Auch Waisen brauchen ein Zuhause

Spanien setzt Maßstäbe in der europäischen Asylpolitik und richtet als erstes Land Auffanglager außerhalb der EU-Grenzen ein. von thorsten mense

Knapp drei Monate ist es her, dass die Bilder aus den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla um die Welt gingen. In großen Grup­pen versuchten damals afrikanische Flüchtlinge, nachts die südliche Außengrenze der EU zu überwinden. Mit selbstgebauten Leitern stürmten sie die Stacheldrahtzäune. Mindestens 14 Flüchtlinge kamen dabei ums Leben.

Groß war damals das öffentliche Interesse und das Entsetzen über die »Tragödie«. Eine Veränderung in der repressiven Migrationspolitik der europäischen Staaten hatte dies erwartungsgemäß nicht zur Folge, ganz im Gegenteil. Die ersten Reaktionen Spaniens waren die Erhöhung des Grenzzauns, die Verbesserung der Überwachungsanlagen sowie die Reaktivierung eines alten Rücknahmeabkommens mit Marokko. Spanien behandelt Marok­ko nun als »sicheren Drittstaat« und kann so ohne Prüfung der Fluchtgründe Flüchtlinge in das nord­afrikanische Land ab­schieben. Für Karl Kopp, den Europa-Referenten von Pro Asyl, bedeutet dies »nichts anderes als den Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention«.

Die ersten »Erfolge« dieser Politik sind bereits jetzt zu erkennen: Die nächtlichen Versuche, den Zaun zu überwinden, haben fast ganz aufgehört, so dass Anfang Dezember das spanische Militär, das zur Unterstützung der Grenztruppen nach Nord­afrika versetzt worden war, abgezogen wurde. Die Situation sei »unter Kontrolle«, man habe den »Herd der Instabilität« beseitigt, wie Consuelo Rumí, die spanische Staatssekretärin für Einwanderung, stolz verkündete. Indessen steigt die Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge in der Meeresenge von Gibraltar wieder an.

Nun will Spanien das verwirklichen, was der ehe­malige deutsche Innenminister Otto Schily schon im vorletzten Jahr forderte und auch bereits in der EU diskutiert wird: Auffanglager für Flüchtlinge außerhalb der europäischen Grenzen, und damit auch außerhalb des europäischen Rechtsgebietes. Anfang Dezember vereinbarten Spanien und Marokko die Einrichtung von insgesamt vier Auffanglagern für minderjährige Flüchtlinge, die ohne Eltern in Spanien aufgegriffen werden. Der Vertrag wurde von Rumí und dem Staatssekretär für Sicherheit, Antonio Camacho, mit dem marokkanischen Generaldirektor für Innere Angelegenheiten, Mohieddin Amazazi, in Marrakesch ausgehandelt. Als erstes ist geplant, zwei »Zentren für Aufnahme und Ausbildung« zu errichten: das eine in Nador, dem Nachbarort von Melilla, das andere in Beni Mellal. Die Zentren, mit jeweils 50 Plätzen, sollen die »soziale Wiedereingliederung« der Minderjährigen ermöglichen.

»Ziel der Regierung ist es, so viele Jugendliche wie möglich zurückzuführen«, erklärte Consuelo Rumí nach Abschluss der Verträge. Die Regierung von Spanien sieht das Abkommen als ein »weiteres Zeichen für die gute Zusammenarbeit der beiden Staaten in der Flüchtlingsproblematik«. Wieder einmal soll durch neue bilaterale Verträge geltendes Asylrecht umgangen werden. Elternlose Jugend­liche dürfen nach dem spanischen Asylrecht nicht abgeschoben werden, ohne dass ihre Fürsorge durch den Staat oder Verwandte im Herkunftsland gewährleis­tet ist. Wenn die Eltern nicht mehr leben oder die »Rücknahme« ihrer Kinder verweigern, muss sich Spanien um die Flüchtlinge kümmern, da die meisten Herkunftsländer nicht über Einrichtungen für elternlose Minderjährige verfügen. Insbesondere im Süden Spaniens gibt es aus diesem Grund bereits unzählige Auffanglager, alleine in Andalusien sind es über 30. Nach einer offiziellen Studie waren von Januar 2004 bis Juni 2005 knapp 12 000 minderjährige Flücht­linge in der Obhut des spanischen Staats. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 800 Neuankömmlinge regis­triert, jedoch konnten nur an die 100 Kinder und Jugendliche zurückgeführt werden. Damit Marokko nun die »Fürsorge« für die Min­derjährigen übernehmen kann, werden mit spanischem Geld die Auffanglager errichtet.

Ohne die Situation in den Ländern zu prüfen, handelt Spanien zudem immer mehr Abkommen über die Rückführung von Flüchtlingen mit afrikanischen Staaten aus, zuletzt mit Ghana, Mali, Angola und Nigeria. In Teilen Nordnigerias gilt die Sharia, Homosexualität kann mit dem Tod durch Steinigung bestraft werden und amnesty international zufolge gibt die »geschlechtsspezifische Diskriminierung in Gesetz und Praxis weiterhin Anlass zu ernster Sorge«. Doch Menschenrechte waren kein Thema, als der Außenminister Miguel Ángel Moratinos im Dezember sechs afrikanischen Ländern einen Besuch abstattete. Er ist der erste spanische Außenminister, der seit dem Ende der Diktatur 1975 Afrika besuchte, und er meint, über den Kontinent gut Bescheid zu wissen: »Afrika ist kein armer Kontinent, sondern ein verarmter; es ist kein marginaler Kontinent, sondern ein marginalisierter; es ist kein kranker Kontinent, sondern er ist von Plagen und Epidemien betroffen; und es ist kein alter Kontinent, sondern ein junger und dynamischer.« Aber da Afrika eine »Zeitbombe« sein könnte, sei er nun hier, um »nahe bei denen zu sein, die Solidarität einklagen«, da­bei jedoch stets »die Interessen Spaniens verteidigend«.

Dass es vor allem um die Interessen Spaniens geht, wurde vergangene Woche deutlich. Spanische Medien berichteten, dass Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero beabsichtige, die Exklaven Melilla und Ceuta zu besuchen, und darüber die marokkanische Regierung unterrichtet habe. Die Bürgermeister der Städte, beide Mitglieder der rechtskonservativen oppositionellen Volkspartei PP, reagierten beleidigt. Wenn Zapatero vorher Marokko um Erlaubnis bitten müsse, »sei es besser, wenn er nicht komme«, erklärte Juan José Imbroda, Bür­germeister von Melilla. Die Regierung müsse niemanden informieren, da sie »zwei Städte auf nationalem Territorium« besuche, betonte sein Amtskollege aus Ceuta, Juan Jesús Vivas.

Mit den Auffanglagern treibt Spanien die ­Politik der Abschottung weiter, ganz im Sinne der EU. Bereits Ende November beschlossen die EU-Innenminister die so genannte Asylverfahrensrichtlinie. Diese besagt, dass auch Staaten, die nicht die Genfer Flüchtlings­konven­tion unterzeichnet haben, als »sicher« eingestuft wer­den können. EU-Justizkommissar Franco Frattini erklärte im November in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass sich die Staa­ten verpflichten sollten, »diejenigen wieder zurückzunehmen, die illegal von ihrem Territorium nach Europa eingewandert sind«. Pro Asyl zufolge stellt dies ein »kollektives Asylverhinde­rungsprogramm« der europäischen Staaten dar. Auch amnesty international übte Kritik: »Statt den Flüchtlingsschutz in der Welt zu stärken, scheint die EU-Politik eher darauf gerichtet zu sein, die Menschen mit allen Mitteln von der EU fernzuhalten.« Dafür sprechen auch die Zahlen. In Spanien wurden im letzten Jahr 40 Prozent weniger »Illegale« aufgegriffen, die Zahl der an der Grenze abgewiesenen Flüchtlinge stieg dagegen im gleichen Umfang.