Früher war alles besser

Der »Aktionsplan Respekt« der britischen Regierung sieht drakonische Strafen für jugendliche »Unruhestifter« und ihre Eltern vor. von fabian frenzel, sheffield

Waren die Slums von Glasgow in den dreißiger Jahren ein Hort von sozialer Wärme und nachbarschaftlicher Solidarität? Diese Frage interessiert derzeit nicht nur britische Sozialhistoriker. Verantwortlich für die momentane Debatte ist Premierminister Tony Blair, der vor zwei Wochen eine Regierungserklärung zu den sozialpolitischen Vorhaben der nächsten Jahre abgab. Die Einführung des »Aktionsplans Respekt« begründete der Premier mit einem rhetorischen Rekurs in die Jugendzeit seines Vaters. Leo Blair, der in den dreißiger Jahren in einem Arbeiterbezirk von Glasgow aufwuchs, wäre erstaunt, wenn er das Ausmaß von unsozialem Verhalten auf britischen Straßen heutzutage sehen könnte, ließ Blair verlauten. Die bisherigen Gesetze seien »völlig nutzlos«, um die »gewöhnlichen Bürger« vor den Auswüchsen von Chaos und Unordnung auf den Straßen zu schützen. Die neuen Gesetze, die im Aktionsplan vorgesehen sind, sollen da Abhilfe schaffen.

Geplant sind nächtliche Ausgangssperren, Geldstrafen sowie Strafarbeit für unsoziales Verhalten Jugendlicher. Die in Großbritannien als Asbo (Anti Social Behaviour Order) bezeichneten, ohne Gerichtsverfahren verfügten Strafen werden bereits seit dem Jahr 2004 angewendet, z.B. gegen Haushalte, die ihre Nachbarn durch laute Musik stören oder gegen Sprayer.

»Asbo« zu sein, gilt derweil in Jugendgangs als hip und scheint seine Wirkung insofern verfehlt zu haben. In dem neuen Aktionsplan ist vorgesehen, die Asbo-Strafen zu verschärfen. In Zukunft werden insbesondere auch die Eltern von Jugendlichen, die »außer Kontrolle« sind, ins Visier genommen. Eltern von delinquenten Unruhestiftern sollen fortan gezwungen werden, an Erziehungslehrgängen teilzunehmen. Sozialarbeiter, Psychologen und Polizeibeamte werden in einer neuen nationalen Erziehungsakademie dazu ausgebildet, diese Kurse zu leiten. Als besonders kontrovers gilt ein neues Gesetz, nach dem Störenfriede für drei Monate aus ihrem Haus verbannt werden können. Dies richtet sich zum Beispiel gegen Studenten-WGs, die mit lauter Musik ihren Nachbarn auf die Nerven gehen, wie Innenminister Charles Clarke im BBC Radio erklärte. Das Gesetz, das im Falle von Familien auch den vor­über­ge­hen­den Entzug des Sorgerechts mit sich bringen kann, wird allerdings zunächst nur getestet.

Der neue Focus auf die Eltern greift ein beliebtes Thema der britischen Fernseh-Öffentlichkeit auf. In der Reality-Show »Super Nanny« interveniert die Hauptdarstellerin in Problemfamilien und therapiert Kinder und Eltern kamerawirksam. Nicht wenige Kritiker werfen Blairs Aktionsplan denn auch Populismus vor, allen voran der neue Oppositionsführer David Cameron. Die »Respekt-Agenda« sei nichts als ein Blickfang, während Labour die wirklichen Ursachen sozialer Probleme nicht angehe, erklärte Cameron. Vertreter von Kinderschutzgruppen kritisieren, dass der Plan außer mehr Repression keine neuen Antworten biete und nicht über die ökonomischen Ursachen der sozialen Probleme insbesondere allein erziehender Eltern geredet werde.

Blair will indes keinen Zusammenhang zwischen Armut und sozialen Problemen sehen: Die Arbeiterfamilien im Glasgow der dreißiger Jahre seien arm gewesen, aber unter den Menschen habe mehr Respekt geherrscht. Mit dem Bild einer rosigen Vergangenheit hat der Premier harsche Kritik von Zeitzeugen provoziert. »Völliger Blödsinn«, kommentierte ein ehemaliger Nachbar der Großeltern Blairs in der Sunday Times. »Die Jugendlichen haben damals genau so viel Mist gemacht wie heute.« Pikanterweise erinnerte sich der 84jährige Mann außerdem daran, wie er mit Blairs Großmutter Mary Blair Parolen für die Kommunistische Partei auf Hauswände malte. Heute wäre sie damit ein klarer Fall für das Asbo.