Lasst hundert Blüten blühen

Der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il wird in China vermutet, ist dort aber nicht aufzufinden. Der Hintergrund für die geheimnisvolle Reise könnten geschäftliche Probleme sein. von martin schwarz, wien

Es kommt nicht oft vor, dass ein amtierender Staatschef von einem Tag auf den anderen verschwindet. Noch seltener kommt das bei Autokraten wie dem nordkoreanischen »geliebten Führer« Kim Jong Il vor. Doch seit Mittwoch vergangener Woche ist Kim Jong Il, 63 Jahre alt und ansonsten nicht unbedingt reisefreudig, plötzlich weg.

Sein persönlicher Sonderzug ist in China, und dort finden nun beinahe täglich neue Erscheinungen seiner Person statt. In Shanghai soll er sein, mutmaßen die einen. In Peking ist er, sind sich andere sicher. Gesehen wurde er auch in Guangzhou, dem ehema­ligen Kanton. Angeblich befindet er sich dort im Luxushotel White Swan, das von chinesischem Militär abgeriegelt worden sein soll. Tatsächlich zeigte der Hongkonger Fernsehsender TVB reichlich unscharfe Bilder einer von Polizeieinheiten eskortierten Wagen­kolonne, die zum Hauptportal des Hotels fuhr. Mitt­lerweile gibt es derart viele Spekulationen, dass einige Quellen in China gar vermuten, Kim Jong Il sei mit dem Flugzeug nach Shanghai gereist. Wenn das allerdings der Fall war, muss die Angelegenheit dringend gewesen sein, denn dem laut nordkoreanischer Propaganda ausgebildeten Kampfpiloten wird eine unbändige Flugangst zugeschrieben.

Nun könnte ein Grund der Reise des international isolierten Diktators in fi­nan­ziel­len Problemen liegen. Denn die Konten der nordkoreanischen Regierung und einiger hoch gestellter Privatpersonen in der seit 1999 wieder zu China gehörenden Sonderwirtschaftszone Macao wurden nun eingefroren. Nordkoreas Regime soll über die ins Zwielicht geratene Banco Delta Asia Falschgeld im Wert von 45 Millionen US-Dollar in Umlauf gebracht haben, die nun von Ermittlern aus den USA sicher gestellt wurden. Außerdem sollen nordkoreanische Unternehmen bei der Bank Konten besessen haben, die dem Erwerb von Technologie für die Produktion von Massenvernichtungswaffen dienen.

Genau über diese Angelegenheit, so vermuten jedenfalls einige chinesische Quellen, gedenkt der Staatsmann Kim Jong Il mit chinesischen Behörden zu sprechen. Schließlich schicken sich die USA gerade an, Kims finanzielles Netzwerk zu zerschlagen, und gefährden damit die wirtschaftliche Basis seines Regimes. Doch die chinesische Regierung bleibt vorerst hart: »Wir unterstützen die Ermittlungen der Behörden in Macao«, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Kong Quan.

Das Vorgehen der Behörden könnte auch Auswirkungen auf die Gespräche über ein Ende des nordkoreanischen Atomprogramms haben, die in Bälde wieder beginnen sollen. Die US-Regierung will mit den Maßnahmen gegen Kim Jong Ils Geschäfte möglicherweise eine größere Kompromissbereitschaft Nordkoreas erzwingen, doch die Regierung in Pjöngjang hat bereits angekündigt, dass der Schlag der Behörden gegen das finanzielle Netzwerk des herrschenden Clans als Hindernis für die Wiederaufnahme der Gespräche interpretiert werde.

Der Erhalt der Geschäftsmöglichkeiten in Macao dürfte Kim Jong Il sehr am Herzen liegen. Denn vor zwei Jahren wurde in Wien sein zweites großes Geldinstitut, die Golden Star Bank, geschlossen. Sie stand unter der Kontrolle der »Divison 39« der Kommunistischen Partei Nordkoreas, und die wiederum ist lediglich dazu da, über legale, aber auch illegale Geschäfte wie Drogen- oder Waffenhandel Devisen ins verarmte Land zu bringen.

Dabei war die Schließung der Bank ganz sicher kein Ruhmesblatt für den US-amerikanischen Geheimdienst. Monatelang beobachtete er sie aus einer benachbarten Wohnung, doch leider vergaßen die CIA-Leute, die Miete für ihr Observationsnest zu bezahlen, und gerieten deshalb in die Mühlen der österreichischen Justiz.