Alle sind verdächtig

Brandenburgs Staatsanwälte ermitteln gegen die linke Szene in Frankfurt an der Oder. Ein Spitzel soll Antifas denunziert haben. von martin kröger

Die Rote Hilfe aus Frankfurt an der Oder erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden. »Hier geht es wohl darum, die Betroffenen einzuschüchtern und aufgrund der inzwischen entstandenen Anwaltskosten finanziell zu ruinieren.« Sie vermutet, dass die Antifas der Stadt mundtot gemacht werden sollen.

In der vorigen Woche wurde bekannt, dass gegen Personen aus dem linksalternativen Milieu in Frankfurt an der Oder ein Verfahren nach Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches eingeleitet werden könnte. Den Hintergrund bilden mehrere Sachbeschädigungen, die von der Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamts (LKA) Brandenburg untersucht werden. So wurde in der Nacht vom 5. auf den 6. September 2004 der Wahlkampfbus des brandenburgischen Wirtschaftsministers Ulrich Junghanns (CDU) angezündet. Dabei handele es sich »um eine politisch motivierte Straftat«, weswegen der Fall der Staatsanwaltschaft übertragen worden sei, erläutert Toralf Reinhard, der Sprecher des LKA Brandenburg.

Die Strafverfolgungsbehörde sieht offenbar einen Zusammenhang mit anderen Delikten. Im Jahr zuvor wurden bei der örtlichen Ausländerbehörde die Scheiben eingeschlagen und in einer Marineausstellung, die im Rathaus von Frankfurt an der Oder gezeigt wurde, Fäkalien ausgekippt. Auch die Scheiben der Geschäftsstelle der CDU und eines Supermarkts wurden eingeworfen.

Die jeweiligen Ermittlungsverfahren wurden mittlerweile zusammengefasst. Die Strafverfolger vermuten offenbar, dass die Täter einer Gruppe aus dem antifaschistischen Spektrum von Frankfurt an der Oder angehören. Beweise für diese schwer wiegenden Anschuldigungen können sie jedoch nicht vorweisen. Dabei habe das LKA Brandenburg keine Mühen und Kosten gescheut, willkürlich und unter Rückriff auf verschiedene Ermittlungsmethoden gegen Personen aus dem linken Spektrum oder solche, die vom LKA dazugezählt werden, vorzugehen, moniert die Ortsgruppe der Rote Hilfe. »Die Betroffenen sind immer die gleichen. Was diese Personen verdächtig macht, bleibt bis heute ein Geheimnis der Ermittlungsbehörden«, kritisierte die linke Hilfsorganisation in einer Erklärung zu den seit eineinhalb Jahren laufenden Verfahren.

Zudem habe sich gezeigt, dass ein Großteil der Vorwürfe haltlos sei. Eine ganze Reihe von Verfahren musste wegen der fragwürdigen Methoden während des Sommers eingestellt werden. Und zwar deshalb, weil die Ermittlungsmaßnahmen selbst von den zuständigen Landes- und Amtsgerichten für rechtswidrig erklärt wurden. Neben erkennungsdienstlichen Maßnahmen und DNA-Entnahmen wurden auch Hausdurchsuchungen vorgenommen. Und dies, obwohl »Vergleichsspuren nicht vorhanden waren«, betont die Rote Hilfe. Man habe offenbar gehofft, auf Zufallsfunde zu stoßen.

Zu den Ermittlungsmethoden in Frankfurt an der Oder zählte auch, etliche Personen zu Zeugenvernehmungen vorzuladen, ohne dass ersichtlich geworden wäre, was in den Gesprächen überhaupt bezeugt werden sollte. Die Behörden seien offenbar aufgrund von bloßen Spekulationen und Verdächtigungen vorgegangen, meint die Rote Hilfe. Bis heute seien die betroffenen Personen nicht offiziell über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen informiert worden.

Die Erkenntnisse der Ermittler beruhten vielmehr auf den Aussagen eines Informanten oder einer Informantin, die Zugang zur linken Szene habe, glaubt die Anwältin eines der beschuldigten Antifas. Dies habe sich aus der Akteneinsicht ergeben. Eine Aussage des Spitzels habe für die strafrechtlichen Verfolgungen gegen ihren Mandanten ausgereicht und sei Grund für das Vorgehen gegen drei weitere Beschuldigte gewesen, sagte die Anwältin der Jungle World. Der Spitzel habe über ihren Mandanten gesagt: »Ich vermute, er könnte es gewesen sein.«

Die tatsächlichen Beweggründe für das Vorgehen der Behörden liegen nach Ansicht der Soligruppe Frankfurt, die sich als Reaktion auf die laufenden Verfahren gegründet hat, sowieso ganz woanders. »Offenbar geht es den Behörden um eine akribische Durchleuchtung und Diffamierung der linken Szene Frankfurts«, meint Sebastian Fechtner, ein Sprecher der Gruppe.

Die Bundesstaatsanwaltschaft, die für ein Verfahren nach dem Paragrafen 129 a zuständig wäre, äußert sich indes sehr zurückhaltend über die Ermittlungen. »Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine Übernahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt erforderlich machen«, sagte die Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof, Frauke-Katrin Scheuten, der Jungle World. Zudem sei zu keinem Zeitpunkt ein Verfahren eingeleitet worden.

Das sieht man beim Landeskriminalamt Brandenburg anders. Die Akten stünden der Bundesanwaltschaft noch immer zur Verfügung, bestätigt der Sprecher des LKA, Toralf Reinhard. Es werde weiter geprüft, ob ein »die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts tangierender Vorfall« vorliege.

Insbesondere im Osten der Bundesrepublik wird derzeit eifrig gegen Antifas und Linke ermittelt. In Potsdam sitzt zurzeit eine Antifa im Gefängnis, der vorgeworfen wird, Neonazis verletzt zu haben. Gegen andere Antifas aus der brandenburgischen Landeshauptstadt und aus Berlin laufen ebenfalls strafrechtliche Untersuchungen. In Sachsen-Anhalt ermittelte die Bundesanwaltschaft gegen drei Antifas eines vermeintlichen »Autonomen Zusammenschlusses Magdeburg«, denen mehrere Brandstiftungen angelastet werden. Zwischenzeitlich wurde den drei Beschuldigten sogar vorgeworfen, eine Vereinigung nach Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches gebildet zu haben.

Dieser Paragraf ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden, gegen Personen zu ermitteln, denen unterstellt wird, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben. Vor allem aber handelt es sich dabei um einen »Ermittlungsparagrafen«, der den Ermittlern weitreichende Befugnisse einräumt: von Telefonüberwachungen, Rasterfahndung, Observationen über Lauschangriffe und Durchsuchungen bis zum Einsatz verdeckter Ermittler.

DNA-Untersuchungen werden im übrigen nicht nur von den Strafverfolgungsbehörden in Frankfurt an der Oder in immer größerem Maße eingesetzt. Kürzlich wurde etwa bekannt, dass im niedersächsischen Wendland im Anschluss an eine Demonstration sämtliche von den Teilnehmern gerauchten Zigaretten von Polizisten eingesammelt wurden.