Alles nur Gerede

Was Angela Merkel in Moskau oder sonstwo sagt, ist letztlich egal. Es geht ums Geschäft, nicht um Persönliches. von burkhard schröder

Angela Merkel war in Moskau. Warum der Aufwand? Kann man Staatsangelegenheiten nicht viel einfacher mit verschlüsselten E-Mails erledigen? Oder per Kryp­to-Telefon, so dass die CIA nicht mithört? »Gospodin Putin, könnten Sie nicht etwas netter zu den Tschetschenen und zu den Vertretern der ›Zivilgesellschaft‹ sein? Und ein bisschen mehr auf den Umweltschutz achten?« Wer aus dem Besuch der Bundeskanzlerin in Russland irgendetwas herauslesen will, setzt irrigerweise voraus, dass sich die Welt zum Besseren oder Schlechteren wende, wenn sich die Repräsentanten der Staaten persönlich kennen und die Meinung sagen. Das darf getrost bezweifelt werden.

Ein Staatsbesuch ist immer und ausschließlich ein Medienereignis, ein etwas archaisches öffentliches Ritual, dessen Sinn sich noch nicht einmal den Beteiligten erschließt. Das Abschreiten einer Formation geordneter soldatischer Körper, die Gestik, die Mimik, zum Beispiel das der taz zufolge »eingefrorene Lächeln« Merkels – all dies bedeutet nicht wirklich etwas, sondern bildet eine Projektionsfläche für die Medien wie der Kaffeesatz, in den jeder etwas anderes hineinliest.

Alle Emotionen werden inszeniert. Sie liegen wie Mehltau über dem, was die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande für die Realität halten, und vernebeln den Blick auf das Wesentliche. Wer will denn wissen, ob Gerhard Schröder nicht im Vier-Augen-Gespräch mit Putin Tacheles über die russischen Menschenrechtsverletzungen geredet hat? Man muss unter Regierungschefs nicht alles an die große Glocke hängen (sprich: den Medien mitteilen). Deshalb ist es völlig egal, was Merkel in Moskau öffentlich gesagt hat.

Wenn man den deutschen Zeitungen Glauben schenken will, hat Schröder mit dem russischen Präsidenten geschmust, jetzt aber sei Schluss mit dem »Schmusekurs«. Das ist nicht weiter überraschend, denn einige Optionen, die deutsche Kanzler im Verkehr mit russischen Präsidenten hatten, sind ohnehin weggefallen. Schröder habe Putin »übereilt« und »entlarvend« geduzt, meldet n-tv vorwurfsvoll. Helmut Kohl ging mit Boris Jelzin in die Sauna und brachte den betrunkenen Präsidenten zu Bett. Derartiges kann sich zwischen Merkel und Putin höchs­tens die Titanic vorstellen. Hat das Konsequenzen für die deutsch-rus­sischen Wirtschaftsbeziehungen? Mitnichten.

Merkel hat die russische Regierung dazu aufgefordert, die Arbeitsbedingungen für Menschenrechtsorganisationen nicht einzuschränken. Putin setzte jedoch das Gesetz, das die Nichtregierungsorganisationen unter strengere Kontrolle stellt, unmittelbar vor der Ankunft Merkels in Kraft. Merkel habe so »eine Lektion erhalten«, schreibt die russische Tageszeitung Njesawissimaja Gazeta, und die Wedomosti kommentiert hämisch: »Putin half Merkel, sich in der Demokratie in Russland zurechtzufinden.« Etwas anderes war auch nicht zu erwarten. Es gibt keinen »offenen Dialog«, auch wenn die Kanzlerin dies behauptet, ebenso wenig wie es einen »geschlossenen Dialog« gibt. Re­gierungschefs sind nur Charaktermasken wie im altgriechischen Theater.

Die Botschaft Merkels, bestimmte, vor­geb­lich »heikle« Themen bei einem Staatsbesuch öffentlich anzusprechen, ist ausschließlich innenpolitisch gemeint. Die Deutschen sollen glauben, das Thema Men­schenrechte bedeute etwas für die deutschen Unternehmen, die auch in Russland nach Profitma­ximierung streben. Man kann daraus nur schließen, dass die Deutschen zum Beispiel auf eine Wiederholung der Panzerschlacht von Kursk in Zukunft verzichten wollen. Der Men­schenrechtsdiskurs unter Staatschefs ist nichts anderes als die Verwertung des internationalen Kapitals mit men­schlichem Antlitz.

Die Deutschen neigen dazu, den Personen, die sie als ihre Vertreter gewählt haben, zu viel Bedeutung zuzuschreiben. Auch wenn Merkel in Moskau einen Seitensprung begangen hätte und sie und Putin ein heimliches Liebespaar wären, würde in Russland dennoch die Presse geknebelt, würden die Menschen­rechte mit Füßen getreten, würde früh­kapitalistischer Brutalität gehuldigt. Es geht immer nur um Profite und damit um Macht und nicht um das Gerede drumherum. Den einzig entscheidenden Satz bringt das Neue Deutschland: »Zufrieden zeigten sich beide mit den ›atemberaubenden Zuwächsen‹ (Merkel) im bilateralen Handel, der 2005 ein Rekordvolumen von 26,66 Milliarden Euro erreichte.«

Schön, dass wir darüber geredet haben.