Halbe, halbe-halbe

Bürger gegen Neonazis, dazwischen die Polizei: Am vergangenen Samstag versuchten 1 600 Rechtsextreme, durch das brandenburgische Halbe zu marschieren. von martin kröger

Kritisch blickt die Familie Duven die Lindenstraße auf und ab. Überall entlang der Dorfstraße sind Polizisten postiert. Gerade 100 Meter vom Einfamilienhaus der Familie entfernt versammeln sich 1 600 Neonazis. »Normalerweise ist es ein angenehmer, ruhiger Ort«, sagt Jens Duven, ein Enddreißiger. Heute sieht das allerdings anders aus. Über 2 000 Polizisten, die angereisten Neonazis und die Gegendemonstranten versetzen die Stadt in eine Art von Ausnahmezustand.

Die Neonazis wollen auf dem im Ort gelegenen größten Soldatenfriedhof den dort begrabenen Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS huldigen. Die Polizisten hingegen wollen die Neonazis und die Gegendemonstranten, die per Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg aus dem Zentrum Halbes verbannt wurden, voneinander trennen.

»Zu bestimmten Tagen bietet Halbe dieses Bild«, erläutert Duven. »An Hitlers Geburtstag genauso wie am Samstag vor dem Volkstrauertag.« Als besonders nervtötend empfindet die Familie den Hubschrauber, der ständig über dem Örtchen kreist. »Da versteht man ja sein eigenes Wort nicht mehr«, beklagen sie sich.

Die Familie ist Anfang der neunziger Jahre aus Westdeutschland nach Halbe gezogen. Jens Duven war früher bei der Bundeswehr. Heute hat er eine Stelle als Sattler im nahe gelegenen Möbelwerk. Als eine der wenigen Familien sind die Duvens am heutigen Tag in Halbe geblieben. »Die Leute, die in der Lindenstraße wohnen, machen alles zu und fahren weg«, erzählt Jens Duven. Tatsächlich sind alle Geschäfte des Ortes geschlossen.

Die Duvens sind vom Aussehen und der Kleidung der Rechtsextremen irritiert. »Man weiß gar nicht mehr, wer rechts ist«, wundert sich der Familienvater. Die Nachbarn und er sähen es gerne, wenn die Neonazis wegblieben, juristisch sei da allerdings nichts zu machen. Da auf dem Friedhof keine »Nazigröße« liege, gebe es keine Handhabe, sagt Duven: »Man müsste die Leiche von Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess aus dem bayrischen Wunsiedel hierher holen, damit man das verbieten kann.«

Viele Bewohner des Örtchens hätten Angst, berichtet die Familie, weil sie befürchteten, dass die Rechtsextremen ihnen die Scheiben einschlagen könnten. Die Rechten haben sich in einigen nahe gelegenen Orten, wie etwa in Märkisch-Buchholz, fest etabliert. Trotz ihrer Angst wollen die Duvens mal einen Blick »auf die Linken« am entgegengesetzten Ende der Straße werfen, wo an diesem Tag viel Polit- und Kulturprominenz zum »Tag der Demokraten« versammelt ist.

In derselben Richtung liegt der Soldatenfriedhof des Ortes. Auf dem Waldfriedhof, wie er offiziell heißt, sollen rund 28 000 Menschen begraben sein: Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS, Rotarmisten, Deserteure und Zivilisten. Es ist der größte Soldatenfriedhof Deutschlands. Viele Bewohner Halbes vermuten allerdings, dass auf dem Friedhof wesentlich mehr Tote liegen. Noch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs, so berichten die Dorfbewohner, hätten sie in ihren Gärten Leichenteile sowie Waffen- und Uniformreste gefunden. Im April 1945 tobte hier die letzte Kesselschlacht des Zweiten Weltkriegs, da sich die Reste der 9. Armee der Wehrmacht unter General Theodor Busse weigerten, sich der Roten Armee zu ergeben.

Auch heute ist wieder ein General in Halbe. Der ehemalige General der Bundeswehr und jetzige Innenminister Brandenburgs, Jörg Schönbohm (CDU), hat gemeinsam mit dem Landtag und dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge auf den Friedhof geladen, »um den Opfern des Zweiten Weltkriegs« zu gedenken und so ein »Zeichen gegen Extremismus« zu setzen.

600 Bürger sind gekommen. Gemeinsam mit einem großen Aufgebot an Sicherheitskräften, darunter überall verteilte Zivilpolizisten, umrundet von Mitarbeitern eines privaten Sicherheitsdienstes und Soldaten der Bundeswehr, lauschen sie den Worten Schönbohms, der Gewalt als »untaugliches Mittel der Auseinandersetzung« bezeichnet und vorgibt, verhindern zu wollen, dass »Halbe ein Wallfahrtsort Ewiggestriger« werde.

Aber nicht alle Bewohner des Ortes freuen sich über die Anwesenheit des »Ministers«, wie Schönbohm hier eher despektierlich genannt wird. Jens Duven, dessen Chef Schönbohm einst bei der Bundeswehr war, beklagt den Wahlkampf, den Politiker wie Schönbohm zu Lasten des Ortes betrieben, andere sind erbost darüber, dass der »Minister« behaupte, der Protest gegen die Rechtsextremen sei durch sein Engagement überhaupt erst zu Stande gekommen. »Darüber können wir nur kichern«, meinen einige ältere Herren aus Lübben im Spreewald, die seit mehreren Jahren nach Halbe kommen, um sich den Rechten entgegenzustellen.

Einer von ihnen, Norbert Balzer, trägt an seiner Mütze eine kleine Israel-Fahne, um auf seine Herkunft und seine Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu verweisen. Er führt das »Aktionsbündnis gegen Heldengedenken und Neonaziaufmärsche in Halbe« an, das sich schon lange vor Schönbohms Sinneswandel gebildet hat. In dem Bündnis wirken Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und sogar die lokale Abwasserinitiative mit. Auch einige Bürger aus Halbe haben sich ihm angeschlossen. Der parteilose Bürgermeister des Ortes jedoch will sich weiterhin neutral verhalten.

Etwa 2 000 Menschen sind dem Aufruf zum »Tag der Demokraten«, der auch vom Land Brandenburg unterstützt wird, gefolgt. Sie versammeln sich spontan auf der Lindenstraße, auf der die Neonazis zum Friedhof marschieren wollen. Die zumeist älteren Menschen, die extra angereisten Mitarbeiter des Stahlwerks Eisenhüttenstadt und die aus dem gesamten Brandenburg kommenden Bürger blockieren die Straße. Auch nach der offiziellen Beendigung der spontanen Versammlung, die von einer Abgeordneten der Linkspartei angemeldet worden ist, und einem Räumungsversuch der Polizei geben sie den Weg nicht frei.

Musikalisch begleitet von der Band Karat, von Ulla Meinecke und Manfred Krug, richten sich die Gegendemonstranten häuslich auf der Straße ein und teilen sich mitgebrachte Lebensmittel und Getränke. Während die Blockade aufrechterhalten wird, geht es plötzlich direkt vor dem Hause der Duvens in der Lindenstraße zur Sache: Jugendliche Neonazis aus berlin-brandenburgischen Kameradschaften versuchen in den Abendstunden, mit dem Ruf »Straße frei für die deutsche Jugend«, die Polizeiketten zu durchbrechen. Der Versuch misslingt. Den Friedhof erreichen die Rechtsextremen an diesem Tag nicht mehr.