Der Nächste, bitte!

Politiker auf der Flucht, Parteien bei der Selbstdemontage. Eine Fahrt im Personalkarussell der Großen Koalition. von markus ströhlein

Ich bin so glücklich mit Matthias!« Es war nicht etwa ein Duzfreund aus den Reihen der SPD, der mit diesen Worten seiner Freude darüber Ausdruck verlieh, dass Matthias Platzeck den Vorsitz der Partei übernimmt. Vielmehr durfte Platzecks Lebensgefährtin vergangene Woche in der Bild-Zeitung über ihr privates Glück mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten plaudern. Das größte deutsche Boulevardblatt, normalerweise nicht unbedingt die Hauspostille der Sozialdemokraten, versuchte, irgendetwas Positives über die Partei zu melden, musste aber auf Beziehungskitsch zurückgreifen.

Denn in der SPD herrschten »Chaostage«, wie der noch amtierende Wirtschaftsminister Wolfgang Clement am Ende der Woche feststellte. Zeitweise war es in der vergangenen Woche schwer, den Überblick darüber zu behalten, wer welchen Posten in der Partei innehat, so schnell folgte ein Rücktritt dem anderen, so schnell folgte der Widerruf der Übernahme eines Parteiamts der Zusage.

Ursprünglich wollte Parteichef Franz Müntefering nur seinen Kandidaten Kajo Wasserhövel vom Parteivorstand zum neuen Generalsekretär krönen lassen. Leider hatte er vergessen, dass die SPD nicht autokratisch regiert wird, obwohl es unter der Ägide Schröder/Müntefering durchaus von Zeit zu Zeit den Anschein hatte. Der Parteivorstand ließ Wasserhövel durchfallen und nominierte stattdessen in einer Kampfabstimmung Andrea Nahles. Müntefering beschloss daraufhin, auf dem Parteitag Mitte November nicht mehr für das Amt des Parteivorsitzenden zu kandidieren. Und so stand die SPD mitten in den Koalitionsverhandlungen ohne Chef dar. Mit Matthias Platzeck kürte das Parteipräsidium innerhalb von nur 30 Stunden einen Nachfolger.

Das Aufatmen, das ranghohe SPD-Mitglieder der Presse zufolge verspürten, war aber doch eher ein gehetztes Röcheln. Denn obwohl in den Pressestellen das Mantra der Integrationsfähigkeit Platzecks heruntergebetet wurde, wollte es nicht ruhiger werden in der Partei.

Andrea Nahles wurde mit Vorwürfen bombardiert, mit ihrer Kampfkandidatur für das Amt der Generalsekretärin eine Führungskrise provoziert zu haben. Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD, Johannes Kahrs, bezeichnete Nahles als »Königsmörderin« und versuchte vergeblich, welthistorisches Pathos in das Schmierentheater zu bringen. Nahles zeigte sich von den Anfeindungen jedenfalls eingeschüchtert. Die »Parteilinke«, die wohl deshalb so genannt wird, weil sie ihre Stimmkärtchen für den Kosovo-Krieg und Hartz IV mit der linken Hand hochgehalten hat (Jungle World, 23/00), verzichtete auf das Amt der Generalsekretärin. Der Demut nicht genug, schlug sie auch Platzecks Angebot aus, stellvertretende Parteichefin zu werden, und gibt seither die reumütige Büßerin.

Generalsekretär soll auf Vorschlag Platzecks der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Hubertus Heil werden. Er ist Mitbegründer des »Netzwerks« in der SPD, eines Zusammenschlusses jüngerer Bundestagsfunktionäre, die eigenen Aussagen zufolge versuchen, »jenseits ideologischer Auseinandersetzungen eine pragmatische Politik« zu betreiben. Was unter einem solchen pragmatischen Politiker zu verstehen ist, drückte Gunter Weißgerber vom Seeheimer Kreis so aus: Heil sei ein »grundsatzloser Ehrgeizling« und seine Nominierung »ein schwerer Schlag« für die Partei.

Es brodelt also weiterhin in der SPD. Franz Müntefering will nunmehr auf dem Parteitag darüber abstimmen lassen, ob er als Vizekanzler und Arbeits- und Sozialminister in die Regierung eintreten soll. Damit will er seine Legitimation untermauern und könnte bei einem allzu positiven Ausgang als »Nebenvorsitzender« Platzeck in die Amtsgeschäfte reinreden. Sein Einfluss in der Partei ist nach wie vor groß, wie auch beim niedersächsischen Landesparteitag am vergangenen Wochenende beobachtet werden konnte. Man solle seinen Abgang nicht so dramatisieren, erklärte er jovial: »Ich werde ja nicht weg sein.« Die Massen waren begeistert, aber zumindest Andrea Nahles und Sigmar Gabriel könnten das auch als Drohung verstehen.

CDU und CSU können das Führungschaos in der SPD jedoch nicht dazu nutzen, ihre Position in den Koalitionsverhandlungen zu stärken. Als Müntefering das Zeug hingeschmissen hatte, war auch Edmund Stoiber nicht mehr nach dem Amt des Wirtschaftsministers zumute. Die Geschäftsbedingungen für eine große Koalition hätten sich mit dem Rücktritt Münteferings geändert, behauptete er. Zurück in den Schoß der bayerischen Mutterpartei zog es ihn, zurück auf den bequemen Sessel des bayerischen Ministerpräsidenten.

Um den Sitz stritten sich zu diesem Zeitpunkt aber schon der bayerische Innenminister Günther Beckstein und der Chef der bayerischen Staatskanzlei Erwin Huber. Die waren ebenso wenig erfreut über Stoibers Entscheidung wie der Großteil seiner Parteikollegen. Das unentschlossene Hin und Her zwischen Berlin und München ziemt sich für einen echten Bayern nicht. Stoibers Demontage ist dementsprechend zünftig, wie es im bayerischen Idiom heißt. Michael Glos, der den Posten des Wirtschaftsministers übernehmen will, hält sich da noch vornehm zurück. Von Irritationen spricht er, die Stoibers Entschluss ausgelöst habe. Dennoch sei Stoiber ein »erfolgreicher Parteichef« und der Kandidat der CSU für die bayerischen Landtagswahlen 2008.

Im Mutterland schlägt die Partei andere Töne an. Der ehemalige Parteichef und Bundesfinanzminister Theo Waigel wirft Stoiber »schwerste politische Fehler« vor. Alfred Sauter, von Stoiber entlassener ehemaliger Justizminister, verlangt, die Amtszeit des bayerischen Ministerpräsidenten solle auf zwei mal fünf Jahre begrenzt werden. Joachim Doppel, der Vorsitzende der Frankenwald-CSU, forderte gar, Stoiber solle den Weg für einen Nachfolger freimachen.

Die Koalitionsverhandlungen laufen allen Personalquerelen zum Trotz weiter. In den Finanzfragen ist man über vieles uneins, Einmütigkeit herrscht aber in einem Punkt: »Es wird harte Einschnitte geben.«

So haben Rentner in den nächsten Jahren weitere Nullrunden, also Kürzungen durch Inflation, zu erwarten, ehe die Regierung ab 2007 daran geht, die Renten offiziell zu kürzen. Das eröffnete Franz Müntefering in seiner Rolle als zukünftiger Sozialminister auf dem Arbeitgebertag in Berlin vergangene Woche. Angela Merkel verlangt Kürzungen von zwei Milliarden Euro bei den Ausgaben für Arzneimittel.

Was mit einer Kampagne von Politik und Medien in den vergangenen Wochen vorbereitet worden ist, wollen die Großkoalitionäre wahr machen: Fast zwei Milliarden Euro sollen beim Arbeitslosengeld II eingespart werden, 500 Millionen Euro dadurch, dass die Eltern junger Arbeitsloser wieder stärker für den Unterhalt zahlen müssen. Junge Menschen länger in die ökonomische Zwangsgemeinschaft mit Mama, Papa und Geschwistern zu zwingen, dürfte ganz im Sinn der zukünftigen Familienministerin Ursula von der Leyen sein, wenn sie nicht vorher auch die Flucht ergreift. Vielleicht wird sie von der sieben- zur achtfachen Mutter und geht in den Babyurlaub. Man muss heutzutage mit allem rechnen.