Der Feind recherchiert

Kein Wunder, dass der Bundesnachrichtendienst Journalisten bespitzelt: Investigative Recherchen stellen seine Macht in Frage. von jörg kronauer

Vorhang auf. Szene: Weilheim, Oberbayern, kalte Winternacht. Das dritte Jahr der rot-grünen Regierung hat begonnen. Geheimagent Nummer eins tritt auf, grauer Mantel, Oberkörper nach vorne gebeugt, Schlapphut tief im Gesicht. Verstohlen blickt er um sich. Der Wind pfeift durch die Straßen, das Städtchen schläft. Geheimagent Nummer eins, durchtrainiert und mit allen Wassern gewaschen, handelt routiniert: Schnell und unauffällig sammelt er das Altpapier des Forschungsinstituts für Friedenspolitik vom Boden auf. Geheimagent Nummer eins tritt mitsamt dem Papiermüll nach rechts ab. Stille. Vorhang zu.

Gäbe es einen Preis für die schlechteste Realsatire des Jahres, dann stünde er zweifellos dem Bundesnachrichtendienst (BND) zu. Wie in der vergangenen Woche bekannt wurde, ließ der deutsche Auslandsgeheimdienst bis vor zwei Jahren im vierwöchentlichen Rhythmus Altpapier aufklauben, das im Forschungsinstitut des Weilheimer Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom anfiel. Mit der Auswertung der Materialien setzte der BND die Überwachung des Publizisten fort, die er 1993 mit einer zweieinhalbjährigen Kameraobservation eingeleitet hatte. Mit dem Bespitzelungsskandal soll sich in dieser Woche der Bundestag befassen.

Nach und nach wird das Ausmaß erkennbar, in dem sich der BND – nach dem Gesetz ja eigentlich fürs Ausland zuständig – der Beschattung von Journalisten im Inland gewidmet hat. Der Spiegel und der Focus gerieten ins Visier der Schnüffler, auch ein »Monitor«-Redakteur wurde überwacht. Allein im Jahr 1994 dürften zwischen 50 und 60 Journalisten nur deswegen ausgeforscht worden sein, weil sie zu Informationsgesprächen das Weilheimer Forschungsinstitut für Friedenspolitik aufgesucht hatten, vermutet Schmidt-Eenboom, der Vorsitzende des Instituts. »Operative Verirrungen« nennt der Präsident des BND, August Hanning, den skandalösen Vorgang: Die Operationen seien wohl rechtswidrig gewesen – aber nur wegen ihrer Intensität und wegen ihrer Dauer.

Die intensive Aufmerksamkeit, die der BND Journalisten zuteil werden ließ, hat einen einfachen Grund: Kritische Recherchen sind die einzige bedeutende Gefahr für den Dienst, der ansonsten im Geheimen schalten und walten kann, wie er will. »Wenn Sie in die Geschichte dieser Republik schauen, dann sind ja alle großen Vergehen der Nachrichtendienste nicht etwa durch die parlamentarische Kontrolle aufgedeckt worden, sondern durch investigativen Journalismus«, sagte Schmidt-Eenboom kürzlich im Norddeutschen Rundfunk. Der investigative Journalismus ist in Deutschland nicht allzu sehr verbreitet, schreckt den BND allerdings manchmal doch bei seiner sonst so ungestörten Tätigkeit auf. Wie die jetzt bekannt gewordenen Observationen zeigen, reagiert der Dienst dann recht prompt.

In den vergangenen Jahren ist die Bedeutung des Auslandsgeheimdienstes durchaus gestiegen. Die »weltpolitischen Umwälzungen und Veränderungen«, sprich: der enorme Machtzuwachs Deutschlands seit 1989 erforderten ein verändertes »Auftragsprofil« des BND, hatte Bundeskanzler Schröder im Dezember 1998 verkündet: Der in Pullach bei München ansässige Dienst müsse ein »effizientes und flexibles Dienstleistungsunternehmen für die Bundesregierung« werden. Im Dezember 2001 waren Fortschritte zu verzeichnen. Während in Weilheim Geheimagent Nummer eins zu Beginn des vierten rot-grünen Regierungsjahres bereits sehr routiniert Papiermüll aufsammelte, feierte sein oberster Dienstherr in Berlin die Einweihung der neuen BND-Außenstelle.

Vieles habe sich für den Auslandsgeheimdienst geändert, lautete damals die allgemeine Einschätzung. Im Auswärtigen Amt gingen »die vom BND ganz normal ein und aus«, ließ sich die Berliner Zeitung von Insidern berichten. Der Dienst sei »operativer geworden«. Die Zeit schrieb gar von einer »Renaissance des BND«: Ins Werk gesetzt habe sie der heutige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) als Chef des Bundeskanzleramts und Regierungsbeauftragter für die Nachrichtendienste. Er lobte bei der Einweihung der Berliner Außenstelle, Rot-Grün habe es geschafft, die »sicherheitspolitischen Aktivitäten der Bundesregierung mit dem Wissen des Dienstes zu verzahnen«. Eine »Sicherheits-Community« bilde sich heraus, stellte er zufrieden fest.

Die Entwicklung zu einer noch stärkeren Einbindung des BND in die deutsche Außenpolitik schreitet voran. »Berlin wird wieder zur Stadt der Spione«, schrieb die Berliner Zeitung bereits Ende 2001. Die Abteilung 3 des Dienstes, in der die Auswertung der gesammelten Daten erfolgt, ist inzwischen nach Berlin umgezogen; sie bildet, so heißt es in einer Selbstdarstellung, »den Start- und Endpunkt der gesamten nachrichtendienstlichen Arbeitskette im Bundesnachrichtendienst«. Parallel zur Verlagerung in die Hauptstadt erhält der BND neue Befugnisse. So wird er die Aufklärung für die Auslandseinsätze der Bundeswehr übernehmen. 270 neue Stellen erhält er dafür, zusätzlich werden Mitarbeiter des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr zu ihm wechseln. Denn die Einsätze der deutschen Armee auf inzwischen drei Kontinenten erfordern eine optimale Koordination der Begleitmaßnahmen.

Dabei gibt der allerjüngste BND-Skandal Anlass zu unangenehmen Spekulationen. Wie der Spiegel berichtete, sollen Beamte des BND, des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamts im November 2002 nach Syrien geflogen sein, um dort einen deutschen Staatsbürger zu vernehmen. Dabei handelte es sich um den Islamisten Mohammed Haydar Zammar, der im Oktober 2001 in Marokko festgenommen und von dort verschleppt worden war (siehe auch »Ufos über Europa« auf Seite 12). Offiziell gilt er nach wie vor als »verschwunden«. Dem BND gelang es offenbar – tüchtig, wie er nun mal ist –, Zammar in einem Foltergefängnis des syrischen Militärgeheimdienstes ausfindig zu machen. Dort verhörten ihn die angereisten deutschen Beamten drei Tage lang.

Menschenrechtsorganisationen sind empört. »Wenn der Bericht des Spiegel zutrifft, haben deutsche Beamte in einem Land, das für Folter bei Verhören bekannt ist, einen deutschen Häftling verhört, ohne sich für ein rechtsstaatliches Verfahren einzusetzen«, sagt Ruth Jüttner, die Nahost-Referentin der deutschen Sektion von Amnesty International (AI). AI liegen Berichte vor, die darauf hindeuten, dass Zammar tatsächlich gefoltert worden ist. »Die deutschen Behörden haben sich der unterlassenen Hilfeleistung, wenn nicht der Komplizenschaft mit den syrischen Behörden schuldig gemacht, die für das ›Verschwindenlassen‹ und die unmenschliche Behandlung Zammars verantwortlich sind«, wirft Jüttner unter anderem dem BND vor.

Skandale wie dieser verlangen eine umfassende investigative Recherche. Sie müsste sich etwa mit der Rolle beschäftigen, die der damalige Regierungsbeauftragte für die Nachrichtendienste und heutige Außenminister Steinmeier in der Syrien-Affäre spielte. Dass der Macht akkumulierende BND auf derlei Recherchen mit neuen Observationen von Journalisten reagieren könnte, halten manche für möglich. Geheimagent Nummer eins ist aus Weilheim abberufen worden. Wo er derzeit im Einsatz ist, ist unbekannt.