Der letzte Sozi

Die Wahl des Vorsitzenden der israelischen Arbeitspartei von eric lee
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Der überraschende Erfolg von Amir Peretz hat vieles verändert. Unerwartet siegte der 54jährige Präsident des Gewerkschaftsverbandes Histradut, den die Tageszeitung Ha’aretz als »Israels letzten Sozialdemokraten« bezeichnete, am Mittwoch der vergangenen Woche bei den Wahlen für den Vorsitz der Arbeitspartei über den 82jährigen Shimon Peres.

Sofort kündigte Peretz den baldigen Rückzug seiner Partei aus der Koalition der »nationalen Einheit« mit Ministerpräsident Ariel Sharon an. Danach versprach er am Grab Yitzhak Rabins, die Verhandlungen mit den Palästinensern wieder aufzunehmen und bis zu einer dauerhaften Friedensregelung weiterzuführen.

Er ist nicht der erste Vorsitzende der Arbeitspartei, der solche Versprechungen macht. Doch er könnte es tatsächlich schaffen. Denn sein Triumph ist der Ausdruck einer wichtigen Veränderung in der israelischen Politik. Seit Jahrzehnten definieren Israelis sich als »Falken« oder »Tauben«. Peretz ist eine »Taube«, aber sein Erfolg und die Unterstützung für ihn haben wenig mit seinen Ansichten über den Friedensprozess zu tun.

Sein Ansehen fußt allein auf seiner Arbeit als kämpferischer Gewerkschaftsführer. In einem Interview sagte er mir vor einigen Monaten: »Heute identifiziert sich ein Israeli nicht als ›links‹ oder ›rechts‹ wegen seiner Ansichten über Themen wie beispielsweise die Steuerpolitik, sondern wegen seiner Ansichten über einen palästinensischen Staat und eine Friedensregelung. Deshalb ist in Israel eine seltsame Situation entstanden, in der die unteren Klassen und die Arbeiterklasse tendenziell die Parteien der Rechten unterstützen, während die Oberschicht tendenziell die Linke unterstützt.«

Die Angehörigen der »unteren Klassen« unter den 100 000 Mitgliedern der Arbeitspartei wählten überwiegend Peretz. Er gewann klar in Industriestädten wie Afula und Beersheba, in denen die rechte Likud-Partei seit einer Generation die Mehrheit hat. Shimon Peres dagegen fand Unterstützung in Städten der Mittelschichten wie Ra’anana und Kfar Saba, wo in den vergangenen Jahren die Arbeitspartei die stärkere war.

Wegen seiner Konzentration auf die Klassenfrage, seinem sozialdemokratischen Weltbild und seiner kämpferischen Rhetorik gilt Peretz vielen Israelis als polarisierend. Doch das ist gut, denn er will Israel entlang der Klassenlinie polarisieren und nicht durch die simple Auseinandersetzung zwischen »Falken« und »Tauben«, die die israelische Politik seit 1967 bestimmt hat.

Peretz vergleicht seine Kampagne mit der Menachem Begins. Der Likud-Vorsitzende schaffte es 1977, die armen Israelis für die traditionelle Rechte zu gewinnen und die Arbeitspartei von der Regierung zu verdrängen. Peretz will diese desillusionierten armen Wähler nun wieder mit der traditionellen Linken vereinen.

Die Experten hatten prognostiziert, dass Peretz nicht gegen Peres gewinnen könne, hinter dem fast die gesamte Parteiführung stand. Nun sagen sie, dass Peretz Ariel Sharon oder Benyamin Netanyahu, den wahrscheinlicheren Kandidaten, nicht besiegen kann. Doch in einer Auseinandersetzung mit einem rechten Ideologen wie Netanyahu, dem derzeitigen Finanzminister und ehemaligen Ministerpräsidenten, während dessen Regierungszeit der Friedensprozess zum Stillstand kam, während Armut und Ungleichheit anwuchsen, könnte Peretz gewinnen.

Es gilt als sicher, dass es vorgezogene Neuwahlen geben wird. Ihr Ausgang ist unklar. Sicher aber ist, dass der Sieg von Peretz, den niemand außer ihm selbst vorhergesagt hat, einen Wendepunkt markiert.