Gute Nacht, Freunde

Reinhard Mey erzählt rainer trampert sein Leben

Bei mir ist Reinhard Mey zu Gast. Ein Mann, den alle lieben, der vier Generationen an seinem belanglosen Alltag teilhaben ließ und der jetzt seine Memoiren veröffentlicht hat. Ein Buch voller Lebensweisheit und Liedertexte. Der Titel heißt, ganz untypisch für Reinhard: »Was ich noch zu sagen hätte« …

…dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh’n.

ZDF-Hitparade, März ’72! Platz 2 hinter »Michaela« von Bata Illic. Viele fragen sich: Wer ist eigentlich dieser Reinhard Mey?

Ich bin aus jenem Holz geschnitzt, in das man ein Herz und zwei Namen ritzt. Nicht nobel genug für Schachfiguren und zu knorrig für Kuckucksuhren. (…)Aus jenem Holz, aus dem man alles macht. Suppenlöffel, Kuchenformen, Körbe, die man flicht: Das alles, nur Kerkertüren nicht.

Kuchen statt Gefängnis! Da haben wir jene deutsche Tiefenpsychose, die sich keck ihren Weg in die Poesie gebahnt hat. – Wir sollten erst darüber reden, wie gut du bist, dann, wie glücklich du bist; und am Ende darauf zurückkommen, wie gut du bist…

Ich wusste immer, dass Krieg die schlimmste Katastrophe ist.

Das stimmt! Er war immer für Frieden.

Ich hab bis auf den heutigen Tag immer gewählt.

Dafür gab es das Bundesverdienstkreuz!

Meine Kinder sind gewissenhafte Staatsbürger.

Auch seine Erziehung ist beispielhaft.

Ich habe meinen Eltern Wünsche von den Augen abgelesen.

Auch das gab es in der 68er-Generation!

Ich bin Vegetarier.

Toll! Ich glaub’, das langt fürs Erste!

Ich würde niemals einen Vogel im Käfig halten.

Verlangt doch auch keiner von dir!!

Ich bin auch bei Greenpeace und den Schiffbrüchigen dabei.

Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt! Nicht jeder zahlt so viel für sein gutes Gewissen. Hast du eigentlich ’ne Idee, warum du so gut bist? Kindheit oder so?

Ich spüre eine Verpflichtung zu helfen und zu teilen. Ich selbst brauch’ nur ein Stück Brot und ein Töpfchen Schmalz.

Ein Vorbild für alle Rentner! – Reinhard lernt Kaufmann bei Schering und ist da noch glücklicher als in seiner Kindheit im Berliner Trümmerfeld.

Schering war total mein Ding. Da wurde mit radioaktiven Substanzen experimentiert.

An Mäusen und Affen!

Ich fühlte mich dem Schering-Konzern wirklich zugehörig.

Sich eins fühlen mit einem pharmazeutischen Konzern! Ist es nicht das, was Deutschland braucht? Diese Demut vor Lagerhaltung, Ärztehaltung und Tierhaltung! Warum wolltest du eigentlich Musik machen?

Man spielte nur, wie Hannes Wader immer sagte, um die Mädchen auf sich aufmerksam zu machen. Wie der Enterich schnattert, so macht der Musiker Musik.

Hannes war bekannt als Schwerenöter, aber du …

Ich habe nie mit anderen geflirtet, nie meine Freundin betrogen.

Eben! – Da gibt es einen Vorfall. Reinhard singt für die Kinderkrebshilfe, aber sein Manager verschwindet mit der Börse.

Ich hab keinen Groll! Hab ihn in meiner Erinnerung zärtlich geparkt. Er konnte vielleicht nicht anders, er musste mich wohl bescheißen.

Sowas hat doch auch (…) Genau! Gott, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Fragst du dich nicht manchmal, ob du vielleicht Jesus bist? Könnte ja sein!

Manchmal frag ich mich, was ist es, das mich drängt, sich winzig zu wissen und zugleich so groß, erhaben und glücklich und schwerelos.

Nur, bei Jesus gilt die Nächstenliebe allen, du kannst aber Linke nicht ausstehen. Das ging schon 68 los …

… als mein Zimmernachbar bei Frau Pohl mein Zimmer unerträglich fand und alles kleinschlug kurzerhand. So übte der sich damals schon für seine Weltrevolution.

Das sind keine Vorurteile! Er hat erlebt, dass die ihre WGs demolierten. Dann, beim Sängertreffen auf der Burg Waldeck …

… kamen wieder 68er, um den Musikbetrieb zu sprengen. Nur weil ich das Wort Revolution nicht in meinen Liedern hatte, wurde ich von denen als Reaktionär eingestuft.

Echt fies! Was hast du denen denn erzählt?

Ich habe die deutschen Heimkehrer gesehen, zerschossen und zerschunden. Ein Bruder meines Vaters gefallen, ein anderer hat ein Bein verloren.

Du wolltest nur mal sagen, wie der Landser in Russland gelitten hat, aber die 68er meinten, es gab damals noch mehr als deine Verwandtschaft.

Die 68er! Diese Frustrierten! Steine sind kein Argument!

Auch Argumente sind meistens kein Argument!

Von da an sehe ich mein Land mit Liebe, milder und versöhnlicher.

Und du fängst an, Heimatlieder zu singen.

Ich mag das Allgäu und die Kühe, ich mag den Kohlenpott, in Vechta kommt mein Frühstücksei zur Welt. Ich liebe Kiel und seine Sprotten (…), und in Berlin, da gibt es Laubenpieper, vor denen Gartenzwerge stehn …

… und Deutschlandfahnen wehn! Das Leben könnte so schön sein, wenn nicht schon wieder Störenfriede …

Die 70er Demos, die 80er Barrikaden, Kreuzberg brennt! – An den Hauswänden Graffiti …

Auf der Suche nach Geborgenheit fliegen Reinhards Gedanken wieder zurück ins Labor …

Wenn bei Schering das Feuersignal ertönt, kommt das CO2, das alles erstickt.

Wenn alles Leben erstickt, sollte man noch schnell Graffiti-Kids verhaften und Häuserwände schrubben.

Worum es geht, ist mir schnuppe: mehr als zwei sind eine Gruppe. Ich will in keinem Haufen raufen, lass mich mit keinem Verein ein.

Du bist aber Mitglied im Verein Deutsche Sprache und engagierst dich da für die deutsche Quote.

Es geht um das kulturelle Selbstbewusstsein einer Nation. Wir sind kein Volk von Hinterwäldlern!

Bewahre! Die Randfichten sind keine Hinterwäldler! Etwas anderes. Ein Thema hat dich immer bewegt: die Frauen! Reinhard liefen oft Frauen über den Weg, die nervten. Und da avancierte er zum Troubadour der schweigenden Männer.

Annabelle, ach Annabelle, du bist so herrlich intellektuell, du bist so wunderbar negativ, und so erfrischend destruktiv. Ich bitte dich, komm sei so gut, mach’ meine heile Welt kaputt … Ach Annabelle, zerstör meine rosa Brille und meine Gartenzwergidylle.

Ich kenn ’ne gute Therapeutin, die ist darauf spezialisiert, dass Männer wieder »Ja« sagen zu ihrem Gartenzwerg-Wunsch und dass die, die sich wie Gartenzwerge fühlen, wieder »Ich« sagen können. Viele legen sich danach Reihenhaus und Familie zu und machen den Nachbarn fertig …

… wenn der Rasen mäht mit einem Zweitaktergerät, was besonders nervig ist.

Wie dein Nachbar auf Sylt. Wie hast du den genannt?

Gartennazi! Hab ich in meinem Brief an die Gemeinde geschrieben. Es ist die Hölle. Menschen kriegen keine Ruhe, weil überall gemäht wird. Ich trete furchtlos für Lebensraum ein.

Na, ja! Volk ohne Lebensraum, wo ein Schaf genügt …

Du hast nicht gestohlen, nicht betrogen … aber deine Ruhe findest du trotz alledem nicht mehr.

Irgendwo wird doch noch ein Plätzchen sein …

Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen, und dann …

… wird unten wieder der Rasen gemäht. – Damit dein Frauenbild nicht missverstanden wird, solltest du uns erzählen, wie gut du zu deiner Frau bist.

Ich denke, dass ich für Hella ein guter Partner bin. Ich weiß, wie wichtig es für sie ist, einen Menschen zu haben, der mitleidet, der sieht, welche Leistung die Frau erbringt, und stolz darauf ist.

Hoffentlich bringt sie noch lange Leistung, damit du stolz sein kannst und sie dein Mitleid auch verdient.

Sie ist die Frau, die mir ihre Seele und ihre Klugheit schenkt. Die Komplizin, zwei gegen die ganze Welt!

Du verschlingst sie ja total, ihre Seele, ihre Klugheit, ihre Eigenständigkeit, die sie als Komplizin einbüßt!

Wenn ich bei jemandem gut aufgehoben bin, will ich den nie mehr loslassen!

Hoffentlich bleibt mir deine Zuneigung erspart!

Dann geh, eh meine Schwere dich hält! Glaubst du Stümper, du Wicht, dass du am Pillermann rumschnippeln darfst? Ich glaube nicht!

Was ist denn nun los?

Ich bin sicher, dass Gott es als schlimme Lästerung betrachtet, wenn man Lämmerchen abschlachtet, und er muss sich übergeben, denkt er ans Schächten,

Beschneiden, schächten, meinst du Juden? Von wem hast du denn so etwas?

Ich habe ein Leuchtfeuer, an dem ich mich orientiere, einen Mann, der mir sehr kluge Dinge sagt, das ist Eugen Drewermann.

Und was sagt dieser Drewermann?

Es zeigt sich mehr und mehr, dass das Christentum aufgrund seiner jüdischen Geisteskraft einen außerordentlichen gewalttätigen und rücksichtslosen Charakter an sich trägt.

Der jüdische Geist soll schuld sein an Kreuzzügen, Inquisition, Sklaverei, dann wären Pogrome ein Akt christlicher Selbstreinigung?! Du singst harmlos über Kuchen, suhlst dich aber in schlimmsten Sümpfen …

Gute Nacht, Freunde, es wird jetzt Zeit für mich zu geh’n (…) Habt Dank, dass ihr nie fragt, was es bringt (…) Ich hatte nie falsche Idole, sondern Lonnie Donegan (…) Wie ein Baum, den man fällt, möchte ich sterben (…)

In dem fiktiven Gespräch, das Rainer Trampert mit dem Liedermacher Reinhard Mey führt, antwortet Mey nur mit Originalzitaten aus seinen Memoiren: »Was ich noch zu sagen hätte«, Kiepenheuer & Witsch. Das Stück ist eine gekürzte Fassung aus dem neuen Satireprogramm »Zu Gast bei Freunden«, mit dem Rainer Trampert und Thomas Ebermann am 18., 19. und 20. November in Hamburg im Theater Polittbüro auftreten.