Der nette Schläfer

In der Imbissbude

Der Mann vom Imbiss lächelt immer. Mit einer Gelassenheit, die ihn gerade in dieser Stadt, in der alle Menschen lebensmüde oder sauertöpfisch sind, höchst suspekt erscheinen lässt, stellt er sein unzerstörbares Strahlemanngesicht zur Schau, damit jeder unverzüglich weiß: Hier bist du willkommen.

Ob’s draußen stürmt, schneit oder regnet, spielt keine Rolle: Der Mann vom Imbiss ist guter Dinge. Mit einer verdächtigen Fröhlichkeit plappert er seine seit Jahren unveränderte Phrase vor sich hin, sobald eine der zahlreichen gescheiterten Existenzen morgens um zwei Uhr dreißig seine Imbissstube betritt: »Und? Wie geht? Geht gut? Wie viel Jagermeister?« Jagermeister. Fortwährend sagt er »Jagermeister«, wenn er das lausige, aber rasch betrunken machende Getränk ähnlichen Namens meint.

Auf seiner Verkaufstheke steht eine kleine Spardose, deren Form einer Moschee nachgebildet ist und auf der sich ein rätselhafter, für Gäste, die des Arabischen unkundig sind, nicht leserlicher Schriftzug befindet. Dennoch werfen sie ihr Trinkgeld eifrig in diese Dose hinein, als gäb’s kein Morgen. Doch lässt nicht gerade die Spardosenmoschee unseren vertrauenerweckenden Imbissbudenmann als einen dubiosen, undurchschaubaren Zeitgenossen erscheinen? Er könnte, besieht man’s recht, heimlich die durchgedrehten Jihadisten von der Hamas oder der Hizbollah finanziell unterstützen. Wer weiß das schon?

Auch Sie können nicht mit 100prozentiger Sicherheit dafür garantieren, dass der Inhalt der albernen Spardose nicht dazu bestimmt ist, in einem gottverlassenen Winkel Afghanistans Kleinkinder auf ihre künftige Mission als lebende Bomben vorzubereiten. Vielleicht überweist der Mann Monat für Monat seine gesamten Ersparnisse auf ein dubioses Bankkonto in den Iran, wo sie dazu verwendet werden, in unterirdischen Labors unaussprechlich grausame Atomversuche an unschuldigen, possierlichen kleinen Pelztierchen vorzunehmen.

Doch man merkt ihm seinen perfiden Schwindel nicht an, denn er verkauft eisern an jeden Dahergelaufenen, der noch einen ganzen Satz sprechen kann, ein Fläschchen »Jagermeister«. Da kennt er nichts, der heimliche Jihadist, da ist ihm, wie man so schön sagt, das Hemd näher als die Hose.

Nun gut, es sei hier zugegeben, der Imbissstubenmann trägt keinen 20 Zentimeter langen Zottelbart, keinen mehrfach ums Haupt gewickelten Turban, doch seien wir ehrlich: Was sagt das schon aus? Gar nichts. Tarnung ist das halbe Leben. Terroranschläge lassen sich um einiges wirksamer planen und ausführen, wenn man als Täter sein Lebtag harmlose Schafskäseröllchen an den Mann bringt und dabei die Gelegenheit hat, so zu tun, als sei man der unverdächtige, den schmackhaften Spießbraten zubereitende Dummbeutel von nebenan.

Dennoch könnte der Kebapmann bei eingehender, gründlicher Betrachtung ein versteckt mitten unter uns lebender heiliger Krieger sein, der einst einem der zahllosen Islamistenchefs persönlich von Angesicht zu Angesicht geschworen hat, für ihn – sei’s auch in Einzelteilen – ins Himmelreich zu gehen und mit all seinen zur Verfügung stehenden Kräften die dekadente, gottlose westliche Zivilisation bis auf die letzte Pusteblume zu eliminieren.

Möglicherweise haben wir es mit einem bis in die letzte Faser seines Körpers verbohrten Fanatiker zu tun, der heimlich, von allen gutwilligen Mitmenschen unbeobachtet, in seiner Laubenkolonie finstere Anschlagspläne ausheckt. Man weiß es nicht. Mit seinen Gästen geht er jedenfalls beängstigend freundlich um. Und das weckt meinen Verdacht.

thomas blum