Benzin ins Feuer

Wirtschaftsreformen im Irak von jörn schulz

Einige Lektionen der bürgerlichen Demokratie haben die irakischen Politiker sehr schnell gelernt. Erst eine Woche nach den Wahlen am 15. Dezember beschloss die Regierung, den Preis für Benzin um etwa 500 Prozent zu erhöhen. Mit nunmehr umgerechnet 64 US-Cent pro Gallone ist das Benzin im internationalen Vergleich zwar immer noch billig. Für die Irakis mit ihrem durchschnittlichen Jahreseinkommen von umgerechnet 1 000 Dollar ist die Preiserhöhung jedoch eine enorme Belastung, zumal sie wegen der erhöhten Transportkosten in allen Lebensbereichen spürbar ist.

Die Preiserhöhung war eine Bedingung für die Auszahlung eines IWF-Kredits in Höhe von knapp 700 Millionen Dollar. »Dieses Arrangement wird die ökonomische Stabilität untermauern und dazu beitragen, eine offene und prosperierende Witschaft im Irak zu schaffen«, glaubt der US-Finanzminister John Snow. Viele Irakis waren anderer Ansicht, in vielen Städten kam es zu Unruhen und Demonstrationen.

Der Internationale Währungsfonds will den Benzinpreis bis zum Ende des Jahres noch einmal verdoppeln. Die amtierende Regierung hat diesen Plänen bereits zugestimmt, die Teil der klassischen »Strukturanpassung« sind und den Abbau von Subventionen, Privatisierungen und die Schaffung von günstigen Bedingungen für Investoren vorsehen.

Am Freitag wurden die Wahlergebnisse bekannt gegeben. Die schiitischen und kurdischen Parteien haben Parlamentssitze verloren, sunnitisch-arabische Organisationen werden 55 statt bislang 17 Abgeordnete stellen. Bei den Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung geht es jedoch um die Verteilung von Macht und Ressourcen, nicht um Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Mitte Januar veröffentlichten fünf irakische Gewerkschaftsverbände aus allen Teilen des Landes eine gemeinsame Erklärung, in der sie unter anderem die »vollständige Souveränität« des Irak bei der Verwaltung der Energie­ressourcen, eine bedingungslose Schuldenstreichung, eine Rücknahme der Benzinpreis­erhöhung und eine Abkehr von der Politik der Privatisierung und »Strukturanpassung« fordern.

Nicht nur Gewerkschafter kritisieren die rigorose Durchsetzung wirtschaftsliberaler Grundsätze. Robert Mabro, der ehemalige Vorsitzende des Oxford Institute for Energy Studies, hält die Reformen schlicht für »verrückt«. Aber auch das Pentagon fordert in der Studie »National Strategy for Victory in Iraq« eine »Balance zwischen der Notwendigkeit wirtschaftlicher Reformen« und den »politischen Realitäten«.

In der Praxis hat die US-Regierung die »politischen Realitäten« stärker berücksichtigt, als öffentlich eingestanden wird. Obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen längst geschaffen wurden, gab es bislang keine Privatisierung staatlicher Betriebe, und auch die Ölquellen wurden entgegen vielen Prophezeiungen nicht an US-Konzerne verteilt. Diese Zurückhaltung dürfte nicht allein auf den Mangel an risikofreudigen Investoren zurückzuführen sein. Es wäre riskant, die ohnehin immense Arbeitslosigkeit, die je nach Landesteil auf 20 bis 70 Prozent geschätzt wird, durch Privatisierungsmaßnahmen weiter zu erhöhen.

Die IWF-Experten sind daran gewöhnt, die ihren Maßnahmen folgenden Aufstände zu ­ignorieren. Doch die US-Regierung muss dringend Erfolge im Irak vorweisen und könnte geneigt sein, auf soziale Forderungen einzugehen. Immerhin sind die Gewerkschaften führend beim »nation building«. Während Kurden, Schiiten und Sunniten sich im Parlament nur notgedrungen zusammenraufen, vertreten sie in der Gewerkschaftsbewegung gemeinsame Interessen.