Wir wissen, wer wir sind

In Großbritannien macht sich Unmut über die Entscheidung der Regierung breit, Personalausweise einzuführen. Das Oberhaus könnte die Einführung aufhalten. von fabian frenzel, sheffield

Personalausweis und Meldepflicht sind für die allermeisten Deutschen nicht hinterfragte Selbstverständlichkeiten. Von der Wahlurne bis zur lokalen Videothek wird die Identität über den »Perso« verifiziert. Ganz anders ist die Situation in Großbritannien. Dort gibt es keinen Personalausweis und keine Meldepflicht.

Eine Personalienfeststellung durch die Polizei ohne Festnahme ist beispielsweise sinnlos, denn die Bobbies haben keine Möglichkeit, die Angaben zu überprüfen. Staatliche Dienstleistungen, wie die kostenlose medizinische Versorgung durch den National Health Service sind faktisch nicht an einen legalen Aufenthaltsstatus in Großbritannien gebunden, die Angabe einer Wohnadresse reicht für die Anmeldung beim Arzt aus. Und Banken oder Versicherungsgesellschaften akzeptieren im Regelfall die Angabe einer Wohnadresse, bestätigt durch einen Brief des Arbeitgebers oder einer Regierungsbehörde als Identitätsnachweis. Für viele Briten ist das Fehlen einer einheitlichen Identitätskontrolle integraler Bestandteil der liberalen Tradition des Landes. Die britische Regierung allerdings ist da anderer Meinung.

Es ist genau vier Jahre her, dass der damalige Innenminister David Blunket als eine Reaktion auf die Terroranschläge in New York die Einführung von Personalausweisen, ID-Cards, vorschlug. Begleitet von einer weitgehend kritischen öffentlichen Diskussion, hat die Regierung einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der Ende Oktober in dritter Lesung und mit knapper Mehrheit vom Unterhaus, dem britischen Parlament, gebilligt wurde. Die ID-Cards können nun nur noch vom House of Lords, dem nicht demokratisch gewählten Oberhaus der britischen Legislative, aufgehalten werden. Dies ist nicht unwahrscheinlich, scheinen doch die Aussagen der Regierung über den Nutzen und die Kosten der Plastikkarte mehr als fragwürdig. Und anders als im Parlament verfügt Labour im Oberhaus über keine Mehrheit. Seit vergangener Woche beraten die Lords das Gesetz.

Personalausweise gab es in Großbritanniens Geschichte nur während der beiden Weltkriege; begründet wurde die Einführung in beiden Fällen mit der nationalen Sicherheit. Und auch im Diskurs der vergangenen Jahre kreisten die Argumente zunächst hauptsächlich um Sicherheitsfragen, insbesondere um die Gefahren des internationalen Terrorismus. Innenminister Blunket und sein Nachfolger Charles Clarke argumentierten beispielsweise mit den Ermittlungserfolgen der spanischen Polizei nach den Anschlägen von Madrid, die sie auf die spanischen Personalausweise zurückführten. Seit den Terroranschlägen im Juli in London scheint dieses Argument jedoch fragwürdig. Die Gegner des Personalausweises erklären, die Täter seien schließlich britische Staatsbürger gewesen und Selbstmordanschläge ließen sich auch durch ID-Cards nicht verhindern.

Seit diesem Sommer hat sich die Regierung bemüht, eher die praktischen Vorteile des Personalausweises für die Bürger hervorzuheben. Die Regierung sei etwas zu enthusiastisch gewesen, als sie die Ausweise als Patentlösung für die Terrorgefahr, illegale Immigration, Sozialhilfebetrug und den Gesundheitstourismus bezeichnet habe, gab der zuständige Staatssekretär im Innenministerium, Tony McNulty, im August zu. Der Ausweis sei ein »Gold Standard« der Identitätsfeststellung und werde dem Bürger den Umgang mit staatlichen Behörden und privaten Institutionen wie Banken und Versicherungen erleichtern und sicherer gestalten.

Die Metapher vom »Goldstandard« hat dabei für viele der Kritiker den Charakter eines schlechten Scherzes. Denn unklar sind nicht zuletzt die Kosten des neuen Systems. Eine Studie der renommierten London School of Economics kam zu dem Ergebnis, dass die Einführung der ID-Cards dreimal so teuer werden könnte, wie die Regierung behauptet. Pass und Ausweis würden den Bürger dann statt der von der Regierung geschätzten 130 Euro bis 450 Euro kosten.

Die Regierung weist diese Zahlen zurück, doch auch sie hat bereist mehrere Male die Kostenkalkulation nach oben verschoben und keine abschließende Schätzung der Gesamtkosten vorgelegt. Verantwortlich dafür sind technische Schwierigkeiten mit neuen biometrischen Daten wie dem Iris-Scan und Fingerabdrücken, die auf der Karte gespeichert werden sollen.

Kontrovers diskutiert wird derzeit vor allem die nationale Datenbank, das Melderegister, in dem die Daten der Briten gespeichert werden sollen. Anders als beispielsweise in Deutschland wären im britischen Modell neben den Informationen auf der Karte 51 weitere persönliche Daten im Register gespeichert. Diese Zentralisierung der Daten wird von der Regierung als Neuerung und Vereinfachung gefeiert, Datenschützern dagegen ist sie ein Graus. Neben dem potenziellen Missbrauch durch Hacker und einzelne Regierungsmitarbeiter befürchten sie den »gläsernen Bürger«, dessen Lebensschritte, Adress- und Namenswechsel, Berufstätigkeiten und Auslandsaufenthalte, aber auch die Eröffnung von Bankkonten in der neuen Datenbank verzeichnet sein werden. Um das Gesetz durch die dritte Lesung im Parlament zu bringen, hatte die Regierung zuletzt akzeptiert, dass eine Verbindung des nationalen Polizeicomputers (PNC) mit der neuen Datenbank im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen wird. Der PNC erfasst seit 1974 sämtliche Straftäter Großbritanniens, aber auch die KFZ-Registrierungs- und Führerscheindaten.

Nach der denkbar knappen Mehrheit von 25 Stimmen in der dritten Lesung erwarten viele Beobachter, dass die Lords das Gesetz erheblich überarbeiten werden. »Wir arbeiten derzeit daran, dass das Gesetz von den Lords so verändert wird, dass die Bürger selber entscheiden können, ob sie eine ID-Card wollen oder nicht. Wenn die Regierung behauptet, dass das neue System nur vorteilhaft für die Menschen ist, warum akzeptieren sie dann nicht eine freiwillige Teilnahme«, erklärt Phil Booth, Sprecher der Kampagne No-ID, der Jungle World.

Nach dem jetzigen Plan werden ab 2007 zunächst alle Briten, die einen neuen Reisepass beantragen, in der nationalen Datenbank registriert und neben dem Pass den neuen Ausweis erhalten. Labour hat im Wahlprogramm noch von einer freiwilligen Einführung der Karte gesprochen, nach der vorliegenden Fassung müssten diejenigen, die sich nicht melden wollen, auf Auslandsreisen verzichten, sobald ihr Reisepass abläuft.

Falls das Gesetz in dieser Form auch vom Oberhaus akzeptiert wird, planen die Gegner juristische Schritte. »Über 12 000 Menschen haben bereits schriftlich erklärt, dass sie die Aufnahme ihrer Daten verweigern werden. Und die Zahl der Verweigerer wächst täglich«, erklärt Booth.