So tun, als ob

Sie sind die Handwerker des Musikbusiness. Cover- und Tributebands spielen auf zum Tanz. von markus ströhlein

Man möchte nicht in seiner Haut stecken. Die Frauen vor der Bühne kichern und kreischen. Einige Männer johlen. Andere buhen. Der Gitarrist, auf den alle Augen und ein Spotlight gerichtet sind, hat sein Instrument weggelegt und das Jackett und das Hemd der Schuluniform, die er als Bühnenoutfit trägt, ausgezogen. Bereits dieser Akt des Entkleidens ist weder amüsant noch prickelnd. Seinen Körper kann zeigen, wer mag. Doch mit abgelegten Kleidungsstücken sollte man sich wirklich nicht zwischen den Beinen herumrubbeln.

Die musikalische Dramaturgie verrät, dass das Schlimmste noch kommt. Der Schlagzeuger und der andere Gitarrist spielen einen anschwellenden Tusch, der Stripper trippelt rückwärts zum Bühnenrand. Dann verstummt die Musik, die letzte Hülle fällt und ein fahles Gesäß wird für eine Sekunde zum Blickfang. Das Publikum grölt. Der spärlich Bekleidete trollt sich wie ein verschämter kleiner Junge hinter einen Verstärkerturm, um seine Garderobe zu richten und sich sein Instrument wieder umzuhängen. Ganz vorn an der Bühne steht ein Gast mit geschlossenen Augen und fragt seinen Nebenmann: »Ist es weg?«

Man empfindet Mitleid mit dem halbnackten Musiker. Doch die Erniedrigung muss sein. Der Striptease ist ein Teil der Show von Bon’s Balls, einer Tributeband aus dem nordbayerischen Würzburg, die sich auf das Werk der australischen Riff­rocker AC/DC spezialisiert hat.

Der Gitarrist, der den Part des kleinen Bühnenderwisch Angus Young übernommen hat, ist neu bei Bon’s Balls. Er ist nervös und unsicher. Jeder Versuch, die Rolle zu erfüllen, scheitert. Während das Original immer im Takt über die Bühne tobt, stakst das Double verkrampft und steif umher. Die Luftsprünge, mit denen der australische Gitarrist die Songs beendet, sehen beim fränkischen Pen­dant aus, als überwände ein kleines Kind seine Angst, von einer einen Meter hohen Mauer zu springen. Der Strip ist peinlich. Außerdem spielt Angus Young einfach besser Gitarre.

Nicht der Geist des Rock’n’Roll, sondern sein Kadavergeruch durchweht den Raum. Die anderen Musiker er­tragen es mit Fassung. Wenn es keinen Spaß macht, muss das Set mit eiserner Disziplin heruntergerattert werden. Von wegen Fun, Freakout und Hedonismus, hier herrscht der Geist der Pflichterfüllung.

Für einen großen Teil des Publikums liefert die Show ohnehin nur den Soundtrack zum Komasaufen. Die Schlangen an den The­ken sind lang. Man muss nicht nur auf sein Bier warten. Ab Mitternacht kostet es wieder den vollen Preis, der »Doppeldecker«, das beliebte Angebot, bei dem alle Getränke nur die Hälfte kosten, gilt nicht mehr. Man erhält eine Ahnung davon, was sich Rocker unter einer Rebellion vorstellen. Etliche Barfrauen müssen sich das erboste Geplärre stark alkoholisierter Gäste anhören, die gegen die Rückkehr zu den normalen Preisen aufbegehren.

Die Menge trinkt jedoch unbeeindruckt weiter. Die Leute treten sich im Würzburger Rock­palast auf die Füße. Der Name des Clubs vermittelt einen falschen Eindruck. Der »Palast« ist in Wirklichkeit ein Zweckbau aus Beton in einem Industriegebiet der Stadt. Die Wände sind schwarz und rot gestrichen. Im Backstage­raum hat sich der Besitzer die dekorativen Bemühungen gespart. Der Raum ist grau. Auf den abgewetzten Sofas sitzen die Musiker und resü­mieren den Abend. Allzu betrübt sind sie nicht. Ein Konzert kann auch mal schlecht laufen.

Für einen Teil der Band ist die Musik ohnehin nur ein Freizeitvergnügen. Rhythmusgitarrist Axel betreibt eine Kneipe. Schlagzeuger Jens arbeitet als Automechaniker.

Sänger Stefan ist dagegen hauptberuflich »Tanzmucker«. Er tritt beinahe jedes Wochenende in den Bierzelten oder Turnhallen auf, in denen die Vereine von Städten und Dörfern so genannte Beatabende veranstalten. Wann diese Festivitäten ihren Namen erhalten haben, weiß niemand mehr genau. Doch bereits Ende der sechziger Jahre gab es solche Veranstaltungen. Geändert hat sich seither wenig. Ein Verein oder eine Gemeinde veranstaltet zu Ehren lokaler Ess- und Trinkwaren ein Fest. Um sich der Loyalität und zukünftigen Mitarbeit der ortsansässigen Jugend zu versichern, engagiert der Vorstand des Vereins oder der Gemeinderat eine Coverband, die aktuelle Hits und vermeintliche Klassiker zum Besten gibt. Wer ein Wein-, Bier- oder Bratwurstfest veranstaltet, kommt um den Beatabend nicht herum. Der heißt zwar nur im süddeutschen Raum so, existiert in dieser Form aber in ganz Deutschland.

Seltsamerweise konnten sich die Tanzveranstaltungen trotz aller Entwicklungen in der Popmusik über die Zeit retten. Als der Grunge dem Rock der achtziger Jahre mit seinem unsäglichen Gitarrenposing, dem Falsettgesang, den toupierten Dauerwellen, den Stretchjeans und Leopardenhosen den Todesstoß versetzte, stellten die Tanzmucker ihr Programm ein wenig um. Einige kauften sich sogar neue Kleidung und gingen zum Frisör. Als Viva und MTV endlich auch im letzten Nest empfangen wurden und die Kids merkten, dass man auch in Clubs hervorragend seine Zeit verbringen konnte, bedeutete das nicht das Ende für die Tanzbands. Sie spielen weiterhin jedes Wochenende in Bierzelten und Hallen, die nicht selten mehrere tausend Menschen fassen.

Die Kapellen haben hübsche Namen wie Justice, Race oder F.U.C.K. In diesen musizierenden Soziotopen hat sich ein ganz besonderer Menschenschlag entwickelt: der Tanzmucker. Er ist meist ein perfekter Handwerker. Er beherrscht sein Instrument so gut, dass es ihm ein Leichtes ist, Liedgut aus ver­schiedenen Stilrichtungen originalgetreu wiederzu­geben. Er begreift seine Arbeit in einer Tanzband nur als Übergangsphase, bis er mit seinen eigenen Sachen ganz groß rauskommt. Da sich der Durchbruch jedoch oft nicht einstellen will, strandet so mancher im Tanzgeschäft. Dann bedarf es einer großen Fähigkeit zur Autosuggestion und erheb­licher Mengen Alkohol, um sich einzureden, dass die Tatsache, jedes Wochenende in irgendwelchen Ortschaften vor delirierendem Publikum auf der Bühne zu stehen, etwas mit Glamour, Rock’n’Roll und der großen Freiheit zu tun hat.

Eines darf der Tanzmucker auf keinen Fall: kreativ sein. Er wird dafür bezahlt, seinem Publikum zu einem günstigen Eintrittspreis auch im tristen Ambiente blauweißer Bierzelte das große Spektakel zu simulieren. Gewagte Interpretationen sind nicht gefragt.

Je näher sich die Darbietung am Original orientiert, desto größer ist die Anerkennung. Der gute Tanzmucker muss sich selbst verleugnen können. Weit gebracht hat es hierbei Kon Chauvi, eine Bon-Jovi-Coverband aus Bruchsal bei Karlsruhe. »Ich kenne sie. Sie covern uns Note für Note. Sie sind verdammt gut. Sie sind besser als wir.« So urteilt Jon Bon Jovi selbst über die Imitatoren.

Bei Tributebands wie Kon Chauvi ist es natürlich noch viel wichtiger, auch die kleinsten Details der Originale nachzuahmen. Während herkömmliche Coverbands Songs ganz verschiedener Künstler im Programm haben und es ihnen deshalb nachgesehen wird, wenn nicht alle Stücke klingen, als kämen sie von der CD, müssen die Spezialisten perfekt sein. Das geht über das rein Musikalische hinaus. Killer Queen aus Großbritannien klingen nicht nur wie Queen, sie sehen auch so aus. Gitarrist Simon Lilley hat Locken wie Brian May. Und Sänger Scott Maley ist ein von den Toten zurückgekehrter Freddie Mercury. Da stimmt alles, von den Brusthaaren über den Schnauzer bis zum Überbiss. Ein Lob an den Kieferchirurgen!

Unglaublich ist die Ähnlichkeit mit dem Original auch bei Aultimate Ozzy. Die US-amerikanische Band spielt Songs von Black Sabbath und Ozzy Osbourne nach. Sänger Mikaul Ault beherrscht nicht nur das Repertoire und die Posen des Vorbilds. Er hat ähnliche Tattoos und ist so aufgeschwemmt wie Ozzy in der Phase, als er mehr Zeit mit dem Konsum von Drogen verbrachte als im Proberaum. Das ist zwar echter als echt. Gut ist es wie im Fall der meisten Cover- und Tributebands jedoch nicht.