Showdown der zwei Evitas

Der Stellvertreterinnenkrieg bei den argentinischen Peronisten ist entschieden: Cristina Fernández de Kirchner, die Gattin des amtierenden Präsidenten, hat den Sitz im Senat der Provinz Buenos Aires gewonnen. von jessica zeller, buenos aires

Es war ihr Wahlsieg. Cristina Fernández de Kirchner, Präsidentengattin und Anwältin, hat es geschafft: Über 46 Prozent der Stimmen und mehr als 25 Prozentpunkte Abstand zur Zweitplatzierten machten ihr Vorhaben perfekt, die bevölkerungsstarke Provinz Buenos Aires zu erobern und in den argentinischen Senat einzuziehen. An zweiter Stelle lag Hilda »Chiche« Duhalde, die mit einem ehemaligen Präsidenten verheiratet und ansonsten Hausfrau ist. Am 23. Oktober standen 24 der 72 Senatorensitze sowie die Hälfte der Abgeordnetenmandate im argentinischen Kongress zur Wahl.

Obwohl bereits im Vorhinein fest stand, dass sowohl Duhalde als auch Kirchner einen Sitz erringen würden – nach argentinischem Wahlrecht zieht in den Senat auch der Zweitplatzierte ein –, war es der Kampf der »zwei Evitas«, der der Wahl die Bedeutung eines Stellvertreterinnenkrieges gab. Denn die beiden Ehemänner – Nestór Kirchner und Eduardo Duhalde – sind zwar beide Peronisten, jedoch vor allem politische Konkurrenten. Bei der Wahl gab es zwei getrennte Listen: auf der einen Seite die der Peronistischen Partei (PJ), die von Duhalde-Anhängern unterstützt wurde, auf der anderen Seite die der »Frente para la Victoria« (Bündnis für den Sieg) von Kirchner und Konsorten.

Zwar verdankte Kirchner es einst Duhalde, überhaupt als Präsidentschaftskandidat aufgestellt zu werden, doch schon kurz nach seinem Amtsantritt im April 2002 wandte sich der Günstling ab, um seine eigene Machtbasis zu gestalten. Seitdem steht Duhalde für Klientelpolitik, Korruption, die Macht der Kirche und die politische Klasse der neunziger Jahre. Kirchner hingegen symbolisiert Menschenrechte, Mittelschicht und – so werden sowohl Regierung als auch argentinische Medien nicht müde zu verkünden – den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes.

Für die argentinische Soziologin Maristella Svampa steht fest: »Kirchner hat in politischer Hinsicht viele Neuerungen gebracht und ist deshalb nicht einfach eine Fortsetzung früherer peronistischer Regierungen. Er hat den Obersten Gerichtshof erneuert, er positionierte sich in anderer Form gegenüber den wirtschaftlich Mächtigen. Das muss man schon anerkennen.« Sie fügt jedoch im Gespräch hinzu: »Aber wenn das einmal gesagt ist, muss man auch von den weit gehenden Kontinuitäten sprechen. Die haben nicht nur mit Kirchners politischem Führungsstil zu tun, der absolut auf seine Person ausgerichtet ist. Hinzu kommt, dass sich die Regierung Kirchner nicht aus neuen Politikern zusammensetzt. Es sind die alten Politiker und die alten politischen Praktiken, mit denen sie sich an der Macht halten, also vor allem Klientelpolitik und Vetternwirtschaft.«

Ist Kirchners »gerechtes Argentinien« alter Wein in neuen Schläuchen? Vieles spricht dafür, nicht nur die Aufstellung der eigenen Ehefrau als Kandidatin. »Das Problem besteht darin, dass Kirchner in den vergangenen zwei Jahren kein fortschrittliches, parteienübergreifendes, politisches Projekt mit ausreichender Wählerschaft formen konnte, wie er es zunächst vorhatte. Ich denke, das liegt vor allem am politischen Wandel innerhalb der Mittelschichten«, meint der Gründer des Archivs der argentinischen Linken, »CeDInCI«, Horacio Tarcus. In der Tat, wenn man das politische Panorama aus den Jahren 2001 und 2002 bedenkt, scheint die Rekonstruktion, die das politische System innerhalb weniger Jahre durchlief, geradezu beeindruckend.

Vor knapp vier Jahren demonstrierten und diskutierten die organisierten Arbeitslosen, die piqueteros, und die Mittelschicht, deren Konten per Regierungsdekret eingefroren worden waren, gemeinsam und solidarisch. »Alle sollen verschwinden!« hieß damals die Parole im Hinblick auf Politiker. Das repräsentative System war in einer tiefen Krise, die Bevölkerung fand sich in Nachbarschaftsversammlungen wieder.

Heute ist das längst Vergangenheit. Die piqueteros werden von vielen inzwischen als diejenigen wahrgenommen, die dem braven Bürgern ohne Grund die Straße versperren und ihn nicht arbeiten lassen, obwohl weiterhin 40 Prozent der Argentinier unterhalb der Armutsgrenze leben. Liegt es an der politischen Kultur des Landes, dass die Bevölkerung die politischen Hoffnungen und Entscheidungen bald schon wieder an einen einzelnen Mann delegierte, damit er die Geschicke des Landes in seine Hände nehme? Das ist zumindest eine Aufgabe, die nicht nur Kirchner gerne wahrnimmt. »Unsere Türen können offen bleiben, weil die Gefängnisse fest verschlossen sind.« Derart markige Sprüche von Vertretern der »Propuesta Republicana« (Pro), einer rechtsliberalen Partei, die erst kurz vor der Wahl gegründet wurde, sprachen offensichtlich ein Drittel der Wähler in der Hauptstadt an, obwohl die Bevölkerung dort eigentlich als fortschrittlich gilt.

Der Gründer der Partei, Mauricio Macri, hauptberuflich Chef des legendären Fußballclubs Boca Juniors und Sohn eines der argentinischen Industriellen, die sowohl in Zeiten der Militärdiktatur als auch im Neoliberalismus der neunziger Jahre reicher und reicher wurden, verkündete bereits am Montag nach der Wahl, dass der Pro auch bei den Präsidentschaftswahlen in 2007 antreten werde. »Kandidat wird dann derjenige sein, der am besten dafür geeignet ist, Argentinien voran zu bringen.« Zusammenarbeit sei auch mit den Peronisten denkbar, die nicht für Kirchner seien.

»Die Rechte ist eben mal wieder schneller einig als die Linke. Partído Obrero, Movimiento Socialista de los Trabajadores oder Partído Comunista, alle wollen das gleiche, aber jeder für sich allein«, meint Rubén Saboulard von der Asamblea, der Nachbarschaftsversammlung, des Stadtbezirks San Telmo. Auch die Asambleas haben sich zu einer Partei zusammengeschlossen, es entstand ein Bündnis von mehr als 30 Organisationen, Gruppen, Kooperativen und besetzten Fabriken.

Doch die Entscheidung, zur Wahl anzutreten, sei eher als Signal gemeint, erläutert Saboulard: »Zum einen wollten wir auf allen Gebieten gegen die Regierung Kirchner antreten, die unserer Meinung nach nichts verändert hat. Zum anderen haben die linken Parteien unsere Angebote zur Zusammenarbeit strikt abgelehnt.« Verloren haben sie schließlich alle. Die Asambleas erhielten nur etwas mehr als 3 000 Stimmen, auch die anderen linken Parteien konnten ihre wenigen Mandate nicht verteidigen. Lediglich die Mitte-Links-Partei ARI, unter ihrer Vorsitzenden Elisa Carrió, zieht mit 13 Abgeordneten ins Parlament ein.

Bereits im Vorfeld der Wahl wurde in der Lateinamerika-Ausgabe von Le Monde diplomatique daran erinnert, dass die zerstrittenen Peronisten im Zweifel stets gemeinsam abstimmten und der Präsident ohnehin immer die Möglichkeit habe, den Kongress überhaupt nicht zum Zug kommen zu lassen und per Dekret zu entscheiden. Kirchner hat das in den letzten zweieinhalb Jahren bereits in 140 Fällen getan und hält damit den Rekord gegenüber jedem seiner Vorgänger.