Schnorrer brauchen Hiebe
Arm sein rockt ganz und gar nicht – und was daran sexy sein soll, finanziell so derartig in den Miesen zu stecken, dass eine Entscheidung für einen schicken Winterpullover gleichzeitig ein mindestens einwöchiges Ausgehverbot mit verschärftem Konsum von Billignahrungsmitteln bedeutet, ist völlig unklar. Trotzdem gehört das Kokettieren mit persönlichem Geldmangel neben dem Antiamerikanismus zum Ekelhaftesten, was es an linken Verhaltensweisen so gibt.
Denn es ist ein ganz bestimmter Typ, der mit Vorliebe über desolate Finanzen jammert: Zuhause ist er in einer geräumigen 90-Quadratmeter-Wohnung in Berlin-Mitte, deren Miete von den Eltern, einem Münchener Zahnärzteehepaar, bezahlt wird. Und wo sie schon einmal dabei sind, überweisen sie dem Sohn oder der Tochter – Neigungslinke mit einem verklärten Verhältnis zur Armut kommen in beiden Geschlechtsformen vor – auch gleich noch genügend Geld, damit ein gewisser Lebenskomfort des Kindes auf jeden Fall gesichert ist.
So weit könnte auch alles durchaus in Ordnung sein, zumal die Pleitevortäuscher eine gewisse Tendenz entwickeln, Sozialkontakte vorrangig zu den Söhnen und Töchtern anderer Zahnarztehepaare zu knüpfen. Das Problem liegt jedoch darin, dass sie dies nicht ausschließlich tun. Mit ihrem hippen Schnorrertum gehen sie auch denjenigen auf die Nerven, für die das Wort Pleite eben nicht bedeutet, wegen der Anschaffung diverser teurer technischer Spielzeuge ausnahmsweise mal nicht in den Skiurlaub fahren zu können, sondern schlichtweg für eine allumfassende Existenzbedrohung steht.
Das ist etwas, was sich die Bettler ohne Not anscheinend nicht vorstellen können, denn sie schaffen es ohne weiteres, zu Besuch zu kommen, den Kühlschrank völlig leerzuessen, sich ebenso selbstverständlich wie gründlich an den Alkoholvorräten zu bedienen und nebenher noch ein ganzes Päckchen Zigaretten aufzurauchen, mit der Bemerkung: »Ich kauf’ mir nie Kippen, denn das lohnt sich nicht, erstens rauch’ ich ja so wenig, und zweitens bekommt man ja dauernd welche angeboten.«
Selbstverständlich tun sie all das, ohne auch nur anstandshalber anzubieten, sich an den Kosten für Essen, Trinken und Qualmen zu beteiligen. Würde man sie darum bitten, reagierten sie sowieso mit absolutem Unverständnis, denn einerseits können sie sich nicht vorstellen, dass jemand nicht über solvente und überweisungsfreudige Eltern verfügen könnte, und andererseits finden sie, dass Schnorren doch so unglaublich viel Spaß mache, lerne man doch in Kneipen und auf Parties coole Leute kennen, und die Frage nach einer Zigarette sei oft der Anfang für großartige Gespräche.
Und schließlich das widerlichste Argument, das die Neigungsschnorrer anführen: Ihrer Meinung nach ist jeder, der nicht versucht, auf Kosten anderer zu leben, von einer geradezu blödsinnigen Lebensunfähigkeit ergriffen und demnach selber schuld, wenn er mit seinem Budget nicht klarkommt.
Überhaupt gibt es offenbar so etwas wie ein Menschenrecht darauf, Getränke ausgegeben zu bekommen und Zigaretten zu schnorren und all die ganzen anderen kostenlosen Dinge zu tun. Wer das nicht glaubt, sollte beim Kneipenbummel stets ein volles Kippenpäckchen demonstrativ neben sich auf dem Tisch liegen haben und die bereits von einer gewissen Sicherheit in erfolgreicher Schnorrerei zeugende Frage nach einer Zigarette kühl und bestimmt beantworten: »Nein, geh weg!« Die sich daraus entwickelnden Gespräche klingen dann nämlich so: »Nun sei mal nicht so arrogant, eine wirst du doch entbehren können. Was soll das? Blöde unsolidarische Kuh!«
Sie machen aber Spaß, denn so ein zutiefst beleidigter Mensch redet, wenn man ihn nur lässt, eine Menge Unsinn daher und kann so für mindestens eine Viertelstunde für eine hervorragende Unterhaltung sorgen. Und wenn die ganzen anderen Insassen der Kneipe gut zusammenarbeiten, dann kann man es durchaus schaffen, einem renitenten Schnorrer den ganzen Abend zu versauen. Es gibt schlimmeren Zeitvertreib.