Das Ende der Kumpelpolitik

Angela Merkel spricht Klartext, ohne dabei jemandem wehzutun. Sie ist der Gegenentwurf zum Macho Schröder und deshalb so beliebt. von ivo bozic
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Wie ein mit Testosteron vollgepumpter Hooligan verabschiedete sich Gerhard Schröder nach der Wahl von der politischen Bühne. Er ging mit derselben Siegerpose, mit der er jahrelang alle genervt hatte, mit den überm Kopf zusammengefalteten Händen, die nichts aussagten als: Schaut her, ich bin der King! Geht mir aus dem Weg, ich habe den größten Schniedel!

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die Politik unter Rot-Grün zusammengeschustert wurde. Die Paschas Gerd und Joschka, Kumpels aus alten Tagen, sitzen beim gepflegten Pils zusammen und hecken große Pläne aus. Ein Anruf bei Kollege Putin: Hey Kamerad, wie läuft’s in der Pipeline, hahahaha. Und jetzt scho­cken wir noch mal kurz den ollen Bush!

Angela Merkel ist eine ganz andere Kanzlerin. Und zwar nicht, weil sie eine Frau ist. Auch Frauen können Kumpelpolitik machen, auch wenn sich das nicht so derb offenbart wie bei Schröderfischers. Aber Merkel ist Kanzlerin einer fragilen großen Koalition. Sie trifft sich nicht mit Steinmeier in der Sauna, sie muss die offiziellen Wege gehen, über Gremien und Fraktionen. Dabei kommt eben so etwas heraus: Zu Bush fahren, die große Freundschaft feiern und dabei noch ein paar kritische Töne zu Guantánamo verlieren. In Moskau nett sein zu Putin, aber auch zu den Menschenrechtsvereinen. Alle Seiten berücksich­tigen und beschwichtigen und von überall Anerkennung einheimsen. Klartext sprechen, ohne jemandem weh zu tun. So hat sich Merkel auch an die CDU-Spitze manövriert, ihre Macht dort vergrößert. Das passt zur großen Koalition der Mitte.

Und dass dieser Stil gut ankommt, dass Merkel so beliebt ist, ist nicht verwunderlich, nach all den Zumutungen, die wir mit Schröder erleiden mussten. 79 Prozent der Deutschen finden, dass Merkel Deutschland in den USA und Russland »gut vertreten« hat.

Beliebt zu sein – das ist es, wonach es den Deutschen dürstet. Seit 60 Jahren schon. Hier mal eine SMS hinschicken: Huhu, alles in Ordnung bei euch? Und mal dorthin eine SMS: Na, wie läuft’s, alles tutti? Das hat Schröder nicht vermocht, er hatte nicht einmal ein Handy. Wenn ihn jemand erreichen wollte, berichtete er einmal ohne den geringsten Anflug der Scham, musste der seinen Personenschützer anrufen. Merkel hingegen will nicht erreicht werden, sie will jemanden erreichen, am besten alle. Gäbe es die Möglichkeit, an alle Bundesbürger gleichzeitig eine SMS zu verschicken, würde sie eifrig davon Gebrauch machen.

Dass sie eine Frau ist, ist wie gesagt nicht der Grund für den neuen Stil, aber es fördert dessen öffentliche Wahrnehmung. Alle sind froh, dass die selbstgerechten, spät­pu­ber­tie­renden Prollo-Zampanos mit ihren Kaschmirsmokings weg vom Fenster sind. Sie haben zu sehr das Bild vom deutschen Größen­wahn bedient. Das fand man eine Zeit lang groovy, das passte zum neuen deutschen Selbstbewusstsein, aber mit der Zeit war es dann nur noch peinlich. Es ist dieselbe Sache wie bei Schalke-Manager Rudi Aussauer, auch so ein Kaschmirprolet. Das geht eine Weile als schwer cool durch, irgendwann wird es unseriös. Die französische Tageszeitung Le Soir schrieb zu der Kumpelpolitik Schröders gegenüber Putin: »Angela Merkel hat diese Kameradschaft beerdigt.« Das trifft es gut. Sie spricht lieber von »strategischer Partnerschaft«, was nicht bedeutet, dass die Strategie deshalb eine andere ist.

Merkel, Müntefering, Steinmeier werden die Politik der neuen Souveränität Deutschlands fortführen, aber nicht so rumpelig, nicht so burlesk. Statt Schwanzvergleich ist wieder Diplomatie gefragt.

»Gute Diplomatie ist beides: psycholo­gisches Feingefühl und Klarheit«, schrieb neulich das Handelsblatt. Allerdings nicht über Merkel, sondern über US-Außenministerin Condoleezza Rice, deren Stil ebenfalls in besonderem Maße wahrgenommen und medial rezipiert wird, weil sie sich so deutlich vom dumpf-charmanten und blasierten Auftreten George W. Bushs absetzt – unterstützt davon, dass sie eine Frau ist.

Merkel kann den neuen Politikstil gut verbildlichen, weil man Frauen so etwas zugesteht, prägen tun ihn andere, Männer: zum einen der wenig an Brimborium interessierte Außenminister Steinmeier, zum anderen Berater wie Christoph Heusgen, »Merkels Welt-Erklärer«, wie ihn die Zeit nannte. Er ist im Bundeskanzleramt als Abteilungsleiter für Außen- und Sicherheitspolitik tätig und soll Merkel, so schreiben es Zeitungen, »über die Klip­pen der Diplomatie getragen« haben. Doch Merkels größtes Kapital ist nach wie vor Schröder. Sein feistes Sieger­lächeln ist es, das sie über die Klippen trägt. So lange, bis man den Kerl vergessen hat.