Kein Frühling in Sicht

Auch wenn Syrien den internationalen Forderungen nachgibt, sind demokratische Reformen kaum zu erwarten. von siamend hajo und eva savelsberg

Suriya lem trkah!« – »Syrien wird niemals in die Knie gehen!« – skandierten regimetreue Demonstranten aus Anlass des al-Quds-Tags in Damaskus. Diese und ähnliche Durchhalteparolen dürften sich in diesem Jahr nicht allein auf die Haltung Syriens gegenüber Israel bezogen haben, das Regime hat andere Probleme: Nach der Veröffentlichung des Mehlis-Berichts, der von der Beteiligung des syrischen und libanesischen Geheimdienstes sowie enger Vertrauter Baschar al-Assads an der Ermordung des früheren libanesischen Regierungschefs Rafik Hariri ausgeht, ist der internationale Druck auf Syrien gewachsen. Die USA fordern, dass die syrische Regierung die am Mord Beteiligten zur Verantwortung zieht und seine Unterstützung der Hizbollah ebenso einstellt wie die terroristischer Gruppen im Irak. Offiziell bezeichnet die Regierung in Damaskus den Bericht des UN-Sonderbeauftragten als politisch motiviert und weist sämtliche Vorwürfe zurück; tatsächlich können kaum Zweifel bestehen, dass Syrien am Ende den meisten Forderungen nachgeben wird, um eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden – so wie bereits im Fall des Abzugs syrischer Truppen aus dem Libanon.

Genau das aber fürchten viele Oppositionelle. Wenn Syrien nachgibt, werden die USA ebenso wie die Uno und die EU stillschweigend hinnehmen, dass es in Syrien weder politische Freiheiten noch grundlegende Menschenrechte gibt – so eine verbreitete Befürchtung in kurdischen Städten wie Qamischli oder Amuda. Die kurdische Opposition weiß wohl, dass sie selbst zu schwach ist, um das Regime zu Reformen zu zwingen. Zwar haben die Kurden seit 2004 mehrfach bewiesen, dass sie als einzige Demonstrationen mit mehreren 10 000 Teilnehmern organisieren können – zuletzt nach der Ermordung des kurdischen Scheichs Khesnawi, vermutlich auch er ein Opfer des syrischen Geheimdienstes. Dennoch ist ihr Einfluss auf ein kleines Gebiet im abgelegenen Nordosten begrenzt, Kontakte zur sehr schwachen arabischen Opposition bestehen kaum.

Als Baschar al-Assad vor gut fünf Jahren seinem Vater als Präsident Syriens folgte, hinterließ dieser ihm ein ebenso autoritäres wie repressives System mit erheblichem Führerkult. Hafiz al-Assad, der Syrien seit 1970 regierte, hatte die Ba’ath-Partei entmachtet. Er war nicht allein Kopf der Exekutive, sondern zugleich Oberbefehlshaber der Armee und Generalsekretär der Ba’ath-Partei. Er ernannte Vizepräsidenten, Premierminister und Kabinett ebenso wie Richter, Geheimdienst- und Polizeichefs. Schlüsselpositionen in Militär und Geheimdienst hatte eine kleine, überwiegend alawitische Machtelite inne, die ihren Einfluss verwandtschaftlicher Nähe und unbedingter Loyalität gegenüber dem Präsidenten verdankte. Gleichzeitig überließ Assad Angehörigen der sunnitischen Mehrheit Führungspositionen in Staat und Regierung, um diese in seinen Machtapparat einzubinden. Einem omnipräsenten Geheimdienst mit durch die Notstandsgesetzgebung abgesicherten, weitreichenden Befugnissen stand mit der Ba’ath-Partei eine ebenso omnipräsente Partei gegenüber, die qua Gesetz über die Mehrheit im Parlament verfügte. Soziale Kräfte wusste Assad durch die Schaffung ba’athistischer Massenorganisationen wie Gewerkschaften und berufsständischen Interessenvertretungen zu neutralisieren, die zugleich Instrumente persönlicher Bereicherung und sozialer Kontrolle wurden.

Von entscheidender Bedeutung war zudem die Einbindung weiterer gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere der urbanen sunnitischen Wirtschaftselite, durch die Gewährung ökonomischer Vergünstigungen. Unter Hafiz al-Assad kam es zu einer – wenn auch sehr begrenzten – ökonomischen Öffnung, es entwickelte sich ein weit verzweigtes, staatlich-privates Netz von Patronage- und Klientelbeziehungen, in dem die Korruption gedieh und von dem nicht zuletzt die Präsidentenfamilie und ihre Günstlinge profitierten. Gleichzeitig schreckte das Regime gegenüber Oppositionellen auch vor dem Einsatz brutaler Gewalt nicht zurück – sei es durch den Einsatz des Militärs, sei es durch systematische Folter an Gefangenen.

Die quasi-dynastische Machtübernahme durch Baschar al-Assad im Jahr 2000 wurde von seinem Vater sorgfältig vorbereitet. Zentrale Führungsfiguren seines Machtapparats wurden auf Loyalität gegenüber dem Nachfolger eingeschworen, der nicht nur, sozusagen qua Geburt, für Kontinuität stand, sondern als junger, in London ausgebildeter Technokrat auch die Hoffnung auf Veränderung nährte – und das nicht allein im westlichen Ausland. Der »Damaszener Frühling« währte jedoch nur kurz, er wurde abgelöst durch die Verfolgung all derjenigen, die Reformen öffentlich diskutieren wollten.

Auch der Ba’ath-Parteitag im Juni hat keine nennenswerten Veränderungen auf den Weg gebracht. So wurde etwa das Notstandsrecht nicht abgeschafft, es wurde lediglich beschlossen, es zukünftig nur noch anzuwenden gegen »Verbrechen, die die Staatssicherheit bedrohen«. Da dieser Vorwurf gegen so gut wie alle Oppositionellen erhoben wird, sind in der Praxis kaum Erleichterungen zu erwarten. Selbst die wirtschaftlichen Reformen, die Baschar al-Assad bei Amtsantritt angegündigt hatte, kommen nur langsam voran – vor allem, weil eine echte Reform des öffentlichen Sektors existierende Netzwerke und bestehende Machtverhältnisse gefährden würde. Einige Beobachter gehen sogar davon aus, dass sich die mafiösen Strukturen unter Baschar noch verfestigt haben. Bis zu 85 Prozent aller Einnahmen aus dem Ölgeschäft sollen in die Kassen des Präsidenten und seiner Entourage fließen – während die Bevölkerung unter hoher Arbeitslosigkeit leidet und nicht wenige am Rande des Existenzminimums leben. Auf diese Weise beteiligt sich das Regime an der Schaffung eines Problems, dessen Lösung zu sein es gerade im Westen gerne vorgibt: der Stärkung des Islam und islamistischer Positionen als scheinbar einziger politischer Alternative.

Die weitgehende Beibehaltung des Status quo kann nicht damit erklärt werden, dass ein junger, unerfahrener Präsident sich gegen die »alte Garde« seines Vaters nicht hat durchsetzen können. Entscheidend für den Stillstand dürfte vielmehr sein, dass Assad sehr wohl bewusst ist, dass seine eigene politische Zukunft unlösbar an das übernommene Herrschaftssystem und dessen interne Machtstrukturen gebunden ist. Dies hätte im Übrigen auch für jeden anderen Präsidenten aus den Reihen der Ba’ath-Partei gegolten. Insofern sind erhebliche Zweifel angebracht, ob eine »Erneuerung von innen« in Syrien realistisch ist.

Siamend Hajo und Eva Savelsberg sind Mitarbeiter des Europäischen Zentrums für kurdische Studien in Berlin.