Denn es siegt die Freundschaft

Auf dem Parteitag der Berliner Linkspartei wurde kräftig für die Fusion mit der Wahlalternative geworben. Nur die Berliner Wasg sträubt sich noch. von markus ströhlein

Ich habe keine Lust mehr, mit euch zu reden!« »Hast du keine Lust, die Kräfte zu bündeln?« »Ach, wenn denn einer wirklich die Kräfte bündeln wollen würde!« Ein Mitglied der Linkspartei und eines der Wasg streiten sich. Wer zu welcher Partei gehört, ist nicht ersichtlich.

Bei einem Gespräch, das wenige Meter entfernt stattfindet, ist es einfacher. Stefan Liebich, der scheidende Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei und Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, diskutiert mit einem Vertreter der Wasg, den man daran erkennt, dass er den Parteischriftzug auf einem orangefarbenen T-Shirt trägt. Viele Leute laufen mit diesen Leibchen herum, und fast sieht es so aus, als hätte die städtische Müllabfuhr am vergangenen Samstag eine Delegation zum Landesparteitag der Linkspartei geschickt.

Liebich und der Mann von der Wasg streiten über die Politik des rot-roten Senats, zum Beispiel über den Umgang mit dem Berliner Universitätsklinikum Charité. Der Herr im orangefarbenen T-Shirt ist empört über die Forderungen des Senats nach Lohnkürzungen und Stellenabbau. Aber Liebich bleibt locker: »Wir werden sehen, dass unser Weg der richtige ist. Denn durch unsere Politik wird die Charité in öffentlicher Hand bleiben.«

Damit ist die Diskussion beendet, Liebich muss ans Rednerpult. Auf dem Parteitag gibt er seinen Posten als Landesvorsitzender ab, weil er sich auf seine Arbeit als Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus konzentrieren will. Da bietet sich die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Liebich nutzt sie, um eine beinahe epochale Erfolgsgeschichte zu erzählen. Einen großartigen Bundestagswahlkampf habe man geführt. Allein vier Abgeordnete der Linkspartei aus Berlin säßen in einer linken Fraktion von nie da gewesener Größe im Bundestag. Bei der Regierungsbeteiligung in Berlin seien zwar Fehler nicht ausgeblieben. Aber man sei ein »anerkannter, seriöser Regierungspartner« geworden und habe dafür gesorgt, dass es in Berlin sozialer zugehe als in manch anderen Städten.

Seine Parteigenossen beklatschen Liebich, während die Mitglieder der Wasg keine Miene verziehen. Das ablehnende Verhalten ihres Landesverbands in der Frage der Fusion ist an diesem Tag das bestimmende Thema, und Liebich geht ausgiebig darauf ein. Man wolle die Kooperation und die Fusion. Man wolle gemeinsam zu den Wahlen für das Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2006 antreten. »Aber einfach nein zu sagen, ist kein Konzept!« Opposition statt Regierung sei keine Option für ihn. Es gehe darum, die Chance zur »Mitgestaltung« zu nutzen. Am Ende der Rede sprudelt es geradezu aus ihm heraus: »Ja, ich will auch regieren!«

Anschließend tritt Klaus Lederer, Liebichs Nachfolger als Landesvorsitzender, ans Pult. »Stefan hat recht«, beginnt er seine Rede. Seine Partei wolle das Projekt einer bundesweiten Linkspartei voranbringen. Sein Landesverband habe den Willen zur Einigung gezeigt, indem er die Kandidaten für die Berliner Wahlen im Jahr 2006 erst im Mai aufstellen werde. Das eröffne einen großen Spielraum, so dass man sich mit der Wasg auf gemeinsame Inhalte und Ziele und auf eine gemeinsame Kandidatenliste einigen könne. Da in der Berliner Wasg jedoch nichts auf einen Meinungswandel hindeute, werde die Linkspartei zumindest »die Option für eine rot-rote Regierung erneuern«.

In der vergangenen Woche bezeichnete Bodo Ramelow, der »Fusionsbeauftragte« der Linkspartei, die Berliner Wasg noch als »Streithammel«. Ulrich Maurer, der Fraktionsgeschäftsführer der Linkspartei im Bundestag und ehemalige SPD-Politiker, sprach von »sektiererischen Strukturen« und den »Verschwörungskünsten der geübten Parteizerleger«.

Vorangegangen war der Landesparteitag der Berliner Wasg am letzten Novemberwochenende. Dort lehnte der Landesverband das Kooperationsabkommen III zwischen der Linkspartei und der Wasg ab. Es sieht die Vereinigung zu einer gemeinsamen Partei auf Bundesebene bis Ende Juni 2007 vor. Zudem beschloss die Berliner Wasg, bereits im Februar 2006 eine Urabstimmung darüber durchzuführen, ob sie zu den Wahlen in Berlin im September 2006 allein antreten solle. Eine Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder scheint derzeit sicher.

Der fusionswillige und der Linkspartei freundlich gesonnene Landesvorstand plädierte für eine Urabstimmung Ende März, nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, um mit der möglichen Ablehnung eines gemeinsamen Antritts in Berlin nicht die Stimmung für das Linksbündnis in den anderen Ländern zu trüben. Diesen Vorstand ersetzte die Wasg auf ihrem Parteitag durch Personen, die Befürworter des eigenständigen Antritts der Wasg sind.

Sonderlich erstaunlich ist diese Entwicklung nicht. Schließlich hat sich die Wasg in Berlin einst aus Protest gegen die Politik des rot-roten Senats gegründet. Der Berliner Landesverband stört noch immer den Fusionsprozess. Klaus Ernst, der Vorsitzende der Wasg, äußerte zwar sein Verständnis für die Kritik an der Berliner Links­partei. Aber um das Projekt einer gemeinsamen linken Partei nicht zu gefährden, müsse man nun die Zusammenarbeit stabilisieren. Sei das nicht möglich, müsse der Bundesvorstand eingreifen.

Während die Führung der Wasg mit Sanktionen droht, wie etwa dem Landesverband bei einem Alleingang den Gebrauch des Namen »Wasg« zu untersagen, gibt es in der Linkspartei subtilere Überlegungen. So soll auf ihrem Bundesparteitag am nächsten Wochenende die Doppelmitgliedschaft vorübergehend wieder erlaubt werden. Dann könnten Mitglieder der Linkspartei in die Wasg eintreten und die Mehrheitsverhältnisse zu ihren Gunsten beeinflussen. Stefan Liebich kommentiert diese Pläne so: »Niemand plant freundliche oder feindliche Übernahmen. Wir können aber auch niemanden daran hindern, die Doppelmitgliedschaft wahrzunehmen.«

Doch dieser Trick dürfte nicht einmal nötig sein. Denn der Druck der eigenen Partei auf die Berliner Wasg ist groß genug. Als der Gastredner Oskar Lafontaine ans Pult tritt, klatschen die Leute von der Wasg noch eifrig. Aber als er spricht, müssen sie einsehen, dass er heute nicht ihr Verbündeter ist. Die rot-rote Koalition in Berlin sei richtig gewesen, da sie die große Koalition beendet habe, sagt Lafontaine. Man müsse »in schwierigen Zeiten Verantwortung übernehmen«, meint er. »Leuten, die auf keinen Fall zusammenarbeiten wollen, muss man sagen, dass sie als Minderheit keine Mehrheit dominieren dürfen.« Die Leute von der Wasg müssen schwer schlucken, die Mitglieder der Linkspartei klatschen begeistert.

Dann aber wird auch gemeinsam gejubelt. Als Lafontaine davon spricht, dass eine starke Linke im Bundestag benötigt werde, um Deutschland entschieden »gegen die völkerrechtswid­rigen Kriege der USA« in Stellung zu bringen, gibt es Applaus von allen Seiten. Als er gegen die »Reichen« agitiert, die sich beim »Volk« bedienten und dessen Wohl schadeten, werden alle ­euphorisch.

So gilt am Ende doch, was ein Vertreter der Linkspartei aus Charlottenburg-Wilmersdorf schon vorher vermutet hat: »Liebe Genossinnen und Genossen, die Freundschaft siegt!« Und der Preis der Freundschaft ist der Sozial­abbau in Berlin, der weitergeht.