»Wenn du Geld hast, bekommst du alles«

kalifa kamala lebt im Pariser Vorort Aubervilliers und engagiert sich in einem Einwohnerkomitee, das sich selbst um die Gestaltung des eigenen Viertels kümmert

Wie ist die gegenwärtige Lage bei Ihnen?

Hier im Viertel ist die Lage entspannt, es gibt nur ein paar eingeschlagene Fensterscheiben. Der Unterschied zu Clichy-sous-Bois besteht darin, dass sich hier die Anwohner selbst um ihr Viertel kümmern. Vorher hat die Stadtverwaltung private Firmen eingesetzt, deren Arbeiten aber immer wieder zerstört wurden. Irgendwann hat sie es aufgegeben. Wenn wir hingegen Reinigungs- und Gartenarbeiten machen, geben wir nicht nur den Jugendlichen Arbeit, wir geben ihnen ihr eigenes Viertel zurück. Dabei arbeiten wir mit der Stadtverwaltung zusammen. Unsere Partner sind Sozialarbeiter. Aber, ehrlich gesagt, die bekommen nichts auf die Reihe. Sie kennen das Viertel und die Probleme hier nicht. Unsere eigenen Vermittler hingegen leben seit langem hier. Man kennt und respektiert sie. Wir tragen zur Integration der Jugendlichen bei, beispielsweise indem wir Fußballspiele zwischen verfeindeten Gangs organisieren. So lernen sie, Verantwortung zu übernehmen und stolz auf ihr Viertel zu sein.

Was sagen Sie derzeit den jungen Leuten im Viertel?

Wir erklären den Jungs, dass es nichts bringt, Autos abzufackeln. Es sind ja nicht die Eigentümer der Autos, die für die Scheiße in den Banlieues verantwortlich sind. Wir sagen ihnen unsere Meinung, wollen ihnen aber keine moralischen Lektionen erteilen.

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung in den Medien über die Krawalle?

Was man im Fernsehen sieht, ist bittere Realität. Ich glaube sogar, dass vieles noch ausgeblendet wird. Durch den Medienhype werden die Ausschreitungen für die Jungendlichen leider zu einem Wettbewerb, bei dem sie darum streiten, wer die meisten Autos abfackelt. Jedes Viertel will in den Medien groß rauskommen. Aber die eigentliche Frage ist doch, wieso sie von sich reden machen wollen. Sie wollen die Zustände in den Banlieues anprangern, unter denen vor allem die Kinder der Einwanderer leiden.

Wie wirkt sich die Politik des Innenministers Nicolas Sarkozy aus?

Unter Sarkozy wurde die bürgernahe Polizei abgeschafft. Jetzt gibt es nur noch die harten Jungs von der Eliteeinheit CRS. Die sind nicht von hier, die kennen das Viertel überhaupt nicht und greifen auf äußerst militärische Weise ein. Sie schießen auf alles, was sich bewegt. Ich war selbst dabei, wie sie Gummigeschosse in die Menge abgefeuert haben, ohne zwischen Randalierern und Unbeteiligten zu unterscheiden. Einen Jungen haben sie kontrolliert und angebrüllt: »Verpiss dich, oder wir schlagen dir die Fresse ein, Scheißaraber!« Er wollte weglaufen, wurde aber trotzdem zusammengeschlagen. Für mich ist die CRS der wahre Abschaum.

Der Minister meint, dass man aufhören müsse, von »Jugendlichen« zu sprechen. In Wahrheit seien die Randalierer »Gangster«.

Sarkozy macht es sich leicht. Ein Teil der jungen Leute hat sogar studiert und findet trotzdem keine Jobs, außer vielleicht als Straßenfeger. Und alle kennen das Gefühl der Scham, wenn sie danach gefragt werden, wo sie wohnen, wenn sie lügen, um sich nicht bloßzustellen. Es sind das Elend und die Diskriminierung, die dich zum Abschaum machen.

Hat die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen in den letzten Jahren zugenommen?

Die Jugendlichen begnügen sich nicht mehr damit, Steine zu werfen. Die Cliquen aus den verschiedenen Vierteln sind gut organisiert und sprechen ihre Aktionen miteinander ab. In den Schulen treffen sie sich und prahlen mit den Heldentaten, die sie nachts vollbringen. Sie sind auch besser ausgerüstet. Es ist ungeheuer leicht geworden, an Waffen heranzukommen. Wenn du Geld hast, bekommst du alles.

interview: sophie feyder und gilles bouché