Lebendige Leiche

Der Europarat verurteilt die ­»Verbrechen kommunistischer Regime« von berhard schmid

Das Kürzel »Pace« steht in diesem Fall nicht für Frieden und Regenbogenfahnen, sondern für die parlamentarische Versammlung des Europarats. Dem Gremium gehören Abgeordnete aus 46 europäischen Staaten an. Der Europarat ist kein Gremium der Europäischen Union, sondern ein Organ der kontinentalen Kooperation, ihm gehören auch Russland und die Türkei an.

Am Donnerstag voriger Woche hatten die Parlamentarier beim Europarat über einen Resolutionsentwurf zu entscheiden, der im Vorfeld heftig umstritten war und zu größeren Straßenprotesten etwa in Griechenland führte. Er hatte die »internationale Verurteilung der Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime« zum Gegenstand. Berichterstatter war der konservative schwedische Parlamentarier Göran Lindblad. Die Pace stimmte mit 99 zu 42 Stimmen dem Entwurf zu, verfehlte damit jedoch die nötige Zweidrittelmehrheit, die erforderlich gewesen wäre, damit die Resolution für die Mitgliedsstaaten des Europarats verbindlich wird.

In dem Text selbst, vor allem aber in den Erläuterungen des Berichterstatters wird eine Parallele zwischen »dem Kommunismus« und den Verbrechen des Nationalsozialismus gezogen: Letztgenannter sei international verurteilt und geächtet worden, aber »ähnliche, im Namen des Kommunismus begangene Verbrechen« seien dem bisher entgangen. Noch schlimmer: »Obwohl kaum nachvollziehbar, hat bisher nicht einmal eine ernsthafte und eingehende Debatte über die Ideologie stattgefunden, die hinter (…) dem Tod von Millionen Menschen und der Not ganzer Völker stand«, so Lindblad. Diese Ideologie wird kurz als »Theorie des Klassenkampfs« charakterisiert. Als »Wesensmerkmal kommunistischer Herrschaft« erläutert der schwedische Berichterstatter unter anderem: »Die Verstaatlichung der Wirtschaft (…) engt das Privateigentum und die wirtschaftliche Aktivität des Einzelnen ein.« Damit werden zielsicher jene Punkte herausgegriffen, für die die so genannte kommunistische Herrschaft – aus emanzipatorischer Perspektive – zu allerletzt zu kritisieren ist. Zwar wäre statt der in Ländern wie der Sowjetunion erfolgten Verstaatlichung eine tatsächliche Kollektivierung wirtschaftlicher Macht, eine basisdemokratische Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu fordern. Aber diese Diskussion ist sinnvoll nicht mit den Lindblads dieser Welt zu führen.

An solchen Stellen wird überdeutlich, dass es den Urhebern der Resolution nicht darum geht, den eklatanten Widerspruch aufzuzeigen, der zwischen dem Anspruch des Kommunismus – eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, ohne Herrschaft zu schaffen – und der Praxis bestimmter Regime klafft. Ein solcher Widerspruch bestand beim Nationalsozialismus, der fälschlich mit dem »Kommunismus« parallel gesetzt wird, keinesfalls: Er kündigte von Anfang an seine Vorhaben an – Dominanz einer »Herrenrasse« und Vernichtung – und begann, einmal an die Macht gekommen, sie in die Tat umzusetzen. Daher betreibt die Resolution nackten Geschichtsrevisionismus.

Lindblad und Konsorten zeigen sich besorgt darüber, dass »sich nach wie vor viele Politiker (…) von verschiedenen Elementen dieser Ideologie, z.B. Gleichheit oder soziale Gerechtigkeit, verführen« lassen. Demgegenüber fordern sie eine »öffentliche Aufklärungskampagne«, und insbesondere eine »Aufklärung junger Menschen«, so der Resolutionstext, über die schlimmen Gefahren des Kommunismus. Anscheinend handelt es sich bei dem Kommunismus, der vielfach als »tot« beschworen wird, um eine verdammt lebendige Leiche.