Zwei aus dem Dschungel

Paco Ignacio Taibo II und Subcomandante Marcos haben gemeinsam einen politischen Krimi geschrieben. von wolf-dieter vogel

Ich bin das Maultier satteln gegangen und hab’ noch am selben Nachmittag den Kurs auf Entre Cerros genommen, dieweil so das Dorf heißt, wo die Compañera verschwunden ist, die Maria heißt.« Elías Contreras ist Indígena, und wie viele Indígenas hat er seine eigene Art zu sprechen. Er lebt in Chiapas, jenem südmexikanischen Bundesstaat, in dem ganze Regionen vom Zapatistischen Befreiungsheer EZLN kontrolliert werden. Auch Contreras ist Zapatist. Und Detektiv. Um genau zu sein: Er ist die Ermittlungskommission der EZLN. Wenn ein Bauer tot im Regenwald aufgefunden wird, muss Contreras ran. Oder eben, wenn die Compañera Maria vor ihrem Mann ins zapatistische Frauenhaus flüchtet.

Dass es den Ermittler in den Asphaltdschungel von Mexiko-Stadt verschlägt, hat vor allem einen Grund: Hier lebt Héctor Belascoarán. Auch er ist Detektiv, und mit ihm soll Contreras einen ungewöhnlichen Fall lösen. Bei einem alten Freund ruft regelmäßig ein Toter an, ein Mann, der in der repressiven Zeit der siebziger Jahre von der Polizei erschossen wurde. Gleichzeitig taucht im Norden des Landes Ussama bin Laden auf, der dort als Pornodarsteller arbeitet. Und hinter allem steckt offenbar ein »gewisser Herr Morales«.

Wie der Fall ausgeht, wussten zunächst nicht einmal die Autoren des Romans »Unbequeme Tote«: weder der Guerillero Subcomandante Marcos, der den zapatistischen Ermittler Contreras geschaffen hat, und schon gar nicht der Städter Paco Ignacio Taibo II, dessen Detektiv Héctor Belascoarán bereits in vielen Kriminalromanen die Hauptrolle spielte.

Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? »Die Anfrage kam völlig überraschend«, erzählt Taibo II der Jungle World. »Plötzlich standen zwei geheime Boten vor meiner Tür und gaben mir einen Brief von Marcos.« Er habe die beiden schon gekannt, und deshalb sei er sich sicher gewesen, dass es sich nicht um einen schlechten Scherz gehandelt habe. »In diesem Schreiben schlug mir Marcos vor, zusammen einen vierhändigen Krimi zu schreiben.«

Zum Überlegen blieb Taibo II keine Zeit. Der Subcomandante hatte das erste Kapitel bereits mitgeliefert. Von nun an sollten beide abwechselnd schreiben. Taibo II arbeitete zwar gerade an einer Biografie des mexikanischen Revolutionshelden Francisco Villa. »Doch bisher war ich immer für ein Abenteuer zu haben.« Also begann das literarische Pingpong. Eigentlich sollte auch noch der Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán mitmischen, doch der starb, bevor der Plan ausgereift war. Also schrieben die Autoren den Roman als Hommage an ihren spanischen Kollegen. Veröffentlicht wurde der Schaukampf in zwölf Kapiteln ab Dezember letzten Jahres Woche für Woche in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada. Im September nun sind die »Unbequemen Toten« in deutscher Sprache erschienen.

Taibo lässt seinen melancholischen Belascoarán in den sozialen Abgründen der Metropole ermitteln, Marcos nutzt jede Gelegenheit, um vom Alltag in Chiapas zu berichten: von paramilitärischen Übergriffen oder Problemen in der zapatistischen Selbstverwaltung. Im siebten Kapitel treffen Contreras und Belascoarán am Revolutionsdenkmal von Mexiko-Stadt aufeinander – dem Umfeld Taibos. Für ihn, die »Stadtratte«, ist »der Roman eine ideale Form, um die Eingeweide der Stadt zu beschreiben, den verdeckten Teil des Eisbergs«.

Auch Marcos weiß um die Macht der Worte. Seine Geschichten vom indianischen Weisen Antonio oder vom postmodern inspirierten Käfer Don Durito sind bereits legendär. Viele politische Erklärungen der EZLN hat Marcos mit seinen Anekdoten angereichert. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet die Kulturwissenschaftlerin Anne Huffschmid die Zapatisten als Diskursguerilla. »Die politische Existenz und Macht der EZLN auf nationaler und auch internationaler Bühne stützt sich auf Worte und nicht auf Waffenarsenale«, sagt sie.

Die Gewehre spielten bei den Zapatisten nur im Januar 1994 eine zentrale Rolle. Damals machten die indigenen Rebellinnen und Rebellen mit einem kurzen bewaffneten Aufstand von sich reden. Danach zählten die Worte: Verhandlungen mit der Regierung, Diskussionen mit Aktivisten, ausführliche Kommuniqués. Auch die »Unbequemen Toten« reihen sich in diese Strategie ein. Allerdings scheinen sich die schriftstellerischen Ambitionen des Guerilleros während der Niederschrift Kapitel um Kapitel zu verflüchtigen. Nutzt Marcos zu Beginn noch seinen Protagonisten, um das Ambiente in der chiapanekischen Provinz zu beschreiben, so dominiert einige Kapitel später die politisch korrekte Botschaft. Da werden alle Stichworte eingebaut, die man in der Fangemeinde gerne hört: das umstrittene Bioreservat Montes Azules, das zapatistische Radio Insurgentes, der – »oder die?« – Transe Magdalena, der Internationalist, der feststellt, dass er in diesem Buch eigentlich gar nichts zu suchen hat, die rechtsradikale Organisation »El Yunque« und natürlich George W. Bush, ergänzt durch eher mittelmäßig tiefgründige philosophische Exkurse über »das Böse und den Bösen«.

Zweifellos zeigt sich, dass Taibo ein Erzähler, ein Romanautor ist und Marcos ein politischer Kommentator, für den das Schreiben ein Mittel ist, um eine politische Botschaft zu formulieren. Nicht zufällig erscheint in dem Buch auch der Präsidentschaftskandidat der gemäßigt linken Partei PRD, Andres Manuel López Obrador. Wenige Monate nach der Veröffentlichung des Romans im Frühjahr gingen die Zapatisten mit ihrer »anderen Kampagne« in die Öffentlichkeit. Das Ziel bestand darin, soziale, indigene, gewerkschaftliche und bäuerliche Organisationen, Schwule und Lesben und insgesamt die globalisierungskritische Gemeinde »von unten« zu organisieren – jenseits des parteipolitischen Spektrums. López Obrador und der PRD bekamen zum Auftakt der Kampagne ganz besonders ihr Fett ab.

Taibo II, der selbst dem PRD nahe steht, gab zu, der Roman sei zwar kein Meisterwerk, »aber ich hege große Sympathien für die Zapatisten«. »Außerdem mag ich Marcos. Seine Art zu schreiben hat es geschafft, den Stil einer antiquierten, dogmatischen und dummen Linken zu überwinden.« Nicht zuletzt habe ihm die Idee gefallen, den Dschungel und die Stadt gegenüberzustellen.

Doch die Kooperation zwischen den Welten währt nicht lange. Zumindest nicht die der Detektive. Bald schon macht sich Contreras wieder auf den Weg nach Chiapas. Belascoarán dagegen wird die Stadt nie verlassen. Wie sein Schöpfer Taibo liebt er das Chaos der Metropole über alles. Wo aber ist der Täter? In Chiapas? In Mexiko-Stadt? Oder gibt es vielleicht am Ende nicht nur einen gewissen Herrn Morales? Eigentlich lasse er in einem Krimi nie das Ende offen, sagt Taibo II, der das letzte Kapitel schreiben durfte. »Aber auch ein deutsches Publikum muss sich damit abfinden, dass es in Mexiko nie nur eine Lösung gibt.«

Paco Ignacio Taibo II/Subcomandante Marcos: Unbequeme Tote. Verlag Assoziation A, Berlin 2005, 240 S., 16,80 Euro