The Spy Who Came In from the Cold

Der Skandal um die enttarnte CIA-Agentin treibt auch die amerikanische Presse zu geheimdienstlichen Höchstleistungen. Die Jungle World schickte den verdeckten Ermittler david reed an die Medienfront

Baltimore, Maryland, 27. Oktober 2005

Seit ich wegen der Enron-Story in Houston war, werde ich das ungute Gefühl nicht los, dass die Nachrichten auch nicht mehr das sind, was sie mal waren. Ich habe das an meinen Studenten getestet: Sie alle erinnern sich an Elian Gonzalez, den fünfjährigen Jungen, der nach langem Hin und Her im Juni 2000 nach Kuba zurückgebracht wurde (Jungle World, 22/00). Aber wenn ich nach aktuelleren Ereignissen frage, scheinen die Dinge schnell undeutlich zu werden. Nach Terry Schiavo (der Wachkoma-Patientin) habe ich resigniert und beschlossen, mich aus dem Geschäft zurückzuziehen.

Aber manchmal – wie diesen Sommer anlässlich des Michael-Jackson-Verfahrens (Jungle World, 25/05) – sehe ich jemanden mit autoritativem Gesichtsausdruck im Fernsehen, der berichtet (live!), dass es nichts zu berichten gibt, und ich fühle den unwiderstehlichen Drang, selbst hinzufahren und zu sehen, was das Ganze soll.

Und so kam es, dass ich den Abend eines Donnerstags damit verbrachte, am Computer die Adressen verschiedener Nachrichtenmacher zu durchforsten, bevor der Sonderermittler Patrick Fitzgerald seine Erklärung über den Stand der Nachforschungen im Fall der Enttarnung einer CIA-Agentin abgeben würde.

23 Uhr

Karl Roves Adresse zu finden, war nicht schwierig, aber herauszubekommen, wann er morgens aufsteht, erweist sich als etwas schwerer. Hinweise auf Bushs Morgenprogramm (und seine Leidenschaft für Pünktlichkeit) sind überall im Netz verstreut, Roves Gewohnheiten sind dagegen weniger gut dokumentiert. Ich google alles, was mir in den Sinn kommt: »programm«, »steht auf«, »geht zur arbeit«, »morgen« usw. Irgendwo dazwischen checke ich die Site der New York Times und sehe, dass die morgigen Nachrichten über die undichte Stelle ein bisschen früh durchgesickert sind: Während Libby wohl angeklagt wird, scheint Rove zumindest für den Moment unbeschadet davonzukommen.

Das Problem ist, dass Libbys Adresse nicht so leicht herauszubekommen ist wie die von Rove, und ich muss bald ins Bett, wenn ich morgen mit einem Vorsprung vor diesen White-House-Frühaufstehern (und ihren Ermittlern) in den Tag starten will.

28. Oktober 2005, 5 Uhr

Der Job eines Reporters ist nicht so leicht, wie er aussieht: 200 Meter von meiner Haustür habe ich einen Platten. Glücklicherweise sind wir eine Familie mit zwei Autos, also gehe ich zurück nach Hause, wecke Vika auf und überrede sie, mich ihren Wagen benutzen zu lassen.

Wohnung der Familie Rove, Washington DC, 6.20 Uhr

Rove scheint zu verschlafen. Ein anderer Journalist erzählt mir, er habe das Haus gestern um 6.15 Uhr verlassen, aber wie es aussieht, komme ich noch rechtzeitig für die Ereignisse des heutigen Tages. Ein Polizist fragt nach meinem Presseausweis, und obwohl ich mir nicht sicher bin, dass man wirklich einen Presseausweis benötigt, um auf der Straße zu stehen, streite ich mich nicht. Unglücklicherweise ist es etwas zu dunkel hier draußen, um den Namen auf meinem Ausweis zu lesen, also veranlasst er mich, »Jungle World« zu flüstern (wir wollen doch die Nachbarn nicht aufwecken), bevor er mir die Regeln erklärt: »Nicht auf den Rasen rennen, wenn Rove in sein Auto steigt, und das Auto nicht behindern, wenn er losfährt.« Ich akzeptiere die Regeln und darf mich zu den anderen zwölf Journalisten, zwei Nachbarn, einem Hund (mussten die auch ihre Papiere vorweisen?) und drei Polizisten gesellen, die auf den großen Moment warten.

Der Polizist in kurzen Ärmeln macht Witze über die Kälte; die Nachbarn mit dem Hund müssen dann doch gehen. Im Haus geht ein Licht aus, was zu einigem Geflüster im Pressebereich führt. Aber nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, das Licht könnte auch automatisch ausgegangen sein, und alles wird wieder ruhig.

Eine neue Nachbarin erscheint und macht, während sie wartet, Yoga, aber sie eilt davon, als ich versuche, sie zu filmen. Ich belausche jemanden, der sagt, Karl Rove habe einigen Sinn für Humor – wahrscheinlich hat er die letzte Nacht in einem Hotel verbracht und amüsiert sich gerade, wohl wissend, dass ein Pressekontingent hier steht und auf ihn wartet. Handys klingeln, als alle herauszufinden versuchen, wo er sein könnte. Inzwischen versuche ich, mir klar zu werden, warum die »Überwachung« (so nennen sie es) einer strikten Trennung unterliegt: Fernsehteams auf der einen Seite der Auffahrt (#1), Fotografen auf der anderen.

Zwei Fotografen gehen; die Polizisten haben sich zu ihrem Fahrzeug zurückgezogen. Wissen sie etwas, das wir nicht wissen?

Um 7.45 Uhr, gerade als niemand mehr glaubt, dass er noch kommt, tritt ein lächelnder Rove aus der Tür und schenkt uns ein gut gelauntes Winken. Er lässt uns wissen, dass er einen großartigen Tag haben wird und ein sagenhaftes Wochenende; dann (wie oft tut er das?) wünscht er uns dasselbe. Karl Rove hat mir ein sagenhaftes Wochenende gewünscht! Ich muss mich zwicken, und ein anderer Journalist, der, so denke ich, ähnlich fühlt, sagt »Holy moly Batman«, als Rove abfährt.

Es gibt Dinge, die ich während der Beschattung einfach nicht bemerkt habe, wie die kleine Kaninchenfigur neben der Haustür, also bleibe ich ein paar Minuten, um Fotos vom Hof zu machen, werde aber von Leuten unterbrochen, die Roves Frau und Sohn sein müssen (#2). Roves Sohn macht mit einer kleinen Digitalkamera ein Foto von mir, während seine Mutter laut nach meinen Papieren verlangt. Der Sohn ist bemerkenswert höflich und scheu, aber als ich frage, was so schlimm daran ist, auf einer öffentlichen Straße zu stehen, veranlasst sie ihn, wieder reinzukommen und lässt mich wissen, dass sie den Secret Service rufen wird.

Nachdem ich letztes Jahr das Interesse der Homeland Security geweckt habe (und einige Zeit brauchte, um einem großen Mann mit schlechter Laune die feineren Punkte meiner künstlerischen Motivation zu erklären), halte ich es für keine schlechte Idee zu gehen. Mache noch ein paar Fotos und nehme ein oder zwei Souvenirs mit (vielleicht fuhr Karl Rove mit seinem Jaguar über dieses Blatt?), bevor ich mich davonmache.

8 Uhr

Nehme die Baseballmütze ab (hoffentlich erkennt mich der Secret Service so nicht); fahre zum Gebäude des Bundesgerichts.

10 Uhr

Der Pressebereich vor dem Gerichtsgebäude ist viel netter. Es ist wärmer, und es gibt einen Hot-Dog-Stand in der Nähe. Das einzige, was fehlt, sind die endlosen Reihen von Miettoiletten, die während Bushs Amtseinführungsfeier hier standen. Gerate fast augenblicklich in einen Streit mit einem Fernsehteam, das sehr vorauseilend um die Urheberschutzrechte eines Gerichtszeichners besorgt ist, erst, indem es vor meiner Kamera herumsteht, und dann, indem es mit der Zeichnung des Künstlers weggeht. Zum Glück lassen sie mir freie Sicht auf das Stativ, also mache ich schnell ein Foto davon, bevor sie auch das wegnehmen (#3). Da sind Fotografen mit Wrap-around-Sonnenbrillen und Reporter, die auf hohen Stühlen sitzen, aber irgendwie springen alle auf und rennen weg, wenn ich meine Kamera auf jemanden richte. Ein Fotograf sagt mir in unzweideutigen Worten, dass er mir nicht erlaubt hat, ihn zu fotografieren.

Plötzlich klingeln Handys, und alle beginnen herumzurennen. Gut gekleidete Männer und Frauen rennen mit Papieren unterm Arm aus dem Gerichtsgebäude; Augenblicke später blättern Reporter »live« durch die frisch verteilte Anklageschrift (#4). Bei all der Aufregung achten die Leute endlich weniger auf mich (#5).

Fitzgerald hat eine Pressekonferenz für 14 Uhr anberaumt (#6), und wie es scheint, bin ich so ziemlich der Letzte, der das herausfindet: Ich erfahre es von einem seltsamen Typ, der scherzhafte (denke ich) Bemerkungen über bin Laden macht, und wir gehen zusammen in das Justizministerium hinein.

Das Licht am Besucherschalter scheint eigentlich ausreichend zu sein, aber die Frau hinter dem (kugelsicheren) Glas hat Schwierigkeiten, meinen Presseausweis zu entziffern, und bittet mich, den Namen der Zeitung vorzulesen. Ich bestehe den Test und lasse meine freundliche Quelle zurück. Nachdem ich die abgeschottete röhrenförmige Sicherheitskammer durchschritten habe, finde ich mich in der letzten Gruppe wieder, die zur Pressekonferenz eskortiert wird, bevor sie den Zugang schließen. (Auf dem Weg reden sie darüber, dass man heutzutage einfach nicht mehr jeden reinlassen kann. Zum Glück wissen sie nicht, dass der Secret Service nach mir sucht!)

Fitzgerald ist ein sehr eindrucksvoller Redner, und die Presse scheint seine Baseballanalogien zu mögen. Er bezieht sich ein paar Mal auf Michael Isikoff, der hier viel glücklicher wirkt als bei der Nachzählung in Florida (Jungle World, 50/00), wo er sich beklagte, es sei schwer, eine Geschichte zu schreiben, wenn man das Ende nicht kenne.

Aber es gibt noch andere Umstände, die es schwer machen, eine Geschichte zu schreiben: Der Raum ist sehr heiß (zumindest für jemanden, der noch für eine morgendliche Überwachung gekleidet ist), und es scheint keine Toiletten oder Trinkwasserbrunnen zu geben (ich gerate fast in Schwierigkeiten, als ich auf der Suche meinen Kopf in unautorisiertes Gebiet stecke). Und: Der Typ vom Ton, der heute morgen vor Karl Roves Haus schon nicht sehr freundlich war, starrt mich ständig wütend an. Ich lasse mich davon nicht beirren und mache ein Foto von einem verlegten Kabel (#7).

Außerdem habe ich gehofft, niemand würde bemerken, dass ich mein Besucherschildchen fotografiere (#8). Aber ein Journalist ertappt mich dabei und fragt sich laut, warum jemand bloß so ein Foto machen sollte. (Als ob er sich nicht wünscht, ein Andenken an dieses Ereignis zu behalten! Notiz an mich: Das Foto ändern, damit ich in Zukunft nicht noch mehr Schwierigkeiten mit dem Justizministerium bekomme.) Aber das größte Problem ist, dass ich nicht genug Geld für eine lange Pressekonferenz in die Parkuhr gesteckt habe, also renne ich zum Auto, und es stellt sich heraus, dass mich die Götter des Parkens gesegnet haben.

16 Uhr

Es ist ruhig im Gerichtsgebäude (#9), und der Fotograf mit der Wrap-around-Sonnenbrille ist bereit, Frieden zu schließen. Er fragt mich nach meinem Projekt und sagt, er sei sich sicher, dass ich eine interessante Berichterstattung zusammenbekommen würde, weil ich mich doch so auf die Presse konzentriere. Er glaubt, auch einige der Fotografen könnten sich für die Ergebnisse interessieren, und ich fühle mich geschmeichelt durch so viel Interesse an meiner Arbeit, aber als ich ihm sage, wie er mich kontaktieren kann, wirkt er nicht besonders aufmerksam.

Seit Monaten hat der Pressesprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, es abgelehnt, die »laufenden Ermittlungen« zu kommentieren. Und plötzlich ist es vorbei (#10). Fernsehteams spekulieren beim Einpacken, ob wir dieses Jahr eine weitere große Story bekommen oder nicht.

Das mag wie eine seltsame Assoziation sein, aber ich fühle mich an meinen russischen Freund Sascha erinnert, der den guten alten (monolithischen, sowjetischen) Zeiten nachtrauert, als man noch eine Menge über jemanden erfahren konnte, indem man ihn nach dem einen oder anderen Charakter aus der klassischen russischen Literatur fragte. Was er sagen wollte, war, dass alle die gleichen kulturellen Bezugspunkte teilten. Heute ist, natürlich, alles anders; fragmentiert …

Haupttor, Weißes Haus, 18 Uhr

Ich hätte es beinahe vergessen – ich habe gelesen, dass Cindy Sheehan (die Mutter eines Soldaten, der im Irak getötet wurde, die diesen Sommer Aufsehen erregte – ein bisschen–, als sie in der Nähe von Bushs Ranch campte), die ich im Nationalen Presseclub heute morgen verpasst habe, am Tor des Weißen Hauses Abendwachen hält, seit Anfang der Woche der Tod des 2 000. US-Soldaten im Irak bekannt gegeben wurde.

Ich finde die kleine Demonstration. (Die chinesische Touristengruppe ist viel größer, aber naja.) Niemand scheint sich an meiner Videokamera zu stören, und sie fahren fort, sich über Beschneidung zu unterhalten. Cindy Sheehan sagt, bei ihrem (ersten?) Sohn sei es so schlimm gewesen, dass sie geschworen habe, sollte sie einen zweiten bekommen, ihm nicht zu erlauben, das durchzumachen … Es ist ein interessantes Thema, aber es ist mir unangenehm, die Anführerin unserer Anti-Kriegs-Bewegung auf diese Art für die Nachwelt festzuhalten, also wende ich meine Aufmerksamkeit dem Brunnen des Weißen Hauses zu, der im Zwielicht vor sich hin plätschert.

Auf der anderen Straßenseite (#11) fotografiere ich ein paar Demonstranten mit einem Schild: Fünf Tage bis zum Anfang vom Ende der Bush-Regierung. Cindy Sheehan ist spät dran fürs Abendessen, aber ich kriege sie dazu, für ein paar Fotos Modell zu stehen, bevor sie geht. Sie ist irritiert, aber sie willigt ein.

29. Oktober

Ich verpasse immer was, und obwohl ich das Gefühl habe, dass die Dinge inzwischen etwas besser laufen, bin ich mir manchmal nicht so sicher.

Lese folgendes im Internet: »Gestern, Cheneys Autokonvoi war bereit, das Weiße Haus zu verlassen, und ich wollte sicher gehen, dass er unser sechs Meter großes Transparent mit der Zahl der Tage seit dem Anfang vom Ende des Bush-Regimes sieht … Aber wir hatten nicht genügend Leute, um es in diesem Moment zu halten. So fing ich an zu kreischen, ›wir brauchen jemanden, um das Transparent zu halten‹. Eine Frau, die ich zuvor noch nie gesehen hatte, ergiff ein Ende des Transparents und sagte: ›Ich fühle mich, als sei ich daran beteiligt, Geschichte zu machen.‹«

6. November

Letzte Meldung: Der Typ, den ich für Karl Roves Sohn hielt, scheint in Wirklichkeit sein Neffe Kyle zu sein, ein Medizinstudent der Georgetown University. Ich habe sein Blog nach dem Bild, das er von mir geschossen hat (oder zumindest nach einer Erwähnung des Ereignisses), durchstöbert, aber irgendwie hat er es nicht geschafft, es zu posten. Verdammt! Ich will unbedingt diese Foto sehen und möchte ihm so gerne eine E-Mail schicken – besonders nachdem ich sein Blog gelesen habe. Aber realistisch gesehen ist die Gefahr viel zu groß, dass er alles an den Secret Service weiterleitet. Ich will doch keinen Ärger kriegen.

Ich schlate den Computer aus, gehe ins Bett und ziehe mir die Decke über den Kopf.

aus dem amerikanischen von martin schuster