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Die Konservativen haben die Wahlen in Kanada gewonnen. Sie sind jedoch auf die Unterstützung des separatistischen Bloc Québécois angewiesen. von william hiscott

Eine Supermacht sei Kanada nicht, räumt Stephen Harper ein. Doch »wir stehen für höhere Werte, die alle Menschen anstreben«, und es sei wichtig, »diese Werte in allen Ecken der Welt zu fördern«. Sein Eifer für die Verbreitung von »Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten« erinnert ein wenig an George W. ­Bush. Der designierte kanadische Premierminister betonte in seiner Rede Mitte der vergangenen Woche jedoch die Kontinuität. Kanada habe seine Regierung gewechselt und nicht seine Werte.

Zumindest nicht in der Außenpolitik, denn kulturpolitisch wollen die Konservativen einiges ändern. Die erst im vergangenen Jahr eingeführte Homo-Ehe soll wieder abgeschafft werden, und die Familienpolitik soll sich wieder stärker an traditionellen Werten orientieren. Es ist jedoch fraglich, ob eine von Harper geführte Regierung den angestrebten politischen Wandel tatsächlich durchsetzen kann.

Die Konservativen haben zwar nach zwölf Jahren liberaler Regierung in Kanada die vorgezogenen Wahlen Ende Januar gewonnen, vor allem in der westkanadischen Provinz Alberta überflügelten sie die skandalgebeutelte Liberal Party. Damit sicherte sich Stephen Harper den Schlüssel zum Büro des Premierministers in der Wellington Street. Seine Conservative Party benötigt jedoch Unterstützung, denn sie errang nur 36 Prozent der Stimmen und stellt lediglich 124 von 308 Abgeordneten.

Die gemäßigt sozialdemokratischen Liberalen müssen sich mit 30 Prozent und 103 Sitzen begnügen. Sie verloren auch Wähler an die linken New Democrats (NDP), die die liberale Minderheitsregierung geduldet hatten. Die NDP erhielt 17 Prozent der Stimmen, wegen des Mehrheitswahlrechts jedoch nur 29 Sitze im Parlament. Harper wird auf die Duldung durch die 51 Abgeordneten des separatistischen Bloc Québécois angewiesen sein, des zweiten Verlierers der Wahlen, der in der überwiegend französischsprachigen Provinz Quebec nur 42 Prozent der Stimmen gewann.

Harper hat mit seiner Regierung einiges vor: Als erstes will er nach den zahlreichen Korruptionsskandalen der vergangenen Jahre die konföderale Staatsbürokratie reformieren, sodann die staatliche Gesundheitsfürsorge abbauen und Änderungen im Arbeitsrecht zugunsten der Unternehmer durchsetzen. Kanadas Wirtschaft soll weitgehend dereguliert werden.

Er will nicht als kleiner Bruder oder Vasall Bushs gelten, aber die Beziehung zu den USA verbessern, die unter den in den vergangenen Jahren immer offener antiamerikanisch auftretenden Liberals gelitten hat. Kanada soll künftig eine stärkere Rolle im »war on terror« spielen, es ist jedoch fraglich, ob eine konservative Minderheitsregierung gegen den Konsens aller anderen Parteien beipielsweise einen Einsatz kanadischer Truppen im Irak beschließen kann.

Harper ist auf die Stimmen einer Partei angewiesen, deren Hauptziel die Teilung des Landes ist und die zudem noch eher sozialdemokratisch orientiert ist. Der Regierungswechsel in Ottawa kommt dem Bloc Québécois gelegen, denn voraussichtlich 2007 finden Provinzwahlen in Quebec statt. Dann muss der Bloc die dort seit 2003 regierende Liberal Party schlagen und die Kontrolle in der »eigenen« Provinz wieder erlangen. Denn nur so können die Separatisten ein weiteres Referendum über die Unabhängigkeit durchsetzen. Bei dem Referendum im Jahr 1998 scheiterten sie nur knapp, und die Stimmung in der Provinz wendet sich immer mehr gegen die Liberals.

Der Erfolg des Blocs bei den kommenden Provinzwahlen hängt nicht zuletzt davon ab, welche Reformen die Partei auf der konföderalen Ebene zulässt. Sozialabbau ist auch in Kanada nicht populär, der Bloc dürfte daher nicht gewillt sein, Harpers Politikwechsel in jeder Hinsicht zu unterstützen. Möglicherweise werden die Separatisten versuchen, die konföderale Politik lahmzulegen, um einem autonomen oder gar unabhängigen Quebec näher zu kommen.

Obgleich sich der Bloc in eine politisch komplexe Situation hineinmanövriert, wird der allgemeine Niedergang der Liberals als rundum positiv für die Separatisten gewertet. Denn die Liberal Party war seit ihrem Regierungsantritt vor zwölf Jahren auch die Garantin der Einheit Kanadas. Mit allen Mitteln bekämpfte der langjährige liberale Premierminister Jean Chrétien die Unabhängigkeitsbestrebungen in Quebec. Sogar ein Großteil der 2003 aufgedeckten »Sponsorship«-Skandale, die maßgeblich zum Sturz der Liberals beitrugen, hatte mit der Auseinandersetzung in Quebec zu tun. Denn die von Chrétien etablierten korrupten Strukturen begünstigten vor allem die Liberal Party und deren Umfeld in Quebec. Dies half den Liberalen, sowohl die Unabhängigkeitsreferenden der neunziger Jahre zu blockieren als auch die Mehrheit in der dortigen Nationalversammlung zu erobern.

Auch andere regionale Konflikte könnten sich verschärfen. Die Conservative Party ist eine Partei des wirtschaftlich starken Westen des Landes, wäh­rend die Liberals in den östlichen Provinzen verankert sind. Auch weil die westlichen Provinzen sich wirtschaftlich im Aufschwung befinden, während der Osten mit dem Verschwinden vieler Produktionsstätten in der Region um die US-Industriestadt Detroit immer mehr deindustrialisiert wird, gewinnt der Regierungswechsel eine gewisse wirtschaftspolitische Brisanz. Künftig werden wohl Vertreter der Öl- und Forstwirtschaft aus dem Westen Kanadas den Ton angeben, statt der schwächer werdenden Konzerne im Osten.

Die bei der jüngsten Wahl offensichtlich gewordenen Veränderungen in der traditionellen Machtkonstellation werden langfristig große gesellschaftliche Auswirkungen haben. Die bislang regionalistisch eingestellten Konservativen stehen jedoch vor dem akuten Problem, eine effektive nationale Politik auf die Beine stellen zu müssen. Die Regierung benötigt schnellstens einen Plan gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen im östlich gelegenen und ebenfalls von der Deindustrialisierung betroffenen Quebec und muss gleichzeitig die Macht der westlichen Provinzen stärken. Um künftig auch einmal mit einer absoluten Mehrheit regieren zu können, muss die Conservative Party aber auch ihre Basis in allen bevölkerungsstarken Ostprovinzen erweitern.

Ebenso wie zuvor die Liberalen müssen die Konservativen also nun gleichzeitig alle Lager zufrieden stellen. Angesichts der divergierenden Interessen der verschiedenen Lager scheint dies eine kaum lösbare Aufgabe zu sein, zumal Harper versprochen hat, seine Ziele ohne sozialdemokratische Konsenspolitik und ohne Korruption zu erreichen.