Nicht so moralisch, bitte!

Der neue Spitzenkandidat der Berliner CDU ist anders als sein Landesverband. Er weiß, dass der Kalte Krieg vorbei ist. von jörg sundermeier

Friedbert Pflüger ist eine merkwürdige Gestalt in der deutschen Politik. Von Richard von Weizsäcker, den er auf seiner Website seinen »Lehrmeister« nennt, hat er gelernt, wie man sich so verhält, dass man als moralischer Mensch gilt. Weizsäcker, dem Pflüger ab 1984 zunächst als Leiter seines persönlichen Büros diente und ihm anschließend, im Bundespräsidialamt, als Pressesprecher zur Seite stand, schaffte es, sich auch die Stimmen derer zu erschmeicheln, die der CDU abgeneigt waren.

Er hat sich Weizsäcker zum Vorbild genommen und tritt immer wieder als ein verhältnismäßig ruhiger, ja nachgerade maßvoller Liberaler auf, der gewissermaßen nur zufällig bei den Konservativen gelandet ist. In der Debatte um die Anerkennung der Massaker an den Armeniern durch die Türken war Pflüger, anders als seine Fraktionskollegen, als sehr diplomatischer Redner zu hören, der immer wieder auch die deutsche Mitschuld am Massaker betonte. In der Debatte um den Abriss des Palastes der Republik in der vergangenen Woche warb er kitschig um die Stimme des »Herrn Kollegen Gysi« für den Abriss. Er betonte, Gysi müsse einsehen, dass der Palast »für SED-Diktatur steht. Ein Bauwerk, das Diktatur symbolisiert, gehört nicht zur Identität der Deutschen. Es hat weder mit der Iden­tität der Deutschen noch mit einer demokratischen Geschichte und Zukunft zu tun.« Mit diesen Worten erheischte er auch den Beifall der FDP und der SPD.

Und mit diesen Worten übernahm er zugleich zum ersten Mal die Rolle, die ihm in der vorigen Woche zugefallen ist – die des Spitzenkandidaten der Berliner CDU bei der Wahl im September.

Gegen seine Kandidatur hatten sich, obschon er der Favorit der CDU-Vorsitzenden war, die Granden der Berliner CDU gesperrt, denn er gilt ihnen als derart mo­ralisch, dass er manchmal vergesse zu schwei­gen. Auch können es die Westberliner Kiezgrößen kaum verzeihen, dass er Anfang der neunziger Jahre Bedenken gegen die Hauptstadt Berlin äußerte. Ausgerechnet er, der ein paar Jahre zuvor die rechte Hand des Regierenden Bürgermeisters gewesen war.

Und auch an andere Auftritte Pflügers, könnten sich die Berliner Christdemokraten, die ja seit jeher zu jenen schwarzen Landesverbänden gehören, in denen der Nationalismus virulent vertreten wird, viel­leicht noch erinnern. So wusste Pflüger 1994 in seinem Buch »Deutschland driftet – und zwar nach rechts!« von »schwarz-brau­nen Netzwerken« zu berichten, welche die Protagonisten der so genannten Konser­vativen Revolution verehrten: »Wird jetzt die rechte Tyrannei abgelegt, eingeordnet und bagatellisiert, die linke dagegen dämo­nisiert – so werden rechtsradikale und Konservative Revolutionäre salonfähig. Dann beanspruchen sie ihren Platz im demokratischen Verfassungsspektrum, dann verschiebt sich die Mitte nach rechts. Die Maßstäbe verschwimmen, und Deutschland driftet.«

Auch Pflügers Engagement gegen den An­ti­ame­ri­ka­nis­mus und die Proteste anlässlich des Irak-Kriegs werden sie nicht vergessen haben. Einerseits lieben die Berliner Konservativen die Amerikaner, der Luftbrücke wegen, andererseits träumt man gerade in ihren Kreisen wieder gern von einer von den USA entkoppelten, mächtigen deutschen Nation. Neben Angela Merkel und Wolfgang Schäuble war es insbesondere der Außenpolitiker Pflüger, der sich in die Talkshows begab und den es angesichts der Ausführungen der rot-grünen Politiker offensichtlich kaum auf seinem Stuhl hielt. Nicht selten griff er zu deutlichen Worten, um seinem Unmut Luft zu machen. Dass der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) an einer Friedensdemonstration teilnahm, bezeichnete er als »Schande«. Als Dustin Hoffman auf der Berli­nale des Jahres 2003 eine Rede gegen Bush hielt, verweigerte Pflüger die Standing Ovations. »An Pflügers Sturheit«, berichtete seinerzeit der Spiegel, »konnte auch Winnetou-Darsteller ­Pierre Brice nichts ändern, der den CDU-Mann mehrfach ermahnte aufzustehen.« Pflüger soll zu Brice gesagt haben: »Ich bin immer vorsichtig, wenn Deutsche kollektiv aufstehen und schwärmen.«

Nicht zuletzt sieht man es in der Berliner CDU nicht gern, dass der 50jährige Pflüger seit drei Jahren getrennt von seiner Ehefrau lebt und mit seiner neuen, wesentlich jüngeren Freundin ein Kind hat. Vor allem aber erschreckt es sie, dass er zu beiden öffentlich steht. Die Regenbogenpresse hat dieses Thema in den vergangenen Monaten bereits zu Genüge ausgeschlachtet.

Pflüger dürfte es also reichlich schwer haben mit einem Landesverband, der sich selbst nicht verändern will, zugleich aber nicht mehr leugnen kann, dass er in der Krise steckt. Bislang hat sich die Berliner CDU noch nicht von der politischen und innerparteilichen Veränderung infolge des Berliner Bankenskandals erholt, mit dem Parteivorsitzenden Ingo Schmitt will man zudem demonstrieren, dass man in Steglitz und Wedding den Kalten Krieg noch lange nicht für beendet hält.

Der Wahlerfolg jedenfalls, den Weizsäckers Kandidatur 1981 der CDU einbrachte, war nur durch die Schwäche der SPD möglich; inwieweit das für die Aufstellung eines Prominenten, der nicht aus Berlin kommt, spricht, ist fraglich. Erfahrene, über die Grenzen Berlins hinaus akzeptierte Politiker wie Christoph Stölzl oder Peter Kurth warfen jedenfalls recht schnell das Handtuch, während sich ein Bulettenboy wie Eberhard Diepgen ganz wunderbar als Landesvater inszenieren konnte.

Dass Pflüger die Wahl im September gewinnen könnte, glaubt zurzeit niemand. Zwar ist er jemand, der der sich weltmännisch gebenden Schwiegersohnigkeit eines Klaus Wowereit adäquat begegnen und jedes Rededuell gewinnen kann, doch da er weder im Abgeordnetenhaus auftritt noch in sonstiger Hinsicht eine große Anbindung an die Stadt verspürt, wird »Wowi« eine solche Begegnung nicht fürchten müssen.

Und auch die Berliner CDU muss nicht um ihre Pfründe fürchten, denn Pflüger dürfte, wenn das Wahlergebnis zwar gut, die Wahl aber verloren ist, in die Bundespolitik zurückkehren und die Berliner ihre Diäten genießen lassen. Am Umbau der Berliner CDU jedenfalls scheint er desinteressiert. Mit seiner Intervention gegen Gysi zeigte er allerdings, dass er gern für die nationale Sache spricht, wenn es die Strategie erfordert. Sollte er allerdings ernsthaft meinen, dass »ein Bauwerk, das Diktatur symbolisiert«, nicht zur Identität der Deutschen gehöre, so wünscht man ihn sich geradezu als Bürgermeister. Denn er müsste das Flughafengebäude in Tempelhof, das Olympiastadion, das Finanzministerium und zahlreiche andere Prachtbauten der Nazis abreißen lassen.