All the way from Memphis

Nach dem Streik in New York von jörn schulz

Mark will der Gewerkschaftsführung nur ei­ne »kurze Nachricht« übermitteln: »Fallt tot um!« Mit weniger rabiaten Worten, aber ähnlich deutlich, kritisieren auch andere Gewerkschaftsmitglieder im Diskussionsforum der Transport Workers Union Local 100 den Abbruch des Streiks im öffentlichen Nahverkehr. »Wie viel haben sie dir diesmal bezahlt?« will Stefanie vom New Yorker TWU-Präsidenten Roger Toussaint wissen. Mehrere Gewerkschafter fordern, bei der Urabstimmung das mit der Metropolitan Transport Authority (MTA) vereinbarte Abkommen abzulehnen.

Local 100, die 1934 von ehemaligen IRA-Aktivisten mit Unterstützung der Kommunistischen Partei gegründete Gewerkschaft der New Yorker transit workers, gilt bis heute als linker Verband. Der Organisationsgrad bei der MTA ist mit mehr als 50 Prozent sehr hoch, und die etwa 34 000 TWU-Mitglieder können das Wirtschaftsleben New Yorks lahm legen. Nach Angaben des Bürgermeisters Michael Bloomberg kostete der »verbrecherische« drei­tägige Streik die Stadt eine Milliarde Dollar.

Entsprechend groß war der Druck auf die Streikenden. »Ihr Ratten« nannte sie die New York Post auf der Titelseite, und die mediale Verurteilung war fast einhellig. Unter Berufung auf ein Gesetz, das Streiks in Schlüsselbereichen des öffentlichen Dienstes verbietet, verurteilte das Oberste Gericht New Yorks die Gewerkschaft zur Zahlung einer Geldstrafe von einer Million Dollar pro Streiktag, jeder einzelne Streikende muss zudem etwa 1 000 Dollar zahlen. Daraufhin stimmte die Gewerkschaftsführung am 23. Dezember einem Kompromiss zu und beendete den Streik.

Statt der geforderten acht erhalten die Be­schäftigten bis 2009 jährliche Lohnerhöhungen von etwa 3,5 Prozent. Andererseits verzichtete die MTA darauf, das Rentenalter von 55 auf 62 Jahre heraufzusetzen. Wie die meisten Streiks in jüngerer Zeit scheint auch dieser mit einer Vereinbarung zu enden, die den Beschäftigten kaum mehr bringt als die Abwehr von neuen Zumutungen. Denn trotz der Unmutsäußerungen vieler Gewerkschaftsmitglieder ist fraglich, ob Local 100 einen il­legalen, auf eine Stadt begrenzten Streik durchhalten könnte, gegen den sich auch die nationale TWU-Führung ausgesprochen hat. Immerhin scheint die Botschaft, dass die Beschäftigten ziemlich wütend sind, bei MTA und Stadtverwaltung angekommen zu sein.

Die Streikenden hätten gezeigt, dass »sie genug davon haben, schlecht behandelt zu werden. Es geht um Respekt«, schreibt die Gewerkschaftsführung in dem Flugblatt, dass die Mitglieder zur Annahme der Vereinbarung auffordert. Toussaint kritisierte mehrfach die rassistischen Praktiken der MTA. Deren striktes Disziplinarstrafsystem sanktioniert bereits die Benutzung der falschen Toilette mit einer Geldbuße, und überdurchschnittlich häufig sind Afroamerikaner betroffen.

Fast zwangsläufig werden Gewerkschaften zu einer neuen Bürgerrechtsbewegung. In den untersten Einkommensgruppen finden sich überdurchschnittlich viele Nichtweiße, Frauen und Migranten. Von den »soft skills«, die Vorgesetzte im modernen Kapitalismus angeblich auszeichnen, ist bei vielen Privat­firmen noch weniger zu bemerken als bei der MTA, und die Beschäftigten müssen sich immer tiefere Eingriffe in ihr Privatleben gefallen lassen.

Durchgesetzt hat Local 100 auch, dass der Martin Luther King Day bei der MTA offizieller Feiertag wird. Als King am 4. April 1968 in Memphis erschossen wurde, bereitete er eine Solidaritätsdemonstration für die Arbeiter der Müllabfuhr vor, deren Streik gerichtlich verboten worden war.