Neue Quellen, alte Sitten

Ölförderung und Pipelinebau im Tschad sollten ein Modellprogramm für die Armutsbekämpfung sein. Nun wurde die Kreditauszahlung für das Projekt gestoppt. von sophie feyder

Es sollte ein neues Entwicklungsmodell sein, das die Interessen der Armen endlich ernst nimmt. Das Projekt sollte beweisen, dass der Zufluss von Petrodollars nicht notwendigerweise Konflikte und Korruption fördert. Die Weltbank finanzierte mit einem Kredit in Höhe von 3,7 Milliarden Dollar das Tschad-Kamerun-Projekt, die Erschließung von 300 Ölquellen und den Bau einer 1 070 Kilometer langen Pipeline zur Küste Ka­me­runs.

Das Projekt sollte ausländische Unternehmen anlocken und und sie zu Folgeinvestitionen in einer instabilen Region bewegen, aber auch skeptische Entwicklungsexperten überzeugen. Denn es sollte auch ein Projekt zur Armutsbekämpfung sein. Mit dem Petroleum Management Law wurde ein neuartiger juristischer Rahmen geschaffen, um die Verteilung der Öleinnahmen zu kontrollieren. Diese Einnahmen werden, ebenso wie die Kredite, auf ein Konto in London eingezahlt. Das Gesetz 001 besagt, dass 80 Prozent der Kreditsumme für »Prioritätssektoren« wie Ausbildung und Gesundheitsversorgung verwendet werden müssen. Weitere zehn Prozent werden in einen »Zukunftsfonds« für die kommenden Generationen eingezahlt. Ein Aufsichtskomitee mit Parlamentariern und Vertretern der Zivilgesellschaft überwacht die Verwendung des Geldes.

Plötzlich aber scheint die Weltbank selbst mit der Entwicklung ihres Modellprojekts nicht mehr zufrieden zu sein. Sie entschied Anfang Januar, eine Kredittranche in Höhe von 124 Millionen Dollar nicht auszuzahlen, weil das Parlament das Gesetz 001 revidiert hat. Die Regierung unter Präsident Idriss Deby hat nun auch keinen Zugriff mehr auf die in London deponierten Öleinnahmen.

Deby will selbst einen höheren Anteil des Öleinkommens ohne Kontrolle verwalten. Im Osten des Landes kämpfen mehrere bewaffnete Oppositionsgruppen für den Sturz des Präsidenten. Sie bestehen überwiegend aus desertierten Offizieren und Soldaten, und Deby benötigt Geld sowohl für eine Gegenoffensive als auch für die Bezahlung seiner verbliebenen Armeeangehörigen.

»Glückwünsche an den Präsidenten und den Premierminister – 2005 wurde niemandem eine Rente ausgezahlt«, stellt ein Transparent fest, das pensionierte Staatsangestellte bei einer Demonstration in der Hauptstadt N’Djamena am Montag der vergangenen Woche trugen. Ihren noch arbeitenden Kollegen geht es kaum besser; die Staatsangestellten traten Anfang Januar in den Generalstreik, um die Auszahlung der ihnen seit mindestens vier Monaten zustehenden Gehälter zu erzwingen.

Deby ist nicht von allen Finanzquellen abgeschnitten. Das Gesetz 001 gilt nur für drei Ölvorkommen in der Region Doba. Der Ertrag später entdeckter Ölquellen sowie die Abgaben der Konzerne, schätzungsweise 120 Millionen Dollar pro Jahr, fließen direkt in die Staatskasse. Wenn die Regierung ihre Angestellten nicht rechtzeitig bezahlt, sei dies nicht auf Geldmangel, sondern auf Korruption zurückzuführen, meint Michel Barka, der Präsident des Gewerkschaftsverbandes UST. Und wenn es ihr gelingen sollte, einen höheren Anteil der Öleinnahmen unter ihre Kontrolle zu bekommen, »wird die Situation weit schlimmer«.

Barka ist Mitglied des Komitees, das die Verwendung der Öleinnahmen überwachen soll. Doch Deby ist es gelungen, seinen Schwager und andere ihm ergebene Mitarbeiter im Komitee zu platzieren. Und selbst wenn Regierungskritiker wie Barka einen Betrug aufdecken, sind sie bei der Strafverfolgung auf das Wohlwollen der Justiz angewiesen.

Tschadische NGO hatten die Weltbank gewarnt, dass die tief verwurzelte Korruption sich nicht so ohne weiteres abschaffen ließe und deshalb die Unabhängigkeit des Komitees von Regierung und Justiz sichergestellt werden müsse. Nur drei von 145 untersuchten Staaten sind nach Angaben von Transparency Interna­tional noch korrupter als der Tschad. Doch die Weltbank ignorierte sogar den von ihr selbst in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht Extractive Industries Review, der empfohlen hatte, das Projekt erst zu beginnen, wenn ein minimaler Standard an »guter Regierungsführung« (Good Governance) und bei der Einhaltung der Menschenrechte erreicht sei. »Dies ist ein Projekt mit hohem Risiko und hohem Ertrag«, konstatierte die Weltbank, deren Experten glaubten, dass ihre Mitarbeit und das investierte Geld gemäß dem Prinzip »learning by doing« zum Erfolg führen würden.

»Learning by doing« – auf diese Weise muss die Weltbank nun selbst herausfinden, wie sie ihre Konzepte von »Transparenz« und »Good Governance« in die Tat umsetzen kann. »Alles hängt beim Tschad-Modell von der Geltendmachung der Gesetze und der Strafverfolgung in einem Land ab, in dem beides keine Tradition hat«, sagt Nikki Reisch, Ko-Autor des Berichts »Chad’s Oil Money: Miracle or Mirage«. Nur ein Demokratisierungsprozess, der die Bevölkerung des Tschad einbezieht und zur Etablierung kritischer Medien führt, schafft Bedingungen, unter denen eine Regierung tatsächlich bei den Wahlen zur Verantwortung gezogen werden kann.

Armutsbekämpfung ist für die Weltbank ein ab­strak­tes Programm der Fondsbildung. Die Kluft zwischen den Entwicklungsexperten der Weltbank und den »armen Leuten« bleibt gewaltig. Dorfbewohner werden nicht konsultiert, wenn es um die Projektplanung auf regionaler und lokaler Ebene geht. Die Ölförderung und die Pipeline verursachen ökologische Schäden, unter anderem gefährden sie die Grundwasservorräte. Auf die Proteste von Dorfbewohnern und NGO reagierte die Weltbank nicht.

Fragwürdig ist auch das Grundkonzept des Tschad-Modells, demzufolge ein einziges Großprojekt die Entwicklung eines ganzen Landes vorantreiben soll. Der Tschad verzeichnete im Jahr 2004 ein erstaunlich hohes Wirtschaftswachstum von 30 Prozent. Doch Ölförderung und -transport sind mit der lokalen Ökonomie nicht verbunden und tragen nicht zu ihrer Entwicklung bei, die Baumwoll- und Getreideproduktion ging sogar zurück. Nach dem Abschluss der Bauphase wurden die meisten Beschäftigten wieder entlassen, es scheint, als würde das Projekt kaum dauerhafte Arbeitsplätze schaffen. Die auch regional unterschiedliche Verteilung der Einnahmen führt zu Konflikten, und dass die zu erhoffende Beute verlockender geworden ist, dürfte zur Stärkung der bewaffneten Oppositionsgruppen beigetragen haben.

Dass auch dieses Modellprojekt nicht die versprochenen Erfolge gebracht hat, ist daher nicht allein die Schuld der korrupten Regierung. Dass die Weltbank beschlossen habe, die Zahlungen an den Tschad zu einzustellen, sei »ein bisschen so, wie wenn man das Scheunentor schließt, nachdem die Pferde entlaufen sind«, sagt Daphne Wisham vom Institute for Policy Studies. »Es ist eine nette Geste, aber vor allem symbolisch.«