Genossen ohne Moral

Wegen eines Bankenskandals geraten die Linksdemokraten in Italien unter Druck. Berlusconi nutzt die Chance, den Wahlkampf zu seinen Gunsten zu wenden. von federica matteoni

Mit einem spektakulären Schritt eröffnete der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi vergangene Woche seinen Wahlkampf für die im April stattfindenden Neuwahlen. Er tat nämlich etwas, was er bislang nie freiwillig gemacht hatte: Er stellte sich bei den ihm eigentlich verhassten Staatsanwälten in Rom vor und bat um ein Gespräch. Der italienische Regierungschef wollte als Zeuge vernommen werden, um Politiker der Opposition anzuzeigen. Bereits am Vortag hatte er in einem Fernsehauftritt angekündigt, er verfüge über Beweise dafür, dass Spitzenpolitiker der Linksdemokratischen Partei DS in der Übernahmeschlacht um die Banca Nazionale del Lavoro (BNL) mitgemischt hätten; er habe »viel zu erzählen« über die Kontakte zwischen Finanzwelt und Oppositionspolitikern.

Seit Wochen machen die angeblich illegalen Machenschaften der Linksdemokraten in Italien Schlagzeilen. Genauer gesagt: seit die rechtsliberale Tageszeitung Il Giornale – im Besitz der Familie Berlusconi – ein Telefongespräch zwischen dem Generalsekretär der DS, Piero Fassino, und dem Chef des Versicherungskonzerns Unipol, Giovanni Consorte, veröffentlicht hat. Der Skandal, der eine immer größere politische Dimension gewinnt und die Opposition in Bedrängnis bringt, wurde durch den Satz von Fassino ausgelöst: »Na Gianni, haben wir jetzt eine Bank?«

Die Frage bezog sich auf die Übernahme der Großbank BNL durch Unipol – ein Unternehmen, das genossenschaftlich von den vor allem in Mit­tel­italien mächtigen Kooperativen getragen wird und als »roter« Konzern gilt. Fassinos Worte lassen erkennen, dass der Parteichef die Übernahmeschlacht von Unipol nicht nur »mit Sympathie« verfolgte, sondern auch konkret unterstützte. Zwar wird ihm nicht vorgeworfen, Bestechungsgelder kassiert zu haben, der inzwischen zurückgetretene Consorte hat jedoch bei der Übernahmeschlacht dunkle Geschäfte mit fragwürdigen Partnern gemacht und für sich selbst eine Summe Schwarzgeld in Höhe von 50 Millionen Euro in der Schweiz angelegt.

Dass Consortes Telefon abgehört wurde, lag eben an seinen Beziehungen zu dem Banker Giampiero Fiorani, der inzwischen verhaftet worden ist. Er ist in einen größeren Bankenskandal verwickelt, der im Dezember aufgedeckt wurde. Obwohl die Ermittlungen noch am Anfang sind, ist zu erwarten, dass sie einen gigantischen Sumpf enthüllen werden. In Italien redet man deshalb bereits von einem zweiten »Tangentopoli«, denn das alles weckt Erinnerungen an den spektakulären Parteispenden­skan­dal der neunziger Jahre, in dessen Sog ein Großteil der italienischen politischen Klasse abtreten musste. Als erste Folge des neuen Banken­skandals trat Ende vorigen Jahres der Notenbankchef Antonio Fazio wegen Insidergeschäften und Korruption zurück.

Die Verbindungen von linken Politikern zu kriminellen Geschäftsleuten und dubiosen Figuren aus der Finanz­welt kommen Berlusconi sehr gelegen, um den Wahlkampf zu seinen Gunsten zu wenden. Er nutzte sofort die Gelegenheit, eine groß angelegte Medienkampagne über die moralische Beschaffenheit der Linken zu starten. Die Botschaft, die er derzeit ununterbrochen auf allen Fernsehkanälen verkündet, lautet: Die Linke, die mich ständig wegen des Interessenkonflikts angegriffen hat, ist selbst korrupt.

In diesem Wahlkampf wird man also einen neuen Berlusconi erleben: Er wird sich zwar weiterhin gelegentlich als »armen Unternehmer« stilisieren, den »die Kommunisten« nur »aus Neid« attackieren. Auf der politischen Bühne und in den Medien wird er sich jedoch in den nächsten zwei Monaten als »Hüter der Moral« präsentieren, der seinen Gegnern unverfroren vorwirft, auf fatale Weise »Politik mit Geschäften« vermischt zu haben. Er hingegen, das dürfen die Zuschauer nicht vergessen, habe als Unternehmer aufgrund seines Engagements in der Politik »nur Nachteile« gehabt. Wenn er sich auf die Vielzahl von Prozessen bezieht, die gegen ihn anhängig sind, mag er Recht haben. Mit einer Mischung aus Belustigung, Entrüstung und Hilflosigkeit sieht nun die Linke zu, wie Berlusconi dreist den Vorkämpfer für die Moral mimt.

Ob er damit die Wahlen gewinnen wird, bleibt offen. Seine Medienoffen­sive hat jedoch bereits einige Resultate erzielt. Nicht nur hat ersten Umfragen zufolge der Ruf der Opposition durch die Affäre gelitten, die Linke scheint sich selbst in der Falle der »moralischen Frage« verfangen zu haben. Der Bankenskandal hat innerhalb der italienischen institutionellen Linken eine Debatte ausgelöst, die weit über die Attacken des Ministerpräsidenten auf einzelne Politiker hinausreicht. Auf dem Spiel steht dabei ein wichtiger Bestandteil linker Identität, die – zumindest bis »Tangentopoli« – eine Art »Monopol auf die Moral« für sich beansprucht hatte. Dass Politik nicht als Mittel der persönlichen Bereicherung gesehen wurde, galt schon immer als das, was die Linke von den anderen Parteien unterscheidet. Was tun, jetzt, da die Kampagne von Berlusconi – völlig unabhängig davon, ob seine Vorwürfe rechtliche Folgen haben werden – droht, die Botschaft durchzusetzen: »Die sind eben alle gleich«? Es gilt zu betonen, dass die Linke »anders« ist.

Worin dieses »Anderssein« aber genau besteht, darum geht es in dieser Debatte. Einerseits verteidigen die parteitreuen Linksdemokraten ihre Chefs und weisen alle Vorwürfe als Diffamierungen zurück mit dem Argument: »Wir sind rechtschaffene Leute.« In einem Land, das fünf Jahre lang von Berlusconi regiert wurde, verwundert es kaum, dass die größte Linkspartei ihre einzige Aufgabe nur noch darin sieht, nicht korrupt zu sein.

Etwas kritischer argumentieren die Mitglieder von Rifondazione comunista. Sie können sich zwar, zumindest vor den Wahlen, keinen direkten Angriff auf die Linksdemokraten erlauben – auch sie gehören zur Mitte-Links-Koalition – , sie wollten jedoch die Chance nicht verpassen, anhand dieses Skandals ihren Koalitionspartnern eine moralische Lektion zu erteilen: Die Linke soll sich von der Geschäfts- und Finanzwelt fernhalten und sich lieber mit der Vorstellung einer »anderen Gesellschaft« beschäftigen.

Bei dieser Debatte scheint es eher um den Versuch zu gehen, den Schaden der Berlusconi-Offensive zu begrenzen, und weniger um eine »Identitätskrise«, bei der Inhalte diskutiert werden. Wer davon profitiert, ist jedenfalls klar: der Premierminister, der in der vergangenen Woche im Fernsehen allgegenwärtig war. Für die Zuschauer gab es kein Entrinnen vor seinen endlosen Monologen. Wenn er nicht als Studiogast in Talkshows eingeladen war, hat er bei den Sendungen angerufen, sogar im Verkehrsfunk war er zu hören. Er ging so weit, dass sich der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi zu dieser unentwegten Präsenz Berlusconis in den Medien äußerte und »mehr Pluralismus« forderte.

Weniger indirekt warnte die ansonsten im Ton eher moderate Tageszeitung La Repubblica vor dem Niedergang der Pressefreiheit in Italien: »Wir lagen ja schon hinter Botswana«, schrieb Curzio Maltese, sich auf eine vor kurzem veröffentlichte Statistik der Organisation Freedom House beziehend, »aber am Ende dieser Wahlkampagne riskieren wir, uns dem Iran anzunähern.«