Kung Fus Kuhhandel

Der nordkongolesische Distrikt Ituri wurde Jahre lang von Warlords beherrscht. Einem Teil der ehemaligen Milizionäre wird nun der Prozess gemacht, ein anderer Teil ist in der Regierung. von alex veit (text und fotos)
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Die Hände hinter dem Rücken gefaltet, als seien sie bereits gefesselt, den Kopf demütig gebeugt, kaum den Mut, die UN-Soldaten und Polizisten um ihn herum anzusehen. Nach sechs Tagen Gefangenschaft in einem Stützpunkt der Vereinten Nationen hat sich der junge Milizionär bereits perfekt in die Rolle des Häftlings gefügt. Barfuß, die viel zu lange Jogginghose auf dem Boden schleifend und dem strengen Geruch nach Schweiß und feuchter Kleidung zufolge seit längerem ungewaschen, ist schwer vorstellbar, dass diese traurige Figur noch bis vor einigen Tagen einer der mächtigsten Milizen in dem Distrikt Ituri angehört hat.

Gemeinsam mit einem knappen Dutzend weiterer Rebellen der »Front der Nationalisten und Integrationisten« (FNI) ist der Milizionär Anfang Oktober von pakistanischen Soldaten der »Mission der Vereinten Nationen im Kongo« (Monuc) verhaftet worden. Ihm wird vorgeworfen, sich an Plünderungen beteiligt zu haben, mit denen die Herrschaft der FNI in der Kleinstadt Mongbwalu zunächst beendet wurde.

Goldfieber

Mongbwalu, im Distrikt Ituri im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo, liegt inmitten eines der größten Goldvorkommen der Welt. Während früher ein staatlicher Konzern die Reichtümer ausgebeutet hat, sieht man nun in den Flüssen und Minen kleine Gruppen junger Männer, die mit der Hand nach Gold schürfen. In der Nähe untersucht, trotz des gewalttätigen Umfelds, der südafrikanische Konzern Anglo Gold das Gelände. Die Konzession hat er bereits erworben.

In den letzten Jahren hatte die FNI ein Arrangement mit den örtlichen Goldhändlern getroffen: Schutz gegen Geld. Dass die Händler dieses Arrangement aufgekündigt haben, soll Anfang Oktober die Plünderung ihrer Läden ausgelöst haben, bei denen es auch zu Morden und Vergewaltigungen kam. Die Händler räumten daraufhin ihre Läden am Marktplatz und stellten kleine Stände um den Stützpunkt der Monuc herum auf.

Zudem übernachteten mehr als eine Woche lang viele Einwohner der Stadt in der Nähe der Truppen der Vereinten Nationen. »Wir haben eine Woche lang nicht geschlafen«, berichtet ein Übersetzer der 140 Blauhelme, die am Rand der Stadt stationiert sind. »Alle zwei Stunden sind wir auf Patrouille gegangen. Aber die Milizen kann man nicht erkennen, sie tragen keine Uniformen und verstecken ihre Waffen, wenn wir kommen.«

Erst nach dem Eintreffen der kongolesischen Regierungsarmee FARDC eine Woche später beruhigte sich die Lage. Einige Milizionäre ergaben sich der Armee, während andere sich in das unwegsame Gebiet im Norden Mongbwalus flüchteten. Ein weiterer Schritt zur allmählichen Befriedung der Region.

Schritte zur Befriedung

Bereits vor zwei Jahren konnte eine Interim-Eingreiftruppe der Europäischen Union unter der Leitung der französischen Armee in der lange umkämpften Distrikthauptstadt Bunia eine gespannte Ruhe herstellen. Im September 2003 kam die Monuc mit 5 000 Soldaten nach Ituri, denen es jedoch lange Zeit nicht gelang, die ländlichen Gebiete zu befrieden. Zwar wurden nach und nach Stützpunkte in den größeren Ortschaften entlang der Hauptverkehrsrouten errichtet, aber die Milizen konnten den größten Teil Ituris weiterhin ungestört beherrschen.

Währenddessen benötigte die Übergangsregierung in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa zwei Jahre, um eigene Streitkräfte nach Ituri zu schicken. Erst im September vergangenen Jahres wurden die ersten Einheiten der neuen, aus verschiedenen Bürgerkriegsparteien gebildeten kongolesischen Truppen in Ituri stationiert. Im Folgenden gerieten die vielen kleineren Milizen in Ituri zunehmend in Bedrängnis. Unter dem militärischen Druck dieser neuen Armee, aber auch wegen des härteren militärischen Vorgehens der Monuc, die nun Kampfhubschrauber gegen Milizencamps einsetzte, kam ein großes Demobilisierungsprogramm in Gang. Zudem verhaftete die Monuc im Frühjahr die meisten Anführer der Milizen aus Ituri, was zu einem Verfall der Befehlsstrukturen führte.

Bis Juni dieses Jahres fanden sich mehr als 16 000 Milizionäre in so genannten Demobilisierungszentren ein, um dort ihre Waffen abzugeben und 110 US-Dollar als Übergangsgeld für ein ziviles Leben zu erhalten. Wie viele Milizionäre allerdings weiter »im Busch« geblieben sind, weiß niemand. Die Monuc und die kongolesische Regierung sprechen von 1 000 Rebellen, doch angesichts der großen Landstriche, die weiterhin der Kontrolle der UN wie der Regierung entzogen sind, scheint diese Zahl untertrieben. Ebenso unklar ist, wie viele der »Demobilisierten« Waffen versteckt gehalten und sich in der Zwischenzeit wieder den Rebellen angeschlossen haben.

Im Knast von Bunia

Dieser Weg steht den unglücklichen Gefangenen der Monuc in Mongbwalu nicht mehr offen. Denn sie wurden noch vor dem Eintreffen der Regierungsarmee mit zwei Gewehren, etwas Munition sowie Beute aus Plünderungen verhaftet. Nun werden sie sich vor einem Gericht verantworten müssen.

Gerüchten zufolge sind sie Opfer eines Kuhhandels geworden: Der hiesige Kommandeur der FNI, genannt »Kung Fu«, soll die Informationen geliefert haben, die zur Festnahme seiner ehemaligen Kämpfer geführt haben. Dafür spricht, dass »Kung Fu« weiter frei ist, obwohl ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vorliegt, dass er sich sogar der Gastfreundschaft der kongolesischen Regierungsarmee in der Distrikthauptstadt Bunia erfreut und im lokalen Radio sprechen kann. Andere Gerüchte besagen, dass Hinweise aus der Bevölkerung, möglicherweise der Goldhändler, die Monuc-Soldaten auf die Fährte der jungen Rebellen geführt haben.

An diesem regnerischen Morgen werden die Gefangenen von den pakistanischen Soldaten einer Delegation aus UN-Polizisten und einem Vertreter der kongolesischen Staatsanwaltschaft übergeben, die sie per Hubschrauber in die Distrikthauptstadt Bunia bringen. Mit Handschellen gefesselt, recken die Ex-Milizionäre die Köpfe, um aus den kleinen Fenstern zum vermutlich ersten und für eine lange Zeit letzten Mal Ituri aus der Luft zu betrachten. Für die Dauer des Flugs hellen sich ihre Mienen auf, aufgeregt unterhalten sie sich über die Ortschaften und Goldminen, die wir überfliegen.

Erst als am Flughafen Bunia die kongolesische Polizei die Männer in Gewahrsam nimmt, wird der Ernst ihrer Situation wieder deutlich. Ruppig werden sie auf die umgebaute Pritsche eines Pick-up gepfercht, der sie in das Gefängnis von Bunia bringen wird. »Dort werden sie wahrscheinlich Monate verbringen, bis überhaupt erst die Vernehmungen durch die kongolesische Justiz beginnen«, kommentiert ein ziviler Mitarbeiter der UN. »Der Knast in Bunia ist völlig überbelegt. Die große Mehrheit sitzt in Untersuchungshaft. Überwiegend sind dies Milizionäre. Es gibt Probleme bei der Versorgung mit Nahrung und Medizin.«

Zwei Wege für die Warlords

Trotz dieser Schwierigkeiten ist allein die Existenz eines Justizsystems nach sieben Jahren Krieg ein Zeichen dafür, dass in Ituri allmählich wieder so etwas wie eine staatliche Ordnung einkehrt. Freilich unter einer Übergangsregierung aus ehemaligen Warlords, die nach gängigen Rechtsstandards allesamt selbst auf einer Anklagebank Platz nehmen müssten, um sich für ihre Kriegsverbrechen zu verantworten.

Dies ist ein Paradox im Kongo, insbesondere aber in Ituri: Die einen werden zu Präsidenten, Ministern oder Generälen, die anderen finden sich im Gefängnis wieder. Feste Regeln scheint es dafür nicht zu geben. Auch wer bereits zum General der aus den verschiedenen bewaffneten Gruppen zusammengewürfelten Armee ernannt worden ist, kann sich bald in einer Zelle wiederfinden. So befindet sich etwa der ehemalige FNI-Kommandeur Koliba in Freiheit und wartet darauf, zum Offizier der kongolesischen Armee ernannt zu werden – obwohl er nach Ansicht der Monuc maßgeblich für einen Hinterhalt verantwortlich ist, in dem Ende Februar neun UN-Soldaten aus Bangladesch umkamen. Er hatte lange gewartet und sich erst im August der FARDC gestellt, zusammen mit knapp 50 Kämpfern. Offenbar zu seinen eigenen Bedingungen.

Die Pusic-Miliz

Doch auch Koliba kann noch im Gefängnis landen. Vorbild wäre etwa Chef Kahwa Panga Mandro, der sich Anfang dieses Jahres auf dem Weg zum Politiker wähnte, nun jedoch in einem Monuc-Stützpunkt in Bunia einsitzt. Der ehemalige »Präsident« der Rebellengruppe »Partei für Einheit, Sicherheit und Integrität des Kongo« (Pusic) ist der erste Anführer einer Miliz, der in Ituri vor dem Richter steht. Er wurde im April verhaftet, nachdem er Monate zuvor in die Demobilisierung seiner Milizionäre eingewilligt, aber wie die anderen Warlords in Ituri den Prozess immer wieder blockiert hatte.

Am Tag der Prozesseröffnung Mitte Oktober bewacht die Monuc das Gerichtsgebäude mit gepanzerten Fahrzeugen, während Blauhelme und kongolesische Polizisten mit dem Gewehr im Anschlag im Saal stehen. Es herrscht großer Andrang, viele Leute passen nicht mehr in das Gerichtsgebäude. Das Publikum, so wird bald aus den Reaktionen während der Verhandlung klar, besteht fast ausschließlich aus den Familien und Unterstützern von Kahwa und den fünf Mitangeklagten, die seinem »Parlament« angehört haben sollen.

Bis auf Kahwa selbst tragen sie die ortsübliche Second-Hand-Kleidung und Flip-Flops an den Füßen. Kahwa, der Anführer der Gruppe, trägt teurere Kleidung und moderne Lederschuhe.»Er ist weiß wie du«, bemerkt süffisant der neben mir sitzende afrikanische Prozessbeobachter der UN. Tatsächlich ist Kahwa auffallend hellhäutig – er soll eine amerikanische Mutter haben. Sein Vater war der Chef der Collectivité Bahema-Banywagi, eine Art Landkreis am Albert-See, der in diesem Gebiet die Grenze zu Uganda bildet. Das System der vererbten Macht geht noch auf die von den belgischen Kolonialherren eingeführte Ordnung zurück. Sie teilten Ituri wie die gesamte Kolonie Kongo nach ethnischen Kriterien auf und setzten traditionelle Herrscher ein. Auch nach der Unabhängigkeit wurde an diesem Herrschaftssystem wenig verändert. Der Bevölkerung blieb meist wenig anderes übrig, als die Einsetzung ihres Chefs per Akklamation zu bestätigen.

Kahwa studierte in Bunia und Kinshasa Jura, bis er nach dem Tod seines Vaters sein Erbe als neuer Chef der Collectivité antrat. Als 1998 Uganda zum zweiten Mal in den Kongo einmarschierte, um den damaligen Präsidenten Laurent Kabila zu vertreiben, begann Kahwas Aufstieg zum Warlord. Befördert durch die Besatzung der ugandischen Armee, entbrannte in Ituri bald ein bewaffneter Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen der Lendu und Hema um Landrechte und politischen Einfluss. Chef Kahwa wurde »Verteidigungsminister« der »Union der Kongolesischen Patrioten« (UPC), der Miliz der Hema, die zeitweilig große Teile Ituris beherrschte und von der ugandischen Armee unterstützt wurde. Doch als sich der »Präsident« der UPC, Thomas Lubanga, von seinen ugandischen Patrons abwandte und ein Bündnis mit der ruandischen Regierung schloss, spaltete Chef Kahwa die ihm loyalen Truppen ab und gründete seine eigene Miliz, die Pusic.

Kahwa war fortan einer der wichtigsten Verbündeten der ugandischen Armee in der Region. Einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge soll er sogar direkt vom ugandischen Präsidenten Geld erhalten haben. Mit Hilfe der ugandischen Armee gelang es den schätzungsweise 2 000 Kombattanten unter Kahwas Führung, Teile von Bunia sowie die Grenzregion zu Uganda über Jahre hinweg zu kontrollieren.

Der Prozess

Der heute 32jährige gibt sich während des Prozesses betont lässig. Da er ein gelernter Jurist ist, verteidigt er sich selbst. Der neben ihm stehende Anwalt dient hauptsächlich dazu, ihm im richtigen Moment seine vorbereiteten handgeschriebenen Papiere zu reichen. Während der Verhandlung wendet Kahwa sich immer wieder an das Publikum, schüchtert Zeugen ein und verhöhnt den Staatsanwalt. Das Publikum lacht über seine Scherze, und als ihm der Richter verbietet, sich zu den Vorwürfen gegenüber einem Mitangeklagten zu äußern, erklärt er stolz: »Kahwa ist der Kopf von allem, und er hier ist mein Korporal.«

Die lockere Atmosphäre im Gerichtssaal steht in merkwürdigem Gegensatz zur Schwere der Anschuldigungen. Die Staatsanwaltschaft wirft Kahwa die Planung eines Genozids, Massenmorde an Zivilisten, Aufstachelung der Zivilbevölkerung und illegale Erhebung von Kriegssteuern vor, die vor allem die Fischer auf dem Albert-See an die Pusic entrichten mussten.

Erst als der wichtigste Zeuge der Anklage auftritt, wird es still im Saal. Er berichtet, wie Kahwa ihm nachstellte, weil er Flüchtlingen der feindlichen Ethnie Schutz bot. »Kahwa hat seine gesamte Bevölkerung mitgebracht, mit Macheten und Speeren. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Leute mit Macheten erschlagen worden sind.« Er fasst sich an den Hals. »Hier und hier und hier, immer wieder.«

Kahwa verteidigt sich unbeeindruckt: Seine bewaffnete Gruppe sei nur zur Verteidigung aufgebaut worden und habe niemals ein anderes Dorf angegriffen. Die Verteidigung sei notwendig geworden, nachdem die Anführer konkurrierender Milizen seine Gruppe, die Hema, hätten ausrotten wollen.

Wahrscheinlich ist Kahwas Selbstbewusstsein durchaus berechtigt. Denn angesichts des geringfügigen Beweismaterials der Staatsanwaltschaft hat er kaum eine lange Haftstrafe zu befürchten. Bis auf einige Fotografien stützt sich die Anklage vor allem auf Zeugenaussagen. »Aber diese Zeugenaussagen sind vor allem indirekt, von Leuten, die etwas gesehen haben wollen, und keine von den eigentlichen Opfern«, erklärt Christian Lukusha von der lokalen Menschenrechtsorganisation Justice Plus. »Das kann nicht reichen. Es ist gut, wenn die Milizenführer verurteilt werden, aber dies muss auf ordentlichem Beweismaterial basieren.«

Nach der Verhandlung erläutert ein Richter die Probleme: Einerseits fehle es an Geld, um eine gründliche Untersuchung durchzuführen. Viel schwieriger jedoch sei es, Zeugen zu finden. »Die Leute haben Angst. Sehen Sie, das ganze Publikum ist auf der Seite der Angeklagten. Und wir wissen, dass trotz der Demobilisierung der Milizen weiterhin sehr viele Waffen in Verstecken lagern. In Ituri ist es immer noch leicht, jemanden zu töten.«

Dies gilt auch für die Richter und Staatsanwälte am Tribunal in Bunia. Sie wurden aus Kinshasa entsandt und wohnen in einem Militärstützpunkt der Monuc. Denn für lokale Juristen wäre die Arbeit in Bunia zu gefährlich.