Haus mit Seeblick

Im Haus der Wannsee-Konferenz wurde die neu ­konzipierte Dauerausstellung eröffnet. von kerstin eschrich

Die Teilnehmer der Konferenz braten im Höllenfeuer«, so leitete Yehuda Bauer, israelischer Historiker und Holocaustforscher, seinen Vortrag zur Eröffnung der neuen Dauerausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz ein. »Könnten sie jetzt hier sein«, fuhr er fort, »dann sähen sie hier an diesem Ort einen jüdischen Professor aus dem unabhängigen Staat Israel. Dann würden sie es sicher­lich vorziehen, weiter in der Hölle zu schmoren.«

Die Konferenzteilnehmer waren, ob sie nun in der Hölle braten oder nicht, ihrem Ziel, die europäischen Juden zu vernichten, mit Hilfe der vielen willigen Vollstrecker allerdings sehr nahe gekommen. Bevor die Deutschen gestoppt werden konnten, ermordeten die Nationalsozialisten sechs Millionen Juden. Von elf Millionen Juden in Europa ist im Protokoll von Adolf Eichmann, dem Leiter des so genannten Judenreferats, die Rede, das er von der Konferenz in der Wannsee-Villa verfasste. Eine Kopie des Protokolls liegt in der Gedenkstätte aus. Am 20. Januar 1942 trafen sich dort auf Einladung Reinhard Heydrichs, Chef des Reichssicherheitshauptamts, 15 hochrangige NS-Vertreter, um die Organisation der Vernichtung der europäischen Juden zu besprechen. Begonnen hatte die »unterschiedslose Vernichtung von Männern, Frauen und Kindern« bereits kurz nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Herbst 1941, so Bauer.

Zentrales Thema der Gedenkstätte sind weiterhin die Wannsee-Konferenz und deren Bedeutung sowie die beteiligten Ämter und Personen. Neu an dieser Daueraus­stellung ist, dass sie nicht erst 1933, sondern bereits im 18. Jahrhundert einsetzt. Ein eigener Raum widmet sich dann dem Antisemitismus in der Weimarer Republik. Geschuldet ist dies vor allem den Erfahrungen der Gedenkstättenmitarbeiter mit den ungefähr 800 000 Besuchern in den vergangenen Jahren, die häufig mehr über die Wurzeln des Antisemitismus wissen wollten. Die Gedenkstätte war erst im Jahr 1992 in der prachtvollen Villa direkt am Wannsee errichtet worden. Davor hatte der Berliner Senat von diesem Projekt nichts wissen wollen.

Die Veränderungen seit dem Ende des Realsozialismus waren ein weiterer Grund, die Ausstellung neu zu konzipieren und auszustatten. Die Archive der ehemaligen Ostblockstaaten sind inzwischen allgemein zugänglich, was zu neuen Erkenntnissen über die Planung und Ausführung der Shoah geführt hat. Originaldokumente aus KGB-Archiven belegen die starke Beteiligung von Polizei- und Wehrmachtseinheiten an der Ermordung der Juden. Auch die Rolle der deutschen Zivilverwaltungen, die sich oftmals mit eigenen Initiativen bei der Vernichtung profilierten, kann nun durch Dokumente aus den Archiven genauer dargestellt werden. Etwa 95 Prozent der Fotos und Dokumente wurden neu ausgewählt. »Viele alte iko­nisierende Photos konnten ersetzt werden durch aussagekräftigere Bilder«, so Peter Klein, der die Ausstellung mitkonzipiert hat.

Viele der Juden, die auf Bildern in der Ausstellung zu sehen sind, haben den Tag der Befreiung nicht mehr erleben können. So wie die Mitglieder der Familie Reiss. Die einzige Überlebende ist die Tochter Esther Reiss, die zur Ausstellungseröffnung am Donnerstag gekommen war.

Dokumente, Bilder und Berichte über das Schicksal von vier jüdischen Familien begleiten die Besucher durch die 15 Räume der Ausstellung. Das ist Teil des neuen pädagogisch-didaktischen Konzepts. Der Leiter der Gedenk­stätte Norbert Kampe nennt dies: »Den Opfern im Haus der Täter ein Gesicht geben.« Einer der Porträtierten ist Alfred Silberstein, der 1927 geboren wur­de. Seine Eltern betrieben ein kleines Bekleidungsgeschäft in Berlin-Steg­litz, in der Nähe des Botanischen Gartens. In Raum 4 mit dem Thema »Rassistische Politik und Judenverfolgung in Deutschland 1933–1939« hängt eine Text­tafel mit einem Interview mit ihm. Silberstein schildert, was ihm und seiner Familie in der Pogromnacht widerfuhr. Der Laden seiner Eltern wurde verwüstet, der Vater verhaftet und deportiert. Beide Eltern wurden später in Auschwitz ermordet. Alfred Silberstein und seine Schwester Hansi überlebten. Vor 60 Jahren trat er als Zeuge gegen die Massenmörder bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen auf.

Auch die Familiengeschichte von Eugenia Tabaczynska ist in der Ausstellung präsent. Auf einigen Bildern ist die polnische Jüdin im Kreis junger Menschen in Warschau während des Krieges zu sehen. Auf der Texttafel steht, dass es sich bei den jungen Leuten um die Retter von Eugenia handelt. Sie konnten die Jüdin im Jahr 1940 durch Bestechung aus dem Warschauer Ghetto holen und ihr eine »arische« Identität beschaffen. Ad absurdum geführt wird allerdings die gelungene Dokumentation antinazistischer Aktionen, wenn gleichzeitig auch das Verhalten der Nazifilmerin Leni Riefenstahl beispielhaft ausgestellt wird. In Raum 6 »Handlungsspielräume unter deutscher Besatzung« ist ein Foto mit Riefenstahl zu sehen, die gerade »entsetzt«, wie es in der Bildlegende heißt, die Erschießung von Juden in Polen mit ansehen muss. Sie soll daraufhin ihr Amt als Kriegsberichterstatterin niedergelegt haben.

Im letzten Raum, der anregen soll, »über die Folgen, die die nationalsozialistischen Verbrechen bis in die heutige Zeit haben«, nachzudenken, hängen Bilder und Zitate von NS-Opfern und Verwandten von Tätern nebeneinander. Bezeichnend für die Zeit sind die Worte der Großnichte Heinrich Himmlers, Katrin Himmler, die Anfang der acht­ziger Jahre im Unterricht von Mitschülern auf ihre Verwandten angesprochen wurde: »Die Lehrerin aber wurde nervös und machte weiter, als sei nichts geschehen.«

Inzwischen wird nicht mehr geschwiegen über die NS-Vergangenheit. Mahnma­le und Gedenkstätten wurden errichtet, und ein Teil der Überlebenden wurde »entschädigt«. Heutzutage dankt die Vize­präsidentin des Deutschen Bundestages, Gerda Hasselfeldt, den Mitarbeitern der Gedenkstätte mit einem herzhaften »Ver­gelt’s Gott« für die gelungene neue Ausstellung. Um sich dann sehr zufrieden darüber zu äußern, dass nach einem Besuch keine Schuld- oder Schamgefühle aufkommen würden, vor allem nicht bei denen, die nicht dabei waren. Es wäre ja auch noch schöner, wenn sich jetzt plötz­lich die Kinder und Enkel für die Taten ihrer Verwandten schämen würden.

Dauerausstellung in der Villa am Wannsee. Am Großen Wannsee 56–58, 14109 Berlin. Eintritt frei. Info unter www.ghwk.de. Dort kann auch das Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar heruntergeladen werden.