War on Christmas

Städte und Gemeinden in Großbritannien bemühen sich, religiöse Vielfalt auch in der Weihnachtszeit auszustrahlen. Fundamentalisten fürchten deswegen um das christliche Erbe. von fabian frenzel, sheffield

Merry Christmas Sheffield«. Über dem Eingang der Fußgängerzone der nordenglischen Stadt hängt eine große blinkende Lichterkette mit dem Schriftzug. Das ist nicht überraschend, schließlich ist Vorweihnachtszeit, und es wird früh dunkel – Lichterketten machen was her, wenn die Menschen ihre Weihnachtseinkäufe erledigen. Gleich unter dem christlichen Gruß leuchtet eine Menorah. Darunter steht »Happy Chanukka«, die Stadt gratuliert ebenfalls zum jüdischen Kerzenfest.

Vor einem Jahr fiel das Ende des Ramadans in die Vorweihnachtszeit, so dass auch »Happy Eid«, der Gruß zum Fastenbrechen, in das Lichtspiel integriert war. Eigentlich selbstverständlich, dass verschiedene religiöse Feiertage beglückwünscht werden, schließlich zahlt der Stadtrat für die Lichter. Und der Stadtrat ist eine säkulare Institution, steht also über den religiösen Überzeugungen seiner Bürger. Wenn schon religiöse Grüße ausgesprochen werden, dann wenigstens gleichberechtigt für alle Religionen.

So selbstverständlich finden indes nicht alle in Großbritannien die Neutralität des Staats. »Ist Havant die traurigste Stadt Englands?« fragte die Tageszeitung Daily Mail ihre Leser Mitte November. In der Kleinstadt im Süden Englands – so die Botschaft des Artikels – sei die Weihnachtsbeleuchtung abgeschafft worden, mit Rücksicht auf nicht-christliche Bewohner. Für die Daily Mail ist das ein klarer Fall von übertriebener Political Correctness, schließlich seien »99,1 Prozent der Bevölkerung Weiße«. Dass nicht alle »Weißen« auch Christen sind und schon längst nicht alle Christen »Weiße«, hatte man in der Redaktion offensichtlich übersehen. Ebenso die Tatsache, dass es sich bei der Entscheidung des Stadtrats nicht um die Abschaffung der Weihnachtsbeleuchtung handelte, die in diesem Jahr wie in jedem Jahr leuchtet. Tatsächlich hatte man sich in Havant nur entschlossen, die städtische Eröffnungszeremonie für die Vorweihnachtszeit als »Licht-Festival« zu bezeichnen. Das Fest fand in diesem Jahr zum ersten Mal statt.

Das Wintermärchen von Havant steht im Kontext einer öffentlichen Debatte um das Verhältnis von Staat und Religion in Großbritannien, in der seit Ende der neunziger Jahre die Rolle von staatlichen Institutionen bei der Weihnachtsgestaltung immer wieder diskutiert wurde. Einige Städte und andere staatliche Institutionen versuchen, klar zwischen den Winterfeiertagen und den speziellen christlichen Bezügen zu unterscheiden. Unter Konservativen und insbesondere in der Boulevardpresse lösen solche Versuche panikartige Reflexe aus.

1998 hatte der Stadtrat von Birmingham zur Weihnachtszeit zum ersten Mal ein Programm, das verschiedene religiöse Festivals integrierte, darunter neben dem christlichen Weihnachten das jüdische Chanukka und das afrikanische Kwanzaa-Fest, unter dem Namen Winterval angeboten, anstatt klassische Weihnachtsfeiern zu veranstalten.

Kleriker und Konservative unterstellten dem Stadtrat, sich aus Scham nicht zum christlichen Erbe der Weihnachtsfeiern zu bekennen. Auch damals wetterte die Boulevardpresse gegen die »verrückte Political Correctness« und unterschlug die Tatsache, dass sämtliche explizit christlichen Veranstaltungen weiter stattfanden, allerdings im Rahmen des Gesamtprogramms und neben den Feierlichkeiten anderer Religionen.

Jedes Jahr vor Weihnachten scheinen sich seitdem ähnliche Debatten zu wiederholen. Als in Luton, einer Stadt im Norden von London, der Stadtrat im Jahr 2001 die Weihnachtsbeleuchtung mit dem Begriff »Luminos« bezeichnete, konnte auch die Popularität von Harry-Potter-Büchern, denen der Begriff entliehen war, die ums christliche Erbe besorgte Kritik nicht eindämmen. Und vor zwei Jahren, als die Kulturministerin Tessa ­Jowell Weihnachtskarten ohne christlichen Bezug an die Mitarbeiter verschicken ließ, fürchtete Daily Mail mal wieder um die »nationale Religion«.

Im letzten Jahr schließlich wurde die britische Post dafür angegriffen, dass es zu Weihnachten keine spezifisch christlichen Motive auf den Briefmarken gab. Großbritannien sei schließlich immer noch mehrheitlich christlich, argumentierten die Kritiker.

Neben Havant haben sich in diesem Jahr noch zwei weitere Stadtparlamente unbeliebt gemacht. Wiederum ging es dabei um die Weihnachtsbeleuchtung. Der Londoner Bezirk Lambeth hatte in Anzeigen für die »Winter-Lichter« in dem Stadtteil geworben. Ein konservatives Mitglied im Stadtrat empörte sich daraufhin gegenüber BBC, Weihnachten sei in seinem Stadtteil wohl abgeschafft worden. Und auch in einem Landkreis an der Kanalküste schien zumindest für einige Briten das Ende des Abendlandes nahe. In einem Bericht war die Verwaltung von Waveney zu dem Schluss gekommen, dass die offizielle Finanzierung der christlichen Weihnachtsbeleuchtung den Werten von Gleichheit und Vielfalt widerspreche. Es wurde daher empfohlen, die finanzielle Unterstützung für die Lichterketten einzustellen.

Nicht alle Menschen in Großbritannien sind indes unglücklich über Stadträte, die Distanz zu religiösen Bräuchen herzustellen versuchen. Die National Secular Society (NSS) frohlockte angesichts des kreuzzüglerischen Eifers der Boulevardpresse und kündigte die Eröffnung eines »krankhaft politisch-korrekten Winterval-Sonnenwenden-Ferien-Saison-online-Shops« an. Dort kann man nicht nur Grußkarten ohne Bibelzitate kaufen, sondern auch viele Geschenke, die »den Pastor wütend machen«, und zudem »fast alles, was der Nichtgläubige sich wünschen kann«.

NSS behauptet, aus den Bevölkerungsstatistiken sei ersichtlich, dass rund ein Viertel aller Briten nicht religiös gebunden sei. Doch auch die »Gottlosen« scheinen sich die Feierlaune nicht verderben zu lassen. Eine repräsentative Umfrage der Tageszeitung Guardian über die Rolle von Weihnachten ergab im Jahr 2004, dass 94 Prozent aller befragten Briten das Fest feiern, ungeachtet ihrer Religion. Während rund 60 Prozent der Feiernden angaben, explizit die Geburt des Christenkindes festlich zu begehen, erklärten 40 Prozent, Weihnachten sei völlig säkularisiert und habe sich von jedem christlichen Bezug gelöst.

Auch in den USA ist die Weihnachtsdiskussion ein Dauerbrenner. US-Präsident George W. Bush musste sich vergangene Woche harsche Kritik von christlichen Fundamentalisten anhören. Die Grußkarten des Weißen Hauses, die zu den Feiertagen verschickt wurden, enthielten keinen Hinweis auf Weihnachten. Das Bild auf der Vorderseite der Karten zeigt die Haustiere des Präsidenten, wie sie im Schnee vor dem Weißen Haus sitzen, im Text wurden »schöne Ferien« gewünscht. Seit 13 Jahren sind die Karten des Weißen Hauses religiös neutral gehalten. Der Star-Kommentator von Fox News, John Gibson, erklärte allerdings, der »War on Christmas« habe dieses Jahr beunruhigende Ausmaße angenommen.