Streit um die Morgenröte

Der geplanten Freihandelszone für ganz Amerika setzt Venezuelas Präsident Chávez ein eigenes Integrationsprojekt entgegen. von tobias lambert, san salvador, und thilo f. papacek

Wie schade, dass der Präsident eines Landes wie Mexiko sich zum Hündchen des Imperiums macht!« Dies verkündete der venezolanische Präsident Hugo Chávez am Montag vergangener Woche auf einer öffentlichen Veranstaltung. Empört verlangte der verhöhnte mexikanische Präsident Vicente Fox eine Entschuldigung. Nach einem kurzen Geplänkel zogen beide Länder ihre Botschafter zurück.

Auf dem Amerika-Gipfel, der Anfang des Monats im argentinischen Mar del Plata stattfand, waren die beiden bereits aneinander geraten. Chávez prophezeite das Scheitern der geplanten Freihandelszone von Alaska bis Feuerland – kurz Alca (englisch FTTA) –, die besonders von den USA propagiert wird. Fox wollte die Freihandelszone gleich einführen und nicht auf die Verweigerer warten, die die Verhandlungen für das Projekt blockieren.

Gegen Alca setzt Chávez Alba. Alba heißt auf spanisch »Morgenröte« und steht als Abkürzung für »Bolivarianische Alternative für Amerika«. Dabei handelt es sich um ein alternatives Integrationsprojekt, das Hugo Chávez im Dezember letzten Jahres gegründet hat. Es soll »Asymmetrien zwischen den Gesellschaften Lateinamerikas abbauen« sowie »soziale Ungleichheiten beseitigen«, wie es auf der Homepage des Projektes (www.alternativabolivariana.org) heißt. Mit viel Pathos wird der Panamerikanismus von Simon Bolívar, dem hispanoamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer, beschworen. In der medizinischen Versorgung und der Bildungspolitik sieht das Projekt Kooperationsabkommen vor.

Bislang erschien Alba wenig mehr zu sein als ein »Anti-Alca«, eine Plattform für moralisierende Forderungen und Kritik an der US-Politik. Auf der Homepage von Alba heißt es, dass Alca in erster Linie dazu diene, »die Hegemonie der USA über Lateinamerika zu festigen« sowie »die Souveränität der Nationen zu untergraben«. Durch den uneingeschränkten Freihandel würden sich Asymmetrien in der Entwicklung nur verstärken.

Doch mittlerweile hat die »bolivarianische Alternative« konkretere Formen angenommen. Mit Venezuelas Ölreichtum versucht Chávez, Partner für sein Projekt zu gewinnen. Im September schloss er mit 14 karibischen Ländern das Petrocaribe-Abkommen. Es sieht vor, dass Venezuela an die Partnerländer Erdöl zu 60 Prozent des Marktpreises liefert. Der Restbetrag kann innerhalb eines Zeitraums von 25 Jahren gezahlt werden. Statt die Rechnung mit Devisen zu begleichen, können die Karibikstaaten das Öl auch gegen Güter wie Zucker oder Bananen eintauschen. Zusätzlich soll ein Fonds eingerichtet werden, um soziale Projekte in den Unterzeichnerstaaten zu unterstützen. Kuba will sich besonders in der medizinischen Versorgung engagieren und stellt bis zu 20 000 Ärzte zur Verfügung.

In Zeiten hoher Energiepreise ist ein solches Angebot sehr verlockend. Wenig später kündigten die linken Oppositionsparteien FSLN (Sandinistische Befreiungsfront) in Nicaragua und FMLN (Befreiungsfront Farabundo Martí) in El Salvador an, ebenfalls mit Venezuela Energieverträge abschließen zu wollen. Der Deal soll direkt über die von den beiden Parteien regierten Stadtverwaltungen abgewickelt werden, ohne Beteiligung der Zentralregierung oder transnationaler Konzerne. PolitikerInnen anderer Parteien werfen Venezuela vor, gezielt Einfluss auf die Innenpolitik der Länder zu nehmen, um die linken Oppositionsparteien bei den Wahlen im nächsten Jahr zu stärken.

Diesen Vorstoß in die eigene Einflusssphäre sah Vincente Fox überhaupt nicht gerne. Um dem wachsenden politischen und ökonomischen Einfluss Venezuelas in der Region etwas entgegen zu setzen, kündigte der mexikanische Präsident ebenfalls Energiehilfen für die zentralamerikanischen Staaten an. Am Rande des Amerika-Gipfels einigte er sich mit seinen Amtskollegen auf ein ähnliches Vorhaben. Dieses sieht den Bau einer Raffinerie, einer Pipeline und eines Elektrizitätswerks sowie die Errichtung eines Tankstellennetzes des staatlichen mexikanischen Energieunternehmens Pemex in Zentralamerika vor. Der Preis pro Barrel Erdöl soll ein noch zu bestimmendes Niveau nicht überschreiten. Steigt der Weltmarktpreis über dieses Niveau, soll die Differenz durch niedrig verzinste mexikanische Kredite mit langen Laufzeiten finanziert werden.

Ein anderes Thema, mit dem Venezuela um außenpolitische Sympathien wirbt, sind die Agrarsubventionen der USA. Gegen sie wird auf der Alba-Homepage besonders gewettert. Und tatsächlich vollzieht sich der Abbau von »wettbewerbsverzerrenden Schutzzöllen und Subventionen«, den Alca vorsieht, bislang eher einseitig. Die USA behalten ihre Agrarsubvenionen bei, während die Partnerländer unter Druck gesetzt werden, ihre Schutzzölle abzubauen.

Deshalb verweigern sich dem Alca-Projekt besonders die größeren südamerikanischen Länder, deren Ökonomien auf den Export von Agrarprodukten angewiesen sind. Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay haben ohnehin ihren eigenen gemeinsamen Markt, den Mercosur. Um einen Gegenpol zu den US-amerikanischen Plänen für Alca zu schaffen, verhandelte der Mercosur über eine »strategische Partnerschaft« mit der EU. Die war an einer solchen Assoziation auch sehr interessiert, da sie befürchtet, durch die Pläne der USA in Zukunft von einem ihrer wichtigsten Absatzmärkte verdrängt zu werden. Doch seit über einem Jahr stagnieren die Verhandlungen zwischen EU und Mercosur genauso wie die Verhandlungen über Alca. Der Grund ist der gleiche. Die EU behält sich weiterhin Subventionen im Agrarsektor vor.

»Es besteht Einigkeit darüber, dass die Landwirtschaft der Motor der Runde von Doha sein muss«, sagte Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva Anfang des Monats im Hinblick auf die WTO-Ministerkonferenz in Hongkong im Dezember, bei der die vor vier Jahren in der Hauptstadt Katars beschlossenen Verhandlungen über den Freihandel fortgesetzt werden sollen. Lula beriet sich nach dem Ende des Amerika-Gipfels mit Präsident George W. Bush in der brasilianischen Hauptstadt. Beide waren sich einig, dass vor allem die EU nun die Agrarsubventionen zu kürzen habe.

Dagegen hat auch prinzipiell Tony Blair, der derzeitige EU-Präsident, nichts. »Die USA und die EU müssen ihre Agrarsubventionen deutlich senken«, forderte er bei seiner jährlichen Rede zur Außenpolitik auf dem Bankett des Londener Bürgermeisters am Dienstag vergangener Woche. »Im Austausch müssen Länder wie Brasilien und Indien ihre Schutzzölle auf Industriegüter und Dienstleistungen senken.«

Gerade der Abbau von Schutzzöllen für Industriewaren und Dienstleistungen ist aber der Grund, weshalb sich durch Freihandelsabkommen bestehende Asymmetrien verstärken, meint Hugo Chávez. Da ist Präsident Lula nicht gänzlich anderer Meinung. Und so nimmt Brasilien als größte Wirtschaftsmacht in Südamerika eine Mittlerfunktion zwischen den USA und Venezuela ein. Obwohl die wirtschaftlichen Beziehungen dies eigentlich nicht hergeben, tritt Venezuela im Dezember in den Mercosur ein. Das passt zu den strategischen Plänen Lulas, aus Brasilien einen »Global Player« zu machen. Schließlich fordert Brasilien einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.