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Diskussion über den Universalismus von udo wolter

Liest man die Kommentare der deutschsprachigen Zeitungen über die Unruhen in den französischen Banlieues, so kann man sich des Eindrucks einer gewissen Häme über das vermeintliche Scheitern der »Integration« in Frankreich kaum erwehren. Die universalistischen Versprechen der gerne so genannten »Grande Nation« seien in den überwiegend von Migranten bewohnten Banlieues in einer »Intifada der Vorstädte« zusammen mit Fabriken, Kindergärten, Bussen und Tausenden von Autos buchstäblich verbrannt.

Dabei geraten die Kontrastierung des republikanischen Integrationsanspruchs mit der offen zutage liegenden Realität sozialen Ausschlusses und die Beschwörung eines Kulturkampfs islamisierter Milieus oft auf bedenkliche Weise durcheinander. Wenig hilfreich erscheint es, wenn die innerstädtischen Gewaltausbrüche in Frankreich mit den Anschlägen von London und Madrid sowie dem Mord an Theo van Gogh zusammengebracht werden und unter Titeln wie »Intifada in Eurabia« mal wieder beschworen wird, dass »der Traum eines friedlichen Multikulti-Miteinanders zerplatzt« sei, wie das Spiegel-online tut.

Noch fataler aber wird es, wenn mit dem »säkularen, farbenblinden Modell der Assimilation« in Frankreich gleichsam den universellen Gedanken der Aufklärung der Prozess gemacht wird und verächtlich vom »frommen Glauben der Aufklärung« gesprochen wird, »dass sich Menschen von allen kulturellen und religiösen Determiniertheiten zu rationalen Subjekten ›reinigen‹ lassen – notfalls eben auch mit dem ›Kärcher‹«. (Die Presse aus Wien).

Das Ausbleiben vergleichbarer Krawalle in Großbritannien oder Deutschland erscheint so als Resultat der dort gepflegten Politik des Multikulturalismus. Dabei wird nicht nur ignoriert, dass diese Politik etwa in Großbritannien dazu geführt hat, dass aus den islamisierten Milieus die bis auf wenige Ausnahmen bestens integrierten Suizidbomber von London rekrutiert wurden. Auch in den so genannten Problemvierteln britischer Städte trägt die Rebellion irrationale und selbstzerstörerische Züge, und die Gewalt entzündet sich aus ethnischen und religiösen Gründen. In Birmingham genügte vor kurzem das bloße Gerücht über die angebliche Vergewaltigung einer 14jährigen mit karibischem Hintergrund durch muslimische, asiatischstämmige Briten, um tagelange schwere Unruhen zwischen Jugendlichen aus beiden Communities auszulösen.

Fast schon auf verräterische Weise kurios wirkt es, wenn in Deutschland nun die aus dem blutstrechtlich-restriktiven Staatsbürgerschaftsrecht und multikulturalistischer Ignoranz erwachsenen und sonst viel gescholtenen »Parallelgesellschaften« plötzlich für ihre integrative Kraft gelobt und als noch funktionierende Versicherung gegen französische Zustände gefeiert werden. Diese Zustände werden wiederum auch als Ausdruck einer spezifischen Integration als Staatsbürger im französischen Mutterland der Revolten und Revolutionen interpretiert. Machen die Jugendlichen nicht das gleiche wie Bauern und Winzer, die bei Protesten regelmäßig Lebensmittelimporte auf die Straßen kippen, oder streikende Gewerkschafter, die schon mal ihre Chefs festsetzen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen?

Doch gerade wenn die Krawalle ebenso Ausdruck einer weitergehenden gesellschaftlichen Krise wie Folge eines immer noch nachwirkenden kolonialen Ausschlusses sind, kann die Antwort nicht in der Denunziation des Universalismus liegen. Auf der staatsbürgerlichen Ebene kann es nur um die Forderung nach Verwirklichung der universell begründeten staatsbürgerlichen Rechte und Möglichkeiten auch für Leute mit einer Adresse in den Banlieues gehen.