Father of Invention

Barry Miles hat die bislang fundierteste Biografie Frank Zappas geschrieben. Bloß den Zynismus des Musikers schätzt er nicht. von jan süselbeck

Der Erwachsene kann sich darauf besinnen, mit welchem hohen Ernst er einst seine Kinderspiele betrieb«, notierte Sigmund Freud über den Künstler, »und indem er nun seine vorgeblich ernsten Beschäftigungen jenen Kinderspielen gleichstellt, wirft er die allzu schwere Bedrückung durch das Leben ab und erringt sich den hohen Lustgewinn des Humors.« Dass der Schlüssel zum Wesen der Menschen in ihrer Kindheit liege, mag ein alter Hut sein, doch macht diese Erkenntnis wohl zumindest zu einem Teil den Reiz von Bio­grafien aus.

So meint man auch nach der Lektüre der eröffnenden Passagen von Barry Miles’ Buch über das Leben Frank Zappas, in denen der Autor die bizarr anmutende Kindheit des zeitlebens umstrittenen Rockmusikers beschreibt, bereits das Wichtigste zu wissen. Zappas Vater wird uns hier als sizilianischer Immigrant vorgestellt, der sich in der US-Rüstungsindustrie verdingen musste. Die Mutter des Musikers machte alles mit, was das Familien­oberhaupt entschied, zum Beispiel willkürliche Umzüge. Miles betont wiederholt, dass Francis Zappa bei solchen Entscheidungen erst recht keine Rücksicht auf die soziale Situation seiner Kinder nahm. Frank Zappa und seine Geschwister machten sich deshalb bald keine Mühe mehr, an den High Schools Freunde zu finden, da sie ahnten, diese ohnehin bald wieder zu verlieren.

Um Zappas spätere Entwicklung zum misanthropischen Studioeinsiedler zu begreifen, muss man jedoch auch den rabiaten Katholizismus seiner Eltern sowie den beträchtlichen provinziellen Muff der fünfziger und sechziger Jahre zur Kenntnis nehmen, der in US-Käffern wie Cucamonga oder Lancaster den Alltag bestimmte und den jungen Musiker sogar einmal für zehn Tage ins Gefängnis brachte. Man hatte ihm pornografische Aktivitäten vorgeworfen.

Zappa flüchtete schon als Kind in eigenbrötlerische Experimente. So bastelte er Bomben aus pulverisierten Tischtennisbällen, zerhämmerte Quecksilbertropfen auf seinem Kinderzimmerfußboden und entdeckte schließlich an kalifornischen High Schools seine Liebe zum trivialen Doo-Wop-Blues, sammelte tausende Jukebox-Singles und begann mit dem Schlag­zeugspielen.

Seinen späteren Hang zu Themen wie Sexualität und Pornografie erklärt sich Miles so: »Man hatte ihn gelehrt zu glauben, dass Sex eine Sünde sei, Selbstbefriedigung eine Sünde sei, Sex außerhalb der Ehe und sogar in der Ehe Sünde sei (…). Verschiedene Aspekte seiner Arbeit, die kindisch oder triebhaft wirken, werden verständlicher, wenn man sie als Überreaktion auf die Schuldfrage des Katholizismus sieht.« Der Biograf nervt jedoch keineswegs mit hobbypsychologischen Daueranalysen. Es gelingt ihm vielmehr, jenseits hagiografischer Fanprosa zielsicher diejenigen Anekdoten zusammenzutragen, die Zappas vielschichtiges Werk aus heutiger Sicht verständlicher machen könnten, während er seinem Protagonisten gleichzeitig die Würde einer genuin rätselhaften Persönlichkeit bewahrt.

Zappas Leben war von Extremen gekennzeichnet, im privaten wie im musikalischen Bereich. Zu der Wertschätzung des R & B-Stils der kalifornischen Fifties, dem der Gitarrist Zappa und seine Band, »The Mothers of Invention«, im Jahr 1968 mit dem Album »Cruising with Ruben & The Jets« ein Denkmal setzten, kam schon im Teeniealter die abgöttische Verehrung des französischen Komponisten Edgar Varèse (1885 bis 1965). Sie bewirkte, dass Zappa bereits als Junge mit Atonalität zu experimentieren begann und filigrane handschriftliche Partituren entwarf.

Mitte der fünfziger Jahre blieb der Schüler Zappa in einem obskuren Provinzplattenladen »bei einem schwarz-weißen Album hängen, das einen Mann in mittleren Jahren mit drahtigem Haar zeigte«, erzählt Miles über den Beginn dieser Leidenschaft. »Er sah wie ein verrückter Wissenschaftler aus, und Zappa dachte, wie großartig es sei, dass ein verrückter Wissenschaftler endlich mal eine Platte gemacht hatte.« Ein großer Moment der Rockgeschichte: Der junge Musiker war auf die »Complete Works of Edgar Varèse, Volume One« gestoßen. Kreative Folgen der Entdeckung zeitigte so gut wie jede Platte Zappas, von dem fulminanten avantgardistischen Debüt der »Mothers«, »Freak out!« (1966), dem ersten Doppelalbum der Rockgeschichte, bis zu den Orchesterplatten mit Kent Nagano und dem London Symphony Orchestra (1983 ff.), der Zusammenarbeit mit Pierre Boulez (»The Perfect Stranger«, 1984) und dem Höhepunkt seiner Karriere als »seriöser« Musiker, der Arbeit mit Peter Rundel und dem Ensemble Moderne (»Yellow Shark«, 1993).

Als Zappa Mitte der sechziger Jahre mit den »Mothers« in Hollywood bekannt wurde, hielten ihn viele wegen der irren Auftritte seiner Band und der vertrackten Rhythmuswechsel ihrer komplexen Musik für einen LSD-Freak. Doch gerade Zappas fundamentalistische Ablehnung jedweden Drogenkonsums hebt Miles immer wieder hervor. Kein Groupie hielt es Ende der sechziger Jahre lange bei Zappa aus, weil er Joints verabscheute. Und wann immer er auf einer der späteren ausgedehnten Welttourneen einen Bandkollegen mit Drogen erwischte, feuerte er ihn sofort.

Bereits im Jahr 1966 klagte Eric Burdon, für den Zappa einige Songs arrangiert hatte, ihm behage die Kooperation gar nicht, sei es doch, »als arbeite man mit Hitler«. Zappas totaler Perfektionswahn führte zu exzessiven Proben vor jeder Tour, gipfelnd vor der letzten im Jahr 1988. Der diktatorische Bandleader ließ seine Angestellten in viereinhalb Monaten 100 Titel mit insgesamt mehr als elf­einhalb Stunden Länge einstudieren, um während der Tour gleich mehrere Platten live aufnehmen zu können und so den gewerk­schaftlichen Studiotarif für seine Instrumentalisten nicht zahlen zu müssen.

Kritisierten Fans Songs wie »Titties & Beer« oder »Catholic Girls« als Affirma­tion sexistischer Stereotype, so meinte der Autor, es handele sich um reine Satire und ihm ginge nichts über seine Frau und seine drei Kinder. Dabei verschwieg er tunlichst, dass er auf seinen Tourneen über Jahrzehnte so viele Groupies in sein Bett holte wie nur irgend möglich. War er einmal zuhause, arbeitete er pausenlos und vor allem über Nacht am exzessiven Overdubbing seiner Konzertmittschnitte, aus denen er möglichst perfekte Platten montierte, so dass ihn Frau und Kinder auch hier kaum je zu Gesicht bekamen.

Miles’ Biografie macht klar, dass es bei Zappas Tüfteleien kaum noch um effektive Arbeit gehen konnte, sondern schlicht um die Freude an der einsamen Bastelei. So collagierte der Musiker das Titelstück seines ­Albums »Ship Arriving Too Late To Save A Drowning Witch« (1982) absurderweise »aus 15 Teilstücken, ein jedes in einer anderen Stadt aufgenommen, und manchmal nur zwei Takte lang«. In einem Interview verkündete er obendrein: »Versteh doch, dass du isoliert bist. Genieß das! Sei doch froh, dass da nicht ein Haufen Leute sind, die deine Zeit verschwenden. Du hast deine ganze Zeit für dich. Und das ist ein verdammt guter Deal.«

»Does Humor Belong Into Music?« hieß eine von Zappas späten Konzertplatten. Die Antwort auf diese rhetorische Frage findet sich auch in Miles’ Biografie, und ihre Lektüre erweckt alte Hörsüchte wieder zum Leben.

Barry Miles: Zappa. Übersetzt aus dem Englischen von Michael Kellner. Verlag Rogner & Bernhard (Zweitausendeins), Berlin 2005, 527 S., 22 Euro