleich die Schulden der Transportgesellschaft vor dem Verkauf übernehmen wird. Neben Butler wird nun ein zweites Privatunternehmen Anteile der SNCM erwerben, die Firma Connex, ein Ableger des Véolia-Konzerns, früher unter dem Namen Vivendi bekannt.

In den vergangenen Jahren wurde Connex europaweit im Transportsektor tätig und kaufte beispielsweise zwei der insgesamt 23 privatisierten Eisenbahnnetze in Großbritannien auf, South Central und South East. Die Firma verwaltete den Bahnbetrieb jedoch derart miserabel, dass es zu täglichen Beschwerden von Beschäftigten und Passagieren kam und es selbst der neoliberalen britischen Regierung unter Tony Blair zu bunt wurde. Diese entzog im Jahr 2003 dem privaten Betreiber die Lizenz und übernahm die beiden Bahnnetze wieder selbst. In jüngster Zeit wurde Connex im privaten Gütertransport auf Schienen zwischen Deutschland und Frankreich tätig.

Den Ausschlag dafür, dass die Regierung sich mit ihrem Vorhaben letztlich durchsetzen konnte und die Streikenden nach ihrem spektakulären Kampf aufgeben mussten, gab die Drohung mit der Konkurseröffnung. Bis zum Ende der vergangenen Woche, so drohten Wirtschaftsminister Thierry Breton und der ihm unterstehende SNCM-Generaldirektor Bruno Vergobbi, werde das Konkursverfahren beim Handelsgericht von Marseille eingeleitet, falls der Streik nicht beendet werde. Dort waren bereits seit Tagen die Konkursverwalter ernannt worden. Eine Unterredung mit dem Vorsitzenden des Handelsgerichts Mitte voriger Woche überzeugte Vertreter der CGT und den Betriebsratssekretär davon, dass die Staatsmacht und die Justiz tatsächlich dazu entschlossen waren, die SNCM gegen die Wand zu fahren und die 2 400 Arbeitsplätze zu vernichten, falls der Regierungsplan nicht verwirklicht werde. Bei einer Urabstimmung am Donnerstag votierten 87 Prozent in diesem Sinne.

Die einzige Verpflichtung der Regierung besteht dem neuen Plan zufolge darin, »für vier bis fünf Jahre« ihre Minderheitsbeteiligung an der SNCM aufrechtzuerhalten. Ferner sichert sie zu, »Gespräche« mit den Reedereiverbänden über das neue französische Billigflaggenregister, RIF, anzustrengen.

Die Einrichtung des RIF wurde im Frühjahr vom französischen Parlament abgesegnet und bedeutet, dass Schifffahrtsunternehmer 75 Prozent ihrer Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern zu Löhnen und Arbeitsbedingungen ihrer Herkunftsländer beschäftigen können. Im April dieses Jahres hatten die Beschäftigten der SNCM bereits 17 Tage dagegen gestreikt. Die Regierung sagt nunmehr zu, in Diskussionen zu versuchen, dass diese Legalisierung von Billigarbeit nicht auf die SNCM angewendet wird. »Wenn aber allein die SNCM weiterhin Arbeitskräfte mit französischen Tarifverträgen beschäftigt und ihre Konkurrenten philippinische Seeleute zu Dumpinglöhnen einstellen können, hat die Gesellschaft keinerlei Überlebenschance«, fürchtet die Tageszeitung L’Humanité. Bereits heutzutage ist die SNCM unter anderem deshalb finanziell angeschlagen, weil ihr Hauptkonkurrent zwar im französisch-korsischen Bastia ansässig ist, aber Seeleute mit italienischen Arbeitsverträgen einstellen kann – zu Bruttolöhnen, die um 30 Prozent unter denen der SNCM liegen.

Der Kampf um die SNCM verursachte in Marseille soziale Unruhen. Die Beschäftigten im Freihafen und in den Erdölraffinieren legten aus Solidarität mit den Seeleuten die Arbeit nieder. Während der Ausstand im übrigen Hafen zu Ende ging, streikten im Laufe der vergangenen Woche die Arbeiter der Erdölfirmen noch weiter, nunmehr mit eigenen Forderungen. Bei den Marseiller Verkehrsbetrieben RTM streikten die abhängig Beschäftigten, die sich einem Solidaritätsstreik angeschlossen hatten, am Wochenende noch weiter. Sie forderten Lohnerhöhungen und den Stopp aller Privatisierungspläne für die Verkehrsbetriebe.

Die CGT hat sich nach dem Streik bei der SNCM sowie dem Erfolg der landesweiten Protestzüge vom 4. Oktober – eine Million Menschen war auf der Straße –, als wichtigste Gewerkschaft erwiesen. Dieses Profil benötigt ihre derzeitige Führung auch dringend, denn sie sieht auf dem nächsten Kongress der CGT einer schwierigen Wiederwahl entgegen. Vor allem benötigt sie ein starkes Symbol. Deshalb wird erwartet, dass es in allernächster Zeit zu einem heftigen Konflikt um die Börseneinführung des Energieversorgungsunternehmens EDF kommen wird. Diese zu verhindern, ist derzeit eine Hauptforderung der CGT. Nach Informationen von Le Monde hatte CGT-Generalsekretär Bernard Thibault sogar versucht, ein Tauschgeschäft mit der Regierung einzufädeln: die Hinnahme der Privatisierung der SNCM gegen eine Verhinderung der Börseneinführung des Stromversorgers, die von seiner Gewerkschaft als wichtiger Erfolg dargestellt werden könnte.

Diese Vereinbarung scheiterte aber daran, dass der weit radikalere Bezirksverband der CGT in Marseille dabei nicht mitspielte. Nachdem nun deren Niederlage besiegelt ist, verkündete Premierminister de Villepin am Freitag bereits, der Börsengang von EDF solle jetzt »so schnell wie möglich« erfolgen.