Die inszenierte Weiblichkeit

Diven, Vamps, Lolitas – die Retrospektive der Internationalen Filmfestspiele ist den Traumfrauen im Kino der fünfziger Jahre gewidmet. von esther buss

Scarlett Johansson ist schlau. Sie hat einiges bei den fünfziger Jahren abgeguckt und damit das zeitgenössische Bild eines Weltstars mit dem Glamour des alten Hollywood aufgewertet: ein bisschen Lana Turner, ein bisschen Marilyn Monroe. Sie ist gleichzeitig Femme fatale, melancholisches Mädchen und eine richtige Diva.

Hingegen konnte das restaurative Klima der Nachkriegszeit und des Kalten Krieges weniger Angebote machen, sich »Images« wie aus einem Baukasten auszusuchen. Das Kino der fünfziger Jahre verlangte nach ganz bestimmten Weiblichkeitsbildern (was ja heute nicht wirklich anders ist) und brachte dabei doch auch ganz andere hervor. Gerade die Spannung zwischen Verklemmtheit, Wertekonservatismus und einer Stimmung des Aufbruchs und Neubeginns ist hierbei interessant. Auch unterscheiden sich die Inszenierungen von Weiblichkeit noch mal ganz stark, je nachdem, ob man nach Hollywood oder Europa guckt. Unter dem schon leicht abgenutzt klingenden Titel »Traumfrauen« zeigt nun die 30. Retrospektive der Berlinale 45 Filme aus den fünfziger Jahren, in denen 30 Schauspielerinnen aus den USA, Europa und Japan im Mittelpunkt stehen.

Traumfrauen sind künstlich erschaffene Wesen. Sie kommen weder vom Mars, noch entstehen sie aus sich selbst heraus. Sie werden »gemacht«: von Regisseuren, Produzenten, Drehbuchautoren, den Medien – und von den Körpern der Schauspielerinnen bzw. dem Bild, das diese hervorrufen. Stars haben etwas, das sie von »Darstellerinnen« unterscheidet. Denn sie verfügen über etwas, das über das Spiel einer Figur hinausgeht, das nichts damit zu tun hat, ob es nun gut oder schlecht gemacht wurde. Erst dieses »etwas« lässt sie zu Identifikationsfiguren und Projektionsflächen werden. Damit diese Übertragung funktioniert (die natürlich unterschiedlich abläuft, je nachdem, ob sie von Männern oder Frauen angeguckt werden), muss jedoch ein bestimmtes Bild wieder und wieder reproduziert werden. Eine »Traumfrau« darf also nicht zu kompliziert gebaut sein. Sie muss in ein, zwei Worten einen spezifischen »Typ« verkörpern: Vamp, Diva, Femme Fatale, Mäd­chen, Kindfrau, Naturfrau, Jungfrau, Kameradin, Grande Dame, Heimchen oder Seelchen etc.

Wie wenig Stars über sich selbst verfügen, hat man immer dann gesehen, wenn sie versucht haben, andere Bilder von sich selbst zu produzieren. Das kam besonders im amerikanischen Kino selten gut an. Lösten sich diese starren Typologisierungen in den sechziger Jahren weitestgehend auf, hatten sie noch zehn Jahre früher als nahezu unverrückbar gegolten. Unvorstellbar, dass sich eine Schauspielerin wie Ava Gardner 15 Kilo angegessen und sich von Maskenbildnern zu einer heruntergekommenen Serienkillerin hätte stylen lassen – was Charlize Theron für »Monster« ehrgeizig auf sich genommen hat. Diese Formen des Authentizismus – im zeitgenössischen amerikanischen Kino ist die Zurichtung auf einen »anderen Körper« ja zu einer sportlichen Disziplin geworden – passten nicht in die damalige Kinowirklichkeit.

Das Hollywoodkino der fünfziger Jahre war nie an naturalistischen Darstellungsweisen interessiert, sondern arbeitete vielmehr an Mythenbildungen. Trotz aller Künstlichkeit, Stilisierung und mythischen Verarbeitung kann man jedoch insbesondere im Melodram sehen – für Charakterschauspielerinnen das bevorzugte Genre –, welche gesellschaftlichen Konflikte gerade ganz besonders dringlich waren. Neben vielen anderen Melodramen verhandeln etwa »A Star Is Born« von George Cukor (1953/54) oder »All About Eve« von Joseph L. Mankiewicz (1950) die Schwierigkeit, privates Glück (Liebe) und öffentliche Anerkennung (Arbeit) gleichermaßen zu erlangen. Filme wie diese lösen den Konflikt von Selbständigkeit und Erfolg auf der einen und Liebe auf der anderen Seite durch Kompromiss, Verzicht und Opfer. Kein Regisseur hat das so präzise, hintergründig und intelligent durchgespielt wie Douglas Sirk – und zwar innerhalb der Konventionen des Genres. In seinen damals noch als seichte Rührstücke verpönten Melodramen wie »All That Heaven Allows« oder »Imitation of Life« wird Amerika vor allem als Land der begrenzten Möglichkeiten inszeniert, in dem letztlich kleinbürgerliches Erfolgsstreben den Lebensentwurf bestimmt.

Dagegen machte z.B. das Kino Ingmar Bergmans ein ganz anderes Angebot. In dem Film »Die Zeit mit Monika« (1952/53) spielt Harriet Andersson eine aufgewühlte und von »großen« Kinomythen bestimmte Frau, die mit einem netten Jungen eine wilde und leidenschaftliche Zeit auf einem Motorboot in der einsamen Natur verbringt. Nach Ablauf des Sommers kehrt das Outcast-Paar zerlumpt und hungrig in die Stadt zurück. Sie heiraten, bekommen ein Kind, die klassische Kleinfamilie eben, dann verlässt Monika Mann und Kind. Dass sie dieses Tabu bricht – und zwar nicht, weil sie schlecht behandelt wird, sondern ganz einfach aus Langeweile und unerfülltem Begehren –, ist weitaus radikaler als jede rebellisch-regressive Aktion der so genannten Halbstarken. Die schwedische Schauspielerin Harriet Andersson wurde durch Bergmans Film zum Inbegriff der antibürgerlichen Rebellin. Aber vor allem ihr aufsässiger Gang, die Art und Weise, wie sie aggressiv Kaugummi kaut und schlecht gelaunt Zigaretten raucht, machten sie zu einer Kultfigur.

Für viele europäische Schauspielerinnen bedeutete der Erfolg im eigenen Land den Anfang einer internationalen Karriere. Hildegard Knef, durch einige Trümmerfilme noch eng mit Nachkriegsdeutschland identifiziert, avancierte durch »Die Sünderin« (Willi Forst, 1950/51) endgültig zum Star, verließ die Bundesrepublik und arbeitete im amerikanischen und britischen Kino. Maria Schell drehte in Italien, Frankreich und den USA und heulte sich in Viscontis »Weiße Nächte« an der Seite von Marcello Mastroianni durch den halben Film. Anna Magnani war außerhalb Italiens in Filmen von Sidney Lumet und Jean Renoir zu sehen, Sophia Loren wurde nach Hollywood geholt. Und bei Deborah Kerr und Jean Simmons fragt man sich gar nicht, ob sie nun Amerikanerinnen sind oder nicht. Umgekehrt kam der Transfer vom Hollywood- ins europäische Kino allerdings nicht so gut an. Als Ingrid Bergman Amerika den Rücken kehrte, um unter der Regie ihrer neuen Liebe Roberto Rossellini in Italien zu drehen, wurde das als Hochverrat betrachtet.

Viele Schauspielerinnen sind hierzulande außerhalb der Programmkinos und Filmmu­seen überhaupt nicht als Stars und schon gar nicht als »Traumfrauen« bekannt. Wer kennt etwa die beiden berühmtesten Schauspielerinnen im japanischen Kino der fünfziger Jahre, Setsuko Hara und Hideko Takamine? Beide spielten unter anderem in zahlreichen Filmen von Yasujiro Ozu. Auch die in der DDR schlicht als »Publikumslieblinge« bezeichneten Darstellerinnen Annekathrin Bürger, Eva-Maria Hagen oder Angelica Domröse sind ja nicht wirklich Celebrities. Oder Schauspielerinnen wie Jana Brechová oder Ewa Krzyzewska? Während mädchenhafte Typen wie Maria Schell, Romy Schneider oder Audrey Hepburn ihre jeweils ganz eigene Interpretation des »Sturm und Drang« verkörperten, zeichneten Brechová, Krzyzewska oder auch die Ungarin Mari Töröcsik neben der Tatsache, dass sie einfach sehr jung waren, ihre scheinbare Alltäglichkeit aus. An viele dieser Schauspielerinnen erinnert man sich hauptsächlich aufgrund ihrer Filme. Jana Brechová kennt man etwa als blondes Barmädchen in dem bekannten Klassiker »Asche und Diamant« (1958) von Andrzej Wajda, genauso wie die Russin Tatjana Samoilowa nicht von »Wenn die Kraniche ziehen« (1957) zu trennen ist.

Neben diesem berühmtesten Fünfziger-Jahre-Streifen aus dem Osten werden in der Retrospektive auch eher selten gezeigte Filme aus Osteuropa zu sehen sein, einige aus Japan wie auch bekannte Klassiker mit Brigitte Bardot, Anna Magnani, Grace Kelly, Elizabeth Taylor etc. Unbedingt ansehen sollte man sich die beiden Douglas-Sirk-Melodramen »Written On the Wind« und »Imitation of Life«, die – mal ganz abgesehen von ihren Stars Lana Turner bzw. Lauren Bacall – unglaublich großartige Filme sind.