Kulisse von morgen

Leipzig plant die Wiederbelebung des Stadtteils Plagwitz. Ein linkes Kulturzentrum passt nicht in das Konzept der Stadt. von andreas blechschmidt

Mit den Nutzern des Gebäudes Gieszerstraße 16 müsste die Stadt Leipzig eigentlich rundum zufrieden sein. Das alternative Wohn- und Kulturprojekt trägt nicht nur dazu bei, den Bezirk Plagwitz zu beleben, der wegen seiner Altbaustruktur zu den zukünftigen Szenevierteln Leipzigs gerechnet wird. Es ist auch gleichzeitig Mieter und potenzieller Käufer des Hauses.

Wer kauft, bleibt, scheint eine Devise der Stadt zu sein, die potenzielle Immobilienbesitzer so beliebt macht. Denn Leipzig schrumpft. Dieses Schicksal teilt die sächsische Metropole mit vielen anderen ostdeutschen Kommunen – so vielen, dass sich Stadtentwickler seit einiger Zeit mit den so genannten shrinking cities und Fragen der Wiederbelebung urbaner Räume beschäftigen müssen.

Seit dem Jahr 1989 haben über 100 000 Menschen Leipzig den Rücken gekehrt und entsprechend viel leer stehenden Wohn- und Gewerberaum hinterlassen. Die Stadt Leipzig erklärte bereits, dass es zu »erheblichen Überkapazitäten und Leerständen sowie dem verstärkten Wettbewerb um Mieter und Käufer« komme. Ein Leerstand im Umfang von etwa 78 000 Wohneinheiten ist derzeit für das Jahr 2010 prognostiziert. Schon jetzt sieht der Stadtentwicklungsplan einen »stadtstrukturell verträglichen Abriss« von 20 000 Wohneinheiten vor. Gleichzeitig sollen, von der Stadt gefördert, etwa 10 000 Mietwohnungen innerhalb der nächsten fünf Jahre in Eigentum umgewandelt werden.

Unwahrscheinlich, dass die Mieter dieser Wohnungen alle in der Lage sein werden, ihre eigenen Wohnungen zu kaufen. Wer nicht über genügend Kapital verfügt, könnte möglicherweise auf jenen »Leerstand in qualitativ schlechten Altbaubeständen« verwiesen werden, in denen sich schon jetzt nach einer Mitteilung der Leipziger Planungsbehörde »eine Konzentration sozial Benachteiligter, die sich selbst auf einem ›entspannten‹ Wohnungsmarkt keine entsprechende Wohnung leisten können (oder wollen)«, zeige.

Obwohl die Nutzer der Gieszerstraße 16 der Stadt Leipzig mitgeteilt haben, dass sie das Projekt durch einen Mietkauf langfristig sichern wollen, scheint in ihrem Fall der »Wettbewerb um Mieter und Käufer« zum Erliegen gekommen zu sein. Stattdessen duldet die Stadt seit dem Jahr 2000 einen vertragslosen Zustand.

Hervorgegangen ist das Projekt auf dem bis dahin brach liegenden Fabrikgelände, das sich selbst als »kulturelles Zentrum zur Förderung emanzipatorischer Gesellschaftskritik und Lebensart« bezeichnet, im Frühjahr 1999 aus einer Reihe von Hausbesetzungen. Eine Ende der neunziger Jahre ausgerufene »Leipziger Linie« sorgte dafür, dass kein Haus länger als 24 Stunden besetzt blieb. Nach Protesten und einem mehrwöchigen öffentlichkeitswirksamen Zeltlager in der Innenstadt wollten die Verantwortlichen der Stadt die Situation befrieden und stellten das leer stehende Fabrikgelände zur Verfügung.

Viele Hausbesetzer sind inzwischen der Meinung, die Stadt könnte bei der Entscheidung den Hintergedanken gehabt haben, die Energie der linken Hausbesetzer verschleißen zu wollen. Denn die Substanz des Gebäudes ist derart angegriffen, dass ein enormer Aufwand an Bau- und Sanierungsarbeiten erforderlich ist. 13 Menschen wohnen zurzeit darin. Darüber hinaus organisiert ein Kreis von 30 Personen Veranstaltungen in den über 2 000 Quadratmeter großen Räumlichkeiten. Das Spektrum reicht von Hardcore-Konzerten über Technopartys bis zu Filmvorführungen und Lesungen.

»Wir wollen hier ein Ort nicht kommerzieller Kultur sein, hier sollen Sachen laufen, die wir selbst spannend finden, wir sind hier aber kein Dienstleistungsunternehmen«, beschreibt Birgit von der Veranstaltungsgruppe das kulturpolitische Selbstverständnis der »Gieszerstraße«. Die Eintrittspreise bei den Veranstaltungen sollen lediglich die Unkosten decken. Auf die Frage nach dem gemeinsamen politischen Selbstverständnis folgt eine Antwort, die, komplett notiert, einen sehr langen Satz ergeben würde, in dem Worte wie »antikapitalistisch, antisexistisch, antifaschistisch und antirassistisch« vorkämen. Das selbst organisierte Leben in der »Gieszerstraße« unterscheidet sich also nicht sonderlich von alternativen Wohnwelten in Hamburg, Berlin oder Frankfurt.

Das gilt auch für die Frage der langfristigen Perspektive des Projekts. Vor fünf Jahren hatte die Stadt im Rahmen eines Runden Tisches ein Finanzierungs- und Nutzungskonzept gefordert. »Als wir unsere Vorstellungen präsentierten, waren die von der Stadt sehr angetan. Doch dann haben einige Behördenvertreter kalte Füße bekommen und plötzlich war Funkstille«, erzählt Jörg.

Den Nutzern der »Gieszerstraße« drängt sich mittlerweile der Verdacht auf, dass ihr Beitrag zur Wiederbelebung des Stadtteils Plagwitz nicht erwünscht ist. Nach den Plänen der Stadt soll offenbar eine Kulisse für jene geschaffen werden, die erst noch kommen sollen, nicht für jene, die derzeit im Quartier wohnen. »Wir wollen auch in zehn Jahren noch hier sein und von der Stadt nicht länger hingehalten werden. Wir wollen wissen, wie es weitergeht«, sagt Birgit.

Deswegen wollen die Nutzer das Haus nun kaufen. Zu diesem Zweck wurde der »Verein für Stadtteilförderung, Wohnen und Kultur« gegründet. Das zuständige Liegenschaftsamt entwickelte gegenüber dem Projekt ein Verhalten zwischen behördlicher Strenge und Zuneigung, wie sie nur bei langjähriger Verantwortung für eine liegenschaftsamtliche Sachakte entstehen kann. Zumindest hat sich der geforderte Kaufpreis auf die Hälfte des ausgeschriebenen Grundstückswerts eingependelt. »Die Behörde nimmt uns aber derzeit nicht als ernsthaften Vertragspartner wahr«, meint Jörg, obwohl eine fünfstellige Summe zur Anzahlung bereit liege. Die im Stadtrat vertretenen Parteien geben sich sprachlos. So ist etwa Oliver Schindler, Assistent der SPD-Rats­fraktion, auch nach der Befragung dreier Stadträte nicht in der Lage, eine Stellungnahme zu dem Kulturzentrum abzugeben.

»Man fühlt seine Interessen hier von der Politik nicht vertreten und dann sollen die so genannten Volksvertreter über uns Entscheidungen treffen«, fasst Birgit die Stimmung in der »Gieszerstraße« zusammen. Dass die etablierte Politik allerdings noch nie eine Sachverwalterin legitimer linker Interessen war, stellt auf Nachfrage der zuständige Abteilungsleiter des Leipziger Liegenschaftsamtes, Ralph Rinner, klar. »Wir wollen das in eine greifbarere Form bringen, das muss sich professionalisieren in dem Projekt«, erläutert er die Vorstellung der ganz anderen Art der Stadt Leipzig. Langfristig solle das Projekt Gieszerstraße 16 »zu einem Jobmotor« im Quartier werden. Denn, so teilt Rinner mit: »Alternative müssen Alternativen bieten.«