Polens dritter Zwilling

Die Partei »Recht und Gerechtigkeit« machte den rechtspopulistischen Bauernführer Lepper zum stellvertretenden Präsidenten des Parlaments. Sie fordert dafür Unterstützung für ihre Minderheitsregierung bei der Vertrauensfrage. von oliver hinz, poznan

Polen bekommt offenbar einen »dritten Zwilling«. Diesen Titel verlieh das polnische Nachrichtenmagazin Polityka vergangene Woche an Andrzej Lepper, den rabiaten Anführer der radikalen Bauernpartei Samoobrona (»Selbstverteidigung«). Denn auf den wiederholt wegen Politikerbeleidigung und Straßenblockaden verurteilten Rechspopulisten setzen die eineiigen Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski. Mit seiner Hilfe will deren Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) am Donnerstag die obligatorische Vertrauensfrage im Parlament zur Legitimierung der Minderheitsregierung – die allein von der Partei gebildet wird – gewinnen. Das kratzt zwar am Saubermann-Image der Kaczynskis, verschafft aber Lech als künftigem Staatspräsidenten und Jaroslaw als Parteichef noch mehr Macht, denn sie müssen dann die Regierungsverantwortung nicht mit einem ebenbürtigen Partner teilen.

Ursprünglich wollten die Kaczynskis die Regierung gemeinsam mit der rechtsliberalen Bürgerplattform (PO) bilden, die mit 24,1 Prozent fast so viele Stimmen erhielt wie die PiS (27 Prozent). Doch die Koalitionsverhandlungen scheiterten trotz eines Vermittlungsversuchs des Danziger Erzbischofs, der die führenden Politiker beider Parteien in seiner Residenz erneut an einen Tisch holte. Jaroslaw Kaczynski lehnte die Bedingungen der PO für eine Koalition klar ab. Der Vorsitzende der PO, Donald Tusk, der überraschend deutlich bei der Präsidentenwahl am 23. Oktober unterlegen war, hatte verlangt, dass Jaroslaw Premierminister werden solle und Lepper aus dem Parlamentspräsidium fliege. Mit den Worten: »Über alles andere kann man reden«, verzichtete Tusk auf inhaltliche Forderungen.

Die PiS trumpfte allerdings bereits bei der Wahl der Präsidien beider Parlamentskammern, des Sejm und des Senats, groß auf. Die Kandidaten der PO ließ sie durchfallen. Dagegen belohnte sie Lepper mit dem Posten des stellvertetenden Parlamentspräsidenten des Sejm. In der Regierung sah sie für die PO offenbar die Rolle des Sündenbocks vor, der verhindere, dass die ohnehin kaum bezahlbaren Wahlkampfversprechen der PiS verwirklicht würden. Die Ministerien für Arbeit und Wirtschaft wollte sie den Rechtsliberalen zuschanzen und selbst für das Justizressort zuständig sein. Ein Kommentator des konservativen Wochenmagazins Wprost warnte die PO sogar, eine Koalition mit der PiS komme einem »spektakulären Selbstmord« gleich.

Zum neuen Premierminister machte Jaroslaw Kaczynski seinen Wirtschaftsfachmann Kazimierz Marcinkiewicz. Die Kabinettsposten, die ursprünglich von Abgeordneten der PO übernommen werden sollten, vergab die PiS an parteilose Fachleute. Außenminister wurde der bisherige Botschafter in Moskau, Stefan Meller. Der Historiker wurde als Sohn jüdischer Emigranten in Frankreich geboren, wo sein Großvater im Konzentrationslager von Drancy bei Paris starb. Nach seiner Rückkehr nach Polen verlor Meller 1968, während der von der damaligen Regierung gesteuerten antisemitischen Kampagne, seine Arbeit im Institut für internationale Beziehungen. Mitte der neunziger Jahre sowie in den Jahren 2001 und 2002 war er bereits stellvertretender Außenminister.

Marcinkiewicz hat vorige Woche nach seiner Vereidigung durch den scheidenden sozialdemokratischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski bereits die Regierungsgeschäfte übernommen. Im Amt kann er allerdings nur bleiben, wenn ihm das Parlament das Vertrauen ausspricht. Die PO und die sozialdemokratische SLD haben bereits angekündigt, dass sie gegen ihn stimmen werden. Deshalb ist die PiS-Minderheitsregierung jetzt auf Leppers Samoobrona angewiesen, die mit 11,4 Prozent der Stimmen als drittgrößte Fraktion ins Parlament einzog.

Doch das allein reicht immer noch nicht zur Mehrheit. Es muss mindestens noch eine der beiden kleinen Parteien der Regierung ihren Segen geben. Zur Verfügung stehen die Bauernpartei PSL, die aus einer ehemaligen realsozialistischen Blockpartei hervorging, und die rechtsextreme Liga Polnischer Familien (LPR).

Lepper fordert für seine Zustimmung zur PiS-Regierung Verhandlungen mit der EU über eine Erhöhung der Agrarsubventionen. Eine weitere Bedingung sind mehr staatliche Sozialleistungen. Auf diese Forderungen ging Premierminister Marcinkiewicz bislang nicht ein. Erfüllt hat die PiS dagegen bereits den Wunsch der Samoobrona nach mehr politischer Macht. Die Parlamentsabgeordneten machten bereits zwei Angehörige der Bauernpartei zu Richtern am Verfassungsgerichtshof.

Umstritten ist aber vor allem Leppers Wahl zum stellvertretenden Parlamentspräsidenten. Bereits vor vier Jahren hatte er dieses Amt übernommen, wurde aber gleich wieder abgewählt, weil er den damaligen Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz eine »Kanaille« nannte – wegen eines angeblich schlechten Ergebnisses nach Verhandlungen mit der EU. Spektakuläre Protestaktionen sind für Lepper, der 1979 der Kommunistischen Partei beitrat, schon lange Routine. Bereits im Oktober 1991 belagerte er wochenlang mit seinen Anhängern das Parlament in Warschau. Damals entstand auch seine Bauernorganisation Samoobrona.

Drei Jahre später verbrachte der ehemalige Direktor einer Kolchose mehrere Wochen in Untersuchungshaft, nachdem seine Mitarbeiter einem Verwalter einer Gärtnerei in Nordpolen den Kopf kahl geschoren und ihn ausgepeitscht hatten. Mit 200 Straßenblockaden gleichzeitig legte Samoobrona Ende der neunziger Jahre vor allem den Grenzverkehr tagelang weitgehend lahm, um Lebensmittelimporte aus der EU zu verhindern. Im Parlament sind die Abgeordneten der Partei an ihren in den Nationalfarben weiß-rot gestreiften Krawatten zu erkennen.

Die LPR kam bei den Parlamentswahlen auf acht Prozent. Vorige Woche sorgte die streng katholische und nationalistische Partei erneut für einen Skandal. Das dem Axel-Springer-Konzern gehörende Boulevardblatt Fakt veröffentlichte Fotos, auf denen junge Parteimitglieder den Hitlergruß zeigen, unter ihnen war auch ein Abgeordneter. Der Parteivorsitzende Roman Giertych spielte die Vorfälle, die teilweise fünf Jahre zurückliegen, zunächst herunter. Dieser Gruß sei vor dem Krieg auch in Polen üblich gewesen, ließ er verlauten. Mittlerweile kündigte er »Konsequenzen« an.

Antisemitische Propaganda konnte man Giertych zwar bisher nicht nachweisen. Doch als Leon Kieres, der Leiter des »Instituts des Nationalen Gedenkens«, der für die Aufarbeitung des Pogroms gegen Juden in Jedwabne verantwortlich ist, im Frühjahr 2002 seinen Rechenschaftsbericht vorlegte, nannte ihn ein LPR-Abgeordneter einen »Judenknecht«. Er forderte ihn sogar auf, die Hosen herunterzulassen und zu beweisen, dass er ein »echter Pole« sei.

Laut einer am Freitag veröffentlichten Umfrage ist die PiS trotz des Hin und Hers um die Regierungsbildung mit 33 Prozent derzeit noch populärer als bei der Parlamentswahl.