Nur Gutes getan

Kolonialismusdebatte in Frankreich von bernhard schmid

Das heikle Thema der Geschichtspolitik verspricht in Frankreich neue Zuspitzungen auch im soeben beginnenden Jahr.

Bereits Anfang Dezember hatte Präsident Jacques Chirac angekündigt, eine »pluralistisch zusammengesetzte« Historikerkommission einzusetzen, um über die Bewertung des französischen Kolonialismus zu debattieren. Da musste sein großer Herausforderer aus dem eigenen Lager, Nicolas Sarkozy, Innen­minister und Chef der Regierungspartei UMP, einfach reagieren. Kurz nach den Weihnachtsfeiertagen hat er darum seinerseits verkündet, selbst eine Kommission zum Thema einzusetzen.

Den Hintergrund der Streitigkeiten bildet ein am 23. Februar vorigen Jahres von der französischen Nationalversammlung verabschiedetes Gesetz. Ursprünglich sah der Text eine materielle Entschädigung für Franzosen vor, die im Zuge der Entkolonisierung in Afrika oder Asien Schaden erlitten haben wollen. Doch der von konservativen Abgeordneten hinzugefügte Artikel 4 der Vorlage schreibt Lehrern und ForscherInnen vor, in ihren Ar­beiten oder im Unterricht den angeblichen »positiven Beitrag der französischen Präsenz in Übersee, und insbesondere in Nordafrika« ausdrücklich hervorzuheben. Eine Sichtweise auf den französischen Kolonialismus, die insbesondere im Hinblick auf Algerien absurd ist. Denn 132 Jahre französischer »Präsenz« in diesem Land bedeuteten vor allem eine radikale Absenkung der Zahl der alphabetisierten Algerier gegenüber der vorkolonialen Ära und die Errichtung eines auf konfessionellen Kategorien – Christen, Juden und Moslems – basierenden Apartheidsystems.

Bereits im Frühjahr protestierten Wissenschaftler und Lehrer gegen diese »staatlich vorgeschriebene Geschichtsdoktrin«. Ende November flammte die politische Polemik dann wieder auf. Angesichts massiver Proteste musste Innenminister Sarkozy einen geplanten Besuch auf den französischen Antillen­inseln absagen. Denn in La Martinique und Guadeloupe erinnern sich zahlreiche Einwohner daran, dass die Kolonialperiode für ihre Vorfahren den Abtransport in die Sklaverei – sie war in Frankreich bis 1848 legal – bedeutete. Präsident Chirac fürchtete, die Aus­ein­an­der­set­zung könnte künftig die Pläne für einen umfassenden Staatsvertrag zwischen Frankreich und Algerien durchkreuzen.

Sarkozy dagegen hält nichts von einer »Ten­denz zur systematischen Reue«. Man wolle sich »nicht dafür entschuldigen, Franzose zu sein«. Nunmehr versucht er sich an einem brisanten Spiel, nämlich an der Instrumentalisierung jüdischer Stimmen, um die Legitimität der einen historischen »Opfergruppe« gegen die anderer Opfer – nicht eines Genozids, aber von kolonialer Unterdrückung und Sklaverei – ins Spiel zu bringen. Deswegen ernannte er den Anwalt Arno Klarsfeld zum Vorsitzen­den »seiner« Kommission. Und wohl auch des­wegen lobte er den Philosophen Alain Finkielkraut als »Ehre der französischen Intelligenz«. Finkielkraut hatte im November der israelischen Tageszeitung Ha’aretz erklärt, während sein Vater in ­Auschwitz gelitten habe, hätten die Schwarzen doch keinen Grund zu Hass auf Frankreich, denn Frankreich habe den Afrikanern angeblich »nur Gutes« getan. Bereits im Oktober hatte Finkielkraut sich gegen eine französische Reueerklärung für die Folter im Algerien-Krieg ausgesprochen. Die objektiv vorhandene Tendenz, verschiedene Opfer der Geschichte gegeneinander auszuspielen – die es auch unter Schwarzen gibt, insbesondere verbunden mit dem französisch-kamerunischen Antisemiten Dieudonné M’bala – möchte Sarkozy sich nun gerne zunutze machen.